Wie viel sind eigentlich drei bzw. vier Prozent?

Tarifabschluss für den Öffentlichen Dienst: ein öffentlicher Rechenschock nach PISA

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Der Öffentliche Dienst streitet mit den kommunalen Verbänden und Arbeitgebern um die nächste Tariferhöhung. Diesmal wurde mit harten Bandagen gekämpft. Angefangen von Warnstreiks bis hin zum Austritt aus dem Tarifverbund ist an Arbeitskampfmitteln alles eingesetzt worden. Offenkundig wurde jedoch auch, dass auf beiden Seiten wahre Rechenkünstler sitzen müssen. Während Adam Riese nachweisen konnte, dass "1" und "1" wirklich "2" sind, können die Tarifpartner wohl kaum drei Prozent gemeint haben, als der Bremer Schlichterspruch verkündet wurde.

Die weltweite PISA-Studie brachte es an den Tag, die deutschen Schüler landen im weltweiten Vergleich sowohl bei den Deutsch- als auch bei den Mathematikkenntnissen auf den hinteren Rängen. Neben mangelhaften Lesefähigkeiten gab es eklatante Schwächen im Textverständnis. Das Raunen der deutschen Bildungspolitik endete schließlich im Aktionismus von Schulreformen, die aber fast alle nur strukturelle Veränderungen beinhalteten. Denn die Rechenkünste der Steuereintreiber konnten nicht einen Cent zur Strukturreform zuschustern.

In der aktuellen Tarifauseinandersetzung machen sich sowohl Gewerkschaftler wie Arbeitgeber als auch Schlichter an die Arbeit, den Arbeitnehmern das mathematische Wunderwerk eines erfolgreichen Tarifabschlusses zu verkaufen. Ziel der Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes ver.di war die "3" vor dem Komma "plus x". Das Verhandlungsziel der Arbeitgeber war eindeutig die Nullrunde. Schließlich wurden die Schlichter Koschnik und Lehmann-Grube bemüht, die der verwunderten Öffentlichkeit einen Schlichterspruch mit einem 3-prozentigen Abschluss für eine Laufzeit bis zum 30. April 2004 präsentierten.

Die "3" setzte sich wie folgt zusammen: 2003 sollte es 2,4 Prozent mehr Lohn und Gehalt geben und für die ersten sechs Monate im nächsten Jahr weitere 0,6 Prozent. Und so wurde die neue Mengenlehre verfasst, denn innerhalb von 18 Monaten sollen so drei Prozent mehr Gehalt gezahlt werden. Nun können selbst Grundschüler die Systematik des mathematischen Betruges erkennen, denn drei Prozent gibt es definitiv nur für die Monate Januar bis Juni im Jahr 2004. Oder rechnen die Drei-Prozent-Verkünder gar mit der Tatsache, dass Arbeitnehmer aufgrund der schlechten PISA-Leistungen die trügerischen Zusammenhänge nicht selbst erkennen?

'Die Drei ist ernst gemeint, darauf könnt ihr euch verlassen!' Das Signal ist angekommen, ihr macht uns den Rücken stark!" Das versicherte Frank Bsirske den rund fünfhundert Kolleginnen und Kollegen, die sich am 15. November 2002 vor dem Heinrich-Kaun-Haus (früher TWS-Heim) in Stuttgart-Degerloch versammelten, wo er Stunden später die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst eröffnete.

ver.di

Doch damit war die Augenwischerei längst noch nicht beendet. Die Mengenlehre wurde noch weiter strapaziert, schließlich sollten die Angestellten des Öffentlichen Dienstes noch auf einen freien Tag verzichten. 1/365er Teil sollte mehr gearbeitet werden, und weil die Arbeitgeber mit der Jammerei nicht aufhörten, sollte sogar noch eine halbe Stunde pro Woche an die wöchentliche Arbeitszeit angehängt werden. Rechnet man diese Zusatzbelastung für die Arbeitnehmer zusammen, wären wohl nicht mehr als zwei Prozent in die Lohntüte gekommen. Sie hätten sich jedoch auf zwei weitere frostige Jahre einstellen müssen, denn eine weitere Bedingung war ein Einstellungsstopp. Da dadurch Stellen nicht wieder besetzt oder ausgeschrieben worden wären, hätte jeder die Personaleinsparung durch Mehrbelastung zu spüren bekommen. Und wären dennoch Einstellungen vorgenommen worden, so sah der bisherige Schlichterspruch vor, dass Neueinsteiger für ein Jahr mit einer Lohn- und Gehaltsstufe weniger hätten auskommen müssen.

Drei Prozent könnten aber auch so aussehen: 2003 gibt es 2,4 Prozent, 2004 jeweils zweimal 1 Prozent und der Vertrag erhält eine Laufzeit von 27 Monaten bis zum 31. Januar 2005, oder? Das wurde zumindest über den neuen Vorschlag am Abend bekannt, der mit 185 Euro eine geringere Einmalzahlung vorsieht, überdies soll die ansonsten automatisch alle zwei Jahre erfolgende Erhöhung der Grundvergütung 2003 und 2004 halbiert werden. Über die Feinheiten der "4" vor dem Komma war ansonsten noch nicht viel bekannt. Gleichwohl ließe sich nun mit der "4" dasselbe Rechenexempel durchspielen ... Überdies fließt ein guter Teil der 3 oder 4 Prozent sowieso in Form von Steuern wieder an den Staat zurück.