Wie treu sind die Gefährten?
Vom Buch zum Film "Der Herr der Ringe"
Eine so ungewöhnliche Großproduktion wie Peter Jacksons bereits komplett abgedrehter "Herr der Ringe", dessen erster, gleich dreistündiger 90-Millionen-Dollar-Teil "Die Gefährten" nun im Kino zu bestaunen ist, macht die Filmkritik selbst zum phantastischen Medium. Alle gehen ins Kino - aber jeder geht in einen anderen Film. Texte und Subtexte werden wie Landschaften für verschiedene Zielgruppen platziert. Konzern ("New Line Cinema", AOL Time Warner ) und Produzenten versuchen alles Erdenkliche, um Kritik durch PR überflüssig zu machen. Der neuste Trend: Man zähmt nach außen den Eigensinn des Filmwerks und vermarktet die angebliche Treue zum 1954/55 erschienenen Buch und zur J. R .R. Tolkien-Welt gleich mit. Doch Vorsicht, teurer Fan und gebildeter Leser des "Herrn der Ringe": Treue und Verrat liegen einmal mehr nahe beieinander.
Am Anfang war das Buch. Und das Buch war Prolog. Und der Prolog wurde Film. Dieser Kino-Anfang ist das Beste, was sich die neue Verfilmung des ersten Teils des "Herrn der Ringe" leistet, mit einem Maßstab, den sie später kaum noch komplett einholt.
Die Elbenstimme der noch unsichtbaren Königin Galadriel (Cate Blanchett, "Elisabeth") aus den unendlichen Treppenwindungen des gotischen Riesenwaldes erläutert die Urgeschichte des Rings. Wuchtige Bildassoziationen in Auf- und Abblende. Die Landkarte von Mittelerde, dem urzeitlichen Europa, wie im Buch. Dann die rasende Kamerafahrt über die verdüsterten Fantasielandschaften eines digitalen Neuseelands, übers Aschengebirge um Mordor zum flammenden Hephaistos-Vulkan, dem "Schicksalsberg", in dem Waffen, Schätze und Zaubermittel entstehen. Dort hat das dunkle Unwesen, Sauron (soweit erkennbar: Sala Baker), der Große Herrscher, sich den stärksten aller Zauberringe geschmiedet, um die Weltherrschaft über alle anderen Geschlechter zu gewinnen.
Hatte Tolkien geahnt, dass sein "Ring" im Kampf der Medienkonzerne eine ähnliche Rolle spielen werde? Es entbrennt ein apokalyptischer Entscheidungskrieg zwischen Gut und Böse, eine Alexanderschlacht, ein unendlich detailliertes Panorama von gepanzerten Soldaten der neuseeländischen Armee dank dem Computerprogramm MASSIVE, das aus fensterlosen Monaden tausend Augen macht. Isildur, Sohn des menschlichen Führers Elendil von Westernis - der zusammen mit dem Elbenkönig Gil-galad den Tod findet - hackt der unbezwingbaren Kampfmaschine Sauron mit seines Vaters zerbrochenem Schwert Narsil den Ringfinger ab. Plötzlicher Einhalt des Bösen, das von nun an sich als Geist in den Düsterwald zurückzieht.
Die Welt als Wille zum Ring: Mythische Abziehbilder
Zuvor wird im Film die Wirkung des Ringes zum verflachenden Special Effect einer Atombombenexplosion in einer Spielzeuglandschaft veräußerlicht, die ringförmigen Emissionen des Kleinods fegen die erfolgreichen Truppen der Guten eine Zeit lang hinweg. Doch dann folgt Isildurs tödlicher Triumph: Er entreißt Sauron den gleißenden goldenen Ring. Der Sieg wird zur moralischen Niederlage. Denn Isildur irrt sich, wenn er vermeint, er könne den Ring behalten, um über ihn zu gebieten, statt ihn zu vernichten. Bald strecken die Pfeile der Orks ihn selbst hin.
Der Ring geht im Getümmel verloren, er fällt in den großen Strom mit dem Namen Anduin. Gollum, alias Sméagol (Andy Serkis), ist es beschieden, ihn länger zu besitzen. Wer den Ring benützt, wird bis zur Willenlosigkeit vom Bösen versklavt, wer ihn hortet, wird vom Wahnsinn befallen und in kreatürlicher Verrottung, Erniedrigung und Vermoderung ausgezehrt. So steht es in der Sprache Mordors in Elbenschrift auf dem heiß-kalten Ring. In den Verliesen von "Mordor", der vulkanischen Kloake der Welt, hockt der gepeinigte Gollum wie ein saurer Brüter über seinem Unglücksschatz, der nur auf die Rückkunft Saurons, des urbösen Übermeisters, wartet. Ein raunender Vorspann, als Markenzeichen des Films präsentiert.
"Die Historie", heißt es, "wird zur Legende und die Legende zum Mythos." Ja, so soll es sein, der Glaube versetzt Berge, im Publikum und besonders an den Kassen. Mit dieser Konstruktion spielt der Film unentwegt. Und so sind auch die Bilder gemeint. Tolkiens Erzählreichtum, seine sprachlich feinverästelte Arbeit am Labyrinth des Mythos wird zum mythischen Abziehbild großer Taten verflacht.
Elbenkaskaden und Orkbrüller in Hobbingen
Im Buch wie im Film gerät "Shire", das kleine Auenland, Hobbits Bilbo Beutlins Heimat, zur verschweizerten Idylle, die gerade in ihrer Selbstgenügsamkeit und Sorgenlosigkeit auf die Schippe genommen wird. Hier finden Jackson und seine WETA-Designer teletubbieske Lösungen, von den Smials, den Weinkellerstollen in den komfortabel eingerichteten Wohnhöhlen und den überlangen Fußprothesen bis zur digitalen Schrumpfung der Halblinge gegenüber ausgewachsenen Menschen, Zauberern und Elben. Ein Ohnesorg-Theater am Gartenzaun.
Doch Bilbos märchenhafter Reichtum und sein langes Leben sind bereits vom Neid der Nachbarn und von Gerüchten angekränkelt. Im Jahre 1341 auenländischer Zeitrechnung ging Bilbo auf eine Fahrt (die im "Hobbit" erzählt wird) und nahm Gollum den Ring ab. Es spricht für Bilbo, wenn er die destruktive Kraft des Ringes, die den großen Kriegern zur Verdammnis gereichte, für eine Weile zu seinem Vorteil zähmte. Doch nun wird der Scheinhaftigkeit von Wohlstand und Glück wird ein jähes Ende bereitet. Der hundertundelfjährige Bilbo ist des alten Lebens müde, tritt einfach mitten im Geburtstagsfest ab, zieht sich den Ring über den Finger und wird unsichtbar, um sich aus seiner Idylle zu stehlen und wieder in die fernen unheimlichen Berge aufzubrechen. Ein freiwilliger Entschluss, um dem Sog der versklavenden Macht zu entkommen. Im Film gerät diese doppelbödige Szene nicht halb so befremdlich wie im Buch.
Gandalfs Rat: "Benutze ihn nicht!" und andere goldene Sprüche
Dabei ist die Rettung des Films bereits da: Gandalf, der weise graue Zauberer (Sir Ian McKellen), der große Sympathieträger des ersten Teils, die Inkarnation des Erzählers mit Bart, Hut und Pfeife. Er spielt Bilbo (amüsant: Ian Holm, die alte Frodo-Stimme des BBC-Hörspiels der 70er Jahre) und seinen unwissenden Adoptiv-Neffen Frodo (Elijah Wood) förmlich an die Wand. Gandalfs humorvolle Weisheit - durchgängig im Buch, ansatzweise im Film - bringt Denken und Handeln ins Rollen, und streicht die Bedrohung der Wohlstandsidylle und die militante Einfalt heldischer Politik heraus.
Immer wieder zielt Gandalf auf die Balance von Mythos und Aufklärung, von Schicksalssorge und aufbäumender Vernunft im Kampf um die Freiheit. Gandalf verkörpert das Prinzip des philosophischen Schauens und Abwägens in redlicher Sorge, die jeder voreiligen Handlung, jeder egoistischen Entscheidung und vor allem der Hingabe an die fatale Begierde der Macht entsagt. Er ist heiter-gelassener Botschafter, entschlossener Kämpfer im Ernstfall, er bringt Fäden und Personen zusammen und hält die Mächte auseinander, um den Exorzismus des Bösen vorzubereiten.
In der heiklen Übergabe des Ringes von Bilbo an Frodo, vom Durchtriebenen zum naiven Tor, der noch in den jugendlichen Twiens steckt, wird die Unwägbarkeit jeder Machtgestaltung und Machtübernahme deutlich. Wer lässt sich von der Macht korrumpieren? Wer spielt den Parsifal, wer den Klingsor, wer den Amfortas? Kann man der Magie der Macht entrinnen? Wie tückisch ist das von Sauron geschmiedete Kleinod? Lässt es sich im Dienst am Guten umfunktionieren? Oder ist das die höchste Verführung, selbst ein neuer Sauron zu werden? Der Ringspruch scheint keine Wahl zu kennen, der Ring ist der Herr des Besitzers. Und noch der Machtverzicht ist anscheinend von Gier, Unfreiheit und Unfrieden entstellt. Tolkien lässt an seinem moralistischen Zweckpessimismus keinen Zweifel.
Im Kino verkümmern die Dialoge und Reflexionen des Buchs zum Verschnitt goldener Sprüche (Drehbuch: Peter Jackson, Fances Walsh, Philippa Boyens). Zum Glück ist der Film nicht sprachüberladen. Aber für gedankliche und emotionale Entwicklung bleibt kaum Raum. Statt dessen wird die Magie des Ringes in anamorphotischen Einstellungen, in verzerrten Negativaufnahmen dargestellt. Der Ring ist das Tor in eine katastrophisch durchhellte Gegenwelt der Geister. Der psychotechnisch ausstaffierte Mythos, die ruckartigen, kurzschlüssigen Special Effects ersetzen die immerwährende Philosophie der Sorge und verantwortlichen Skepsis im Buch. Die Aufklärung schlägt in den Mythos der Bilder zurück.
Epileptischer Kamerazauber
Gandalf sucht Rat bei Saruman, dem Hohenpriester der Magie (Christopher Lee) in Isengard. Mit seinen weißen Haaren und seinem Christuslook wirkt Saruman wie Wagners Klingsor, der pervertierte Gralsritter, ein präraffaelitisch verlogener Vampir der Macht, mitten im Park um den Turm Orthanc. Der oberste aller Zauberer ist bereits der diabolischen Epidemie Saurons völlig erlegen, gerade weil er sie intensiv studiert hat und nun auf seine Weise nutzen will. Die paradiesischen Bäume lässt er fällen, aus ihrem Holz die qualmenden Werkstätten des neuen Krieges errichten, angeblich, um eine von Sauron unabhängige Streitmacht aufzustellen.
Hier haben die Setdesigner, unter der inspirierenden Leitung des britischen Tolkien-Illustrator Alan Lee, ganze Arbeit geleistet. Das diplomatische Geplänkel zwischen Gandalf und Saruman hält nicht lange an. Das marktgerechte Zaubererduell geht los, irgendwo zwischen dem Jedi-Endkampf aus "Star Wars I" und dem "Quidditch-Spiel" aus "Harry Potter", eine Art exorzistisches Turm-Rodeo zwischen Totalen und Großaufnahmen. Soviel bewegte Kamerafahrt durch den Schacht des Bösen fördert nur die epileptische Verhexung des Zuschauers, nicht aber die episch-psychologische Aufklärung über den Anreiz der Macht.
Währenddessen hat sich Frodo mit seinem Ring und seinen Hobbitgefährten auf den Weg gemacht. Das Reich der Dunkelheit nimmt die Verfolgung auf. Aber der Sog der unsichtbaren, schwarz umhüllten Ringgeisterreiter ist böser gemeint, als er wirkt. Der wiederholte Auftritt mit kreatürlichem Schrei ist eine Bühnennummer, die sich in die ebenfalls nur suggerierte Vielfalt der Naturlandschaften nicht recht einfügt. Zwar erfährt auch der Kinozuschauer, dass die angreifenden neun Ringgeister Freund und Feind in einem sind, dass ihr Schwert- und Lanzenstich provoziert, injiziert, was nach Gandalfs Rat nicht sein darf: den Ring einzusetzen, sich von ihm abhängig zu machen, um so in die Geisterwelt zu gleiten, in der man aufhört zu existieren und zum Sklaven der sauronischen Macht degeneriert.
Im Roman sind die flutwellenartigen Angstvisionsschübe Frodos geradezu ein Gegenentwurf zur Welle der weißen Pferde auf dem Gemälde "Die Rosse des Neptun" von Walter Crane (Neue Pinakothek München), einem Vorläufer des Jugendstils:
"Verschwommen sah Frodo, wie der Fluss anschwoll und eine ganze Kavallerie von Wellen mit wehenden Helmbüschen das Flussbett herabkam. Weiße Flammen schienen auf ihren Kämmen zu flackern, und halb glaubte er im Wasser weiße Reiter auf weißen Rossen mit schäumenden Mähnen zu sehen."
Doch Jackson - der mit Hilfe des Action-Designers John Howe die Ikonen des viktorianischen und wilhelminischen Gründerzeitkitschs plünderte und mit zeitgemäßen Fantasy-Szenen kreuzte - vernachlässigt diese Option merkwürdigerweise. Stattdessen lässt die im Film zur Elbenamazone aufgerüstete Arwen (Liv Tyler) die Flut auf die Ringgeister herniederbrausen wie weiland Moses auf die Armee des Pharaos.
Während in den Kampfszenen vor allem die kraftmeierische Überbietungsästhetik vorherrscht, nimmt auch im Design die fantasy-karikaturistische Überzeichnung des Immer-Größer und Immer-Gewaltiger überhand. Eine Postkartenkulisse nach der anderen. Das Elbenland Lothlórien wirkt wie ein Genrestück, eine bequeme Sanatoriums-Romantik à la Ludwig Richter, zwischen Davos und Mittenwald. Die ritterlichen Gefährten der in neugotischen Freskofarben nachempfundenen Artusrunde erweisen sich als gute Kumpels und heroisierte Typen, die alle Hände voll zu tun haben, um die Abwehr und Entsorgung der Macht des Ringes vorzubereiten.
Und doch, wie weit auch immer die Gefährten dann durch blühende Landschaften, auf weiten Seen, über Schnee und Eis und durch die dunkle Unterwelt von Moria mit den Ungeheuern der Vorzeit ziehen, - im rasenden Filmtempo bleiben viele Anstrengungen, Aufregungen und Ängste rhetorischer Lärm, wird Spannung zur gekünstelten Anspannung, wirkt die Beschwörung der Bildwelten wie ein endloser Zoom auf der Landkarte im Buch. Und selbst die anschließende Trauer um den heroischen Untergang Gandalfs im Kampf gegen das Balrog-Monster in den Minen von Moria wirkt aufgesetzt.
Die Musik (Howard Shore) tut ein übriges dazu: endloses Repeat des Orffschen Carmina-Burana-Sounds für wehrhafte Mannen und sakralisierender Zuckerguss hochstimmiger Knaben- und Sopran-Choräle für himmlische Sphärenklänge, das ginge nach drei Stunden einfach dem letzten Fan auf den Wecker, wenn er nicht hypnotisiert wäre.
Das Ende: Sorgenvoller Abgang oder Hauen und Stechen?
Die Abwandlung des offenen Endes der "Gefährten" ist vielleicht einer der stärksten Eingriffe im Film. Der erste Band gipfelt im verzweifelten Anfall Boromirs (Sean Bean), der mit glühenden Augen Frodo bedrängt, den Ring herauszugeben und militärisch einzusetzen:
"Der Ring gäbe mir die Befehlsgewalt. Wie würde ich Mordors Heere zu Paaren treiben, und wie würden sich die Menschen alle um meine Fahne scharen! ... Nimm ihn ab!"
In seinem Wahn verdächtigt er Frodo, er wolle nur den Ring zu Sauron zurückbringen. Hier macht Tolkien den Einschnitt: Verunsichert und verfolgt von Boromir setzt sich Frodo (zusammen mit Sam) von den übrigen Gefährten ab - Aragorn (alias Strider, Streicher), Legolas, Gimli, Merry und Pippin -, um auf eigene Faust die Himmels- und Höllenfahrt der Ringentsorgung zum Flammenberg Orodruin fortzusetzen. Im Film wird die Angriffsszene der Orks sogleich angeheftet, die Tolkin in Band 2 nur indirekt andeutet. Jackson rehabilitiert den heldisch sterbenden Boromir im Kreis der Mitstreiter und verdrängt, wie so oft, die reflexive, von Sorge geleitete Erzählweise Tolkiens mit wildem Hauen und Stechen. Tolkien ist der innere Verrat wichtiger als jede vordergründige Heldentat. Jackson kratzt das Abenteuer-Material aus dem Sprachgebirge des Altphilologen hervor und riskiert einen Film, der trotz vieler sehr beeindruckender Momente die epische Vorlage zum kultigen Mammutfilm der unentwegten "Power"-Sensationen umdeutet, statt die hochmoderne Absurdität eines Sisyphos-Endspiels um den Sinn der Macht freizulegen.
Mit den kinokritischen Tolkien-Gurus allein werden sich Hollywoods Kassen nicht füllen lassen. Auf die rund 5.000 Leinwände allein in den USA - 3.000 weniger als bei dem hauseigenen Konkurrenzfilm "Harry Potter" - sollen zu einem Viertel Tolkien-Leser, zur Hälfte informierte Nichtleser und zu einem weiteren Viertel völlige Neulinge blicken - jede Zielgruppe ihren eigenen Film im Visier.