Wie weiter mit dem Datenschutz?
Die Debatte steht noch aus, aber erste Ansätze sind seit heute sichtbar
Es hätte so schön sein können. Noch am 11. September ging kurz vor den Anschlägen in New York und Washington eine wichtige Meldung über die Ticker: Der Hamburger Datenschutzbeauftragte präsentierte eine aktuelle Umfrage, nach der 53 Prozent der Bundesbürger sich mehr Datenschutz wünschten und lediglich vier Prozent für seine Einschränkung seien. Dieses Ergebnis war sicherlich nicht einer kurzfristigen Stimmung geschuldet. Es muss sich daher erst zeigen, ob die Antiterror-Diskussion auch mittel- und langfristig die Akzeptanz für Forderungen nach dem Schutz der Privatsphäre verringert hat. In dieser Situation wird die Haltung sowohl der Grünen als auch der Datenschützer und Bürgerrechtler bedeutend sein. Die Diskussion um das weitere Vorgehen hat erst begonnen, das zeigt auch eine gemeinsame Erklärung von mehr als fünfzehn Organisationen und Initiativen, die heute in Berlin vorgestellt wurde.
Nach den Anschlägen vom 11. September war den Fachleuten schnell klar, dass in Kürze Forderungen nach stärkerer geheimdienstlicher Überwachung und neuen Eingriffsbefugnissen für die Strafverfolger auf dem Tisch liegen würden. Dennoch gab es keine erkennbaren systematischen Vorbereitungen bei Datenschutz-Verbänden, Bürgerrechtlern oder liberalen Innenpolitikern. Mittlerweile ist zwar eine Vielzahl von Erklärungen und Äußerungen aus diesem Kreis veröffentlicht worden. In diesen werden allerdings oft verschiedene Argumente und Diskussionsebenen lediglich nebeneinander gestellt. Offen bleibt bislang, wie diese systematisch in ein Verhältnis zueinander gesetzt und gewichtet werden sollen, vielfach bleibt unklar, warum gerade dieser oder jener Argumentationsgang gewählt wurde. Die Frage, wie man strategisch mit dieser Debatte umgehen soll, ist dabei noch nicht einmal in Ansätzen beantwortet.
Der dazu notwendige Diskussionsprozess hat nun begonnen. Heute haben sich erstmals seit den Anschlägen mehr als ein Dutzend Organisationen und Initiativen in einer gemeinsamen Stellungnahme an die Öffentlichkeit gewandt. Das Dokument, das überschrieben ist mit "Die falsche Antwort auf den 11. September: Der Überwachungsstaat" haben eine Reihe führender Mitglieder von Bürgerrechtsorganisationen wie der Humanistischen Union, dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, dem Republikanischem AnwältInnenverein, der Internationalen Liga für Menschenrechte oder den JungdemokratInnen unterzeichnet, aber auch Vertreter von Initiativen aus dem Bereich der Cyberpolitik wie dem Chaos Computer Club oder dem Grünen-nahen Netzwerk Neue Medien. Der Text selber stellt daher so etwas wie einen Minimalkonsens innerhalb dieses Spektrums dar, sticht aber durch die Schärfe einiger Formulierungen durchaus hervor. Im Folgenden soll allerdings nicht lediglich diese Erklärung vorgestellt werden. Vielmehr geht es im Folgenden um den Versuch, die verschiedenen Diskussionsebenen und Argumentationsmuster der Datenschutz-Szene herauszuarbeiten und sie auch in die aktuelle politische Situation einzuordnen.
"Funktioniert das überhaupt?"
Bereits die erste Stellungnahme aus diesem Kreis, die der stellvertretende Landesdatenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein und Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für Datenschutz, Thilo Weichert, am 17. September veröffentlichte, zeigte recht defensive Züge. "Wer - ob Politiker oder Funktionär von Sicherheitsbehörden - meint, der Datenschutz stehe wirksamen Ermittlungen entgegen, der muss hierfür den konkreten Nachweis erbringen", heisst es in ihr. Die Strategie, die hier gewählt wurde, setzt auf Versachlichung. Man nimmt die Forderungen der Innenpolitiker ernst und fordert eine rationale Überprüfung. Damit ist man jedoch schon in die Logik der Strafverfolgung hineingeraten. Eine solche Strategie kann sich nur durchhalten lassen, wenn man sicher ist, dass die von den Sicherheitspolitkern geforderten Massnahmen wirklich keine Erfolge versprechen. Immerhin wird hier ein wichtiger Punkt gemacht: Nicht die Gegner von neuen Überwachungsgesetzen sind in der Begründungspflicht, sondern diejenigen, die sie fordern. Was macht man aber in einer Situation wie derzeit, in der die allgemeine Stimmung eine solche Begründungspflicht gar nicht sieht und in der von Innenminister Schily oder den Konservativen fast täglich neue Vorschläge vorgelegt werden?
Eine Möglichkeit ist es, die Kriterien zur Beurteilung der geforderten Überwachungsmaßnahmen auszuweiten. Dieser Ansatz findet sich im Beschluss "Sicherheit herstellen - Bürgerrechte sichern", den der Länderrat von Bündnis90/Die Grünen am 6. Oktober gefasst hat. Dort heißt es gleich in der Einleitung: "Wir messen unsere und alle anderen Vorschläge daran, ob sie erforderlich, zielgerichtet, EU kompatibel, effektiv und zugleich praktikabel sind, um zur wirksamen Terrorismusbekämpfung beizutragen. Jede Begrenzung der Freiheit muss sorgsam mit der tatsächlichen Gefahrenlage und dem möglichen Gewinn an Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger abgewogen werden." Neben der Frage "funktioniert das überhaupt?" taucht hier zusätzlich die EU-Kompatibilität auf. Diese dürfte allerdings keine wesentlichen Einschränkungen für Überwachungsmaßnahmen bringen, sondern lediglich die Abstimmung neuer Gesetze und Verordnungen zwischen den Ministerien verkomplizieren.
"Wir wollen mitmachen"
Die Datenschüzer von Bund und Ländern haben sich am 1. Oktober bei ihrem Sondertreffen in Bonn dazu ebenfalls Gedanken gemacht. Ihre Erklärung ist lesenswert, denn sie zeigt deutlich, wie bisherige Positionen aufgegeben werden, um noch Schlimmeres zu verhindern. "Die Datenschutzbeauftragten weisen darauf hin, dass die Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden zur Terrorismusbekämpfung bereits über weitreichende Befugnisse zur Datenverarbeitung verfügen." Genau diese Befugnisse waren aber jahrzehntelang gerade von den Datenschützern kritisiert worden. Nun werden sie implizit angepriesen als erfolgreiches Mittel der Strafverfolgung. Die anschliessende Feststellung, dass "zu pauschalen Forderungen nach Einschränkung des Bürgerrechts auf Datenschutz deshalb kein Anlass besteht", wirkt in diesem Kontext schon fast ironisch. Es geht aber, das zeigt sich im nächsten Absatz, nicht um feinsinnigen Humor, sondern um den Wunsch nach Anerkennung:
"Die Datenschutzbeauftragten sind zu einem offenen und konstruktiven Dialog über etwa notwendige Anpassungen an die neue Bedrohungslage bereit. Sie erwarten, dass sie rechtzeitig beteiligt werden."
Hier wird die eigene Position zur Verhandlungsmasse erklärt. Bei einem Fachgespräch zwischen Datenschützern, Bürgerrechtlern, Netzpolitikinitiativen und Grünen, das am 9. Oktober in Berlin stattfand, wurde diese Position von einem Teilnehmer mit der provozierenden Frage beantwortet: "Verstehe ich das richtig - die Datenschützer beteiligen sich konstruktiv an der Schaffung des Polizeistaates?"
Die Forderung ist dennoch nicht ganz unwichtig, denn sie weist auf die Intransparenz der bisherigen Diskussionen in der Administration hin. Aus der grünen Bundestagsfraktion ist zu hören, dass die Fachpolitiker für neue Medien in die derzeitigen Verhandlungen zu Schilys zweitem Sicherheitspaket gar nicht einbezogen sind. Jetzt rächt es sich für die Grünen, dass sie sowohl das Innen- als auch das Justizministerium dem großen Koalitionspartner überlassen haben. Vieles von dem, was in den obersten Etagen ausgehandelt wird, kann im parlamentarischen Verfahren kaum noch verhindert, höchstens an einigen Punkten nachgebessert werden. Aber auch die Fachpolitiker für neue Medien aus den anderen Parteien haben das gleiche Problem. Sie sind parteiübergreifend fast einmütig gegen neue Überwachungsmaßnahmen im Internet, haben aber kaum Einfluss und sind in aller Regel nicht in die Entscheidungen der Partei- und Fraktionsspitzen einbezogen. So hat zwar die Internet-Beauftragte der Unionsfraktion, Martina Krogmann, am 26. September erklärt, "die Absicherung der kritischen Infrastrukturen schützt besser vor Terroranschlägen als immer mehr Überwachungsmaßnahmen", aber es gibt bei den Konservativen bislang keine systematischen Überlegungen zur Frage, welchen Stellenwert der Datenschutz künftig haben soll. Von den Innenpolitikern der CDU/CSU-Fraktion etwa waren aus lauter Angst vor der sicherheitspolitischen Parteilinie erst gar keine zitierfähigen Stellungnahmen zum Thema Datenschutz zu bekommen.
"In ein paar Jahren überprüfen"
Wenn schon Eingriffe in die Privatsphäre beschlossen werden, dann soll man sie wenigstens auch wieder los werden können. Diese Position ist sehr populär geworden, seit der US-Kongress in dem ersten neuen Antiterror-Gesetz eine Befristung auf zwei Jahre eingebaut hat. Ähnliches fordern zum Beispiel die Datenschutzbeauftragten in ihrem Beschluss: "Sie sprechen sich dafür aus, alle neu beschlossenen Eingriffsbefugnisse zu befristen und tiefgreifende Eingriffsbefugnisse, damit auch die laufende Rasterfahndung, einer ergebnisoffenen Erfolgskontrolle zu unterziehen." Auch der grüne Länderrat hat eine ähnliche Forderung aufgestellt, die allerdings schon deutlich vorsichtiger formuliert ist:
"Nicht nur Institutionen und Konzepte müssen sich ständig bewähren, auch Gesetze zur Bekämpfung des Terrorismus müssen immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Es kann von daher angebracht sein, einzelne Regelungen zeitlich zu befristen."
Generell wirkt eine solche Strategie recht sympatisch, denn auch bei vielen anderen Gesetzten fragt man sich manchmal, warum sie überhaupt noch bestehen. Wenn sie ein Verfallsdatum bekämen, könnte man sich so mache aufwändige rechtspolitische Aufräumaktion sparen. Gerade bei Maßnahmen zur inneren Sicherheit kann man aber davon auszugehen, dass die zuständigen Behörden sie bis zum Ende der Befristung zumindest soweit nutzen, dass sie in der Lage sein werden, entsprechende Berichte zur Notwendigkeit einer Verlängerung oder sogar Entfristung vorzulegen. Ausserdem besteht für den Datenschutz das größte Problem bei Maßnahmen, die in der Tat sicherheitspolitisch effektiv sind. Hier wird es sehr schwer werden, Jahre nach ihrer Einführung für eine Abschaffung zu plädieren, wenn BKA oder Verfassungsschutz medienwirksam ihre Erfolge präsentieren.
Ein weiteres Problem, das hierbei nicht bedacht wird, ist die Möglichkeit einer anderen politischen Konstellation zum Zeitpunkt der Überprüfung. Glaubt man ernsthaft, dass Maßnahmen der rot-grünen Koalition, die schon als bedenklich eingestuft werden, von einer sozialliberalen oder gar unter konservativer Beteiligung gebildeten Regierung wieder abgeschafft würden?
"Datenschutz ist ein Menschenrecht und Kern des Rechtsstaates"
Eine bedeutende Position in der gesamten Debatte haben die Grünen in ihrem Länderrats-Beschluss festgehalten. Dort heißt es: "Die notwendige Suche nach Terroristen darf nicht dazu führen, Menschen ohne konkreten Verdacht pauschal zu stigmatisieren und als "Kriminelle" zu behandeln." Dieses Argument dürfte zentral sein für die gesamte Debatte um das Verhältnis von Sicherheit und Bürgerrechten, wird aber bislang noch kaum aufgegriffen. Es nimmt den Sicherheitspolitikern den Wind aus den Segeln und stellt die Diskussion wieder auf die rechtsstaatlichen Füße. Dem liberalen Rechtsstaat widerspricht es nämlich in seinem Wesenskern, seine Bürger pauschal zu verdächtigen. Ein solcher Generalverdacht aber steht hinter allen Forderungen nach Rasterfahndung, Videoüberwachung, großflächigen Abhörmaßnahmen oder verdachtsunabhängigen Ausweiskontrollen. Die Humanistische Union hat in dieser Richtung sehr deutliche Worte gefunden: "Der Rechtsstaat ist kein Schönwetterstaat; gerade in der Krise muß er sich bewähren, aber auch bewahrt werden", heisst es in ihrer Erklärung vom 12. Oktober.
In diesem Zusammenhang ist das diskursive Konzept der "Schläfer" noch nicht hinreichend diskutiert worden. Das Auffallende an diesen "Terroristen auf Abruf" ist nämlich ihre totale Unauffälligkeit, und damit sind willkürlichen Verdächtigungen und Denunziationen Tür und Tor geöffnet. Auch die Forderung nach Fingerabdrücken in den Ausweisen wird bislang vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer langen Einführungszeit und Ineffektivität kritisiert. Das gesellschaftliche Klima aber, in dem eine ganze Bevölkerung erkennungsdienstlich behandelt und flächendeckend überwacht würde, können sich vielleicht am besten diejenigen vorstellen, die die DDR noch bewusst miterlebt haben. Erstmals wird dies auch in der gemeinsamen Erklärung der Initiativen deutlich angesprochen:
Das Beispiel des Staatssicherheitsdienstes in der DDR zeigt, wie eine die Gesellschaft insgesamt durchdringende Sicherheitskrake das Gegenteil bewirkt. Sie löst alle Sicherheit und am Ende sogar diejenige des Sicherheitssystems selbst auf.
Auch hier wird aber letztlich doch wieder funktional im Sinne der Sicherheit argumentiert. Neben dem Verweis auf die Kontraproduktivität ausufernder Sicherheitspolitik wäre dabei die Menschenwürde ein zentraler Ansatzpunkt. Damit wäre endlich auch die ethische und gesellschaftspolitische Begründung für alle bürgerrechtlichen Einwände gegen Überwachungsmaßnahmen auf dem Tisch. Auf die Bedeutung des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichtes von 1983, in dem aus der Menschenwürde ein "Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung" abgeleitet wurde, ist zwar in verschiedenen Stellungnahmen der letzten Zeit hingewiesen worden. Um im öffentlichen Diskurs Gehör zu finden, muss aber offenbar noch stärker betont werden, dass Grundrechte nicht gegen normale Gesetze oder Verordnungen abgewogen werden können, sondern unveräusserliche Rechte darstellen.
"Geheimdienste reformieren"
In der öffentlichen Debatte werden bislang vor allem polizeiliche Maßnahmen wie die Rasterfahndung oder verstärkte Videoüberwachungen diskutiert. Dabei wird recht wenig zur Kenntnis genommen, dass ein großer Teil der geplanten Sicherheitsgesetze darauf zielt, die Trennung zwischen Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden aufzuheben. So soll im kurzfristig zurückgezogenen eCommerce-Gesetz auch dem Verfassungsschutz der Zugriff auf gespeicherte Provider-Daten erlaubt werden, und generell sollen alle Behörden ihre Daten leichter austauschen können. Der amerikanische Justizminister John Ashcroft hat dies in einer Pressekonferenz am 18. Oktober in dankenswerter Klarheit formuliert: "Tearing down the wall between intelligence and criminal information is one of the most important steps we will make or we will be able to take." Aufgrund des grundgesetzlichen Trennungsgebotes wird diese Forderung in Deutschland nicht so offen erhoben, aber die Tendenz läuft auch hierzulande in die gleiche Richtung.
Vereinzelt wird von Bürgerrechtlern in Diskussionen darauf hingewiesen, dass die Trennung von Polizei und Geheimdiensten gerade aufgrund der Erfahrungen mit der GeStaPo und dem Reichssicherheitshauptamt unter den Nationalsozialisten ins Grundgesetz geschrieben wurde. Diese Argumentation ist derzeit allerdings offenbar nicht öffentlichkeitstauglich, denn sie findet sich in keiner der einschlägigen Erklärungen aus diesem Spektrum. Wenn man schon politisch ausgegrenzt wird, sobald man Kritik an der Politik der USA anmeldet, dann erschien es offenbar zunächst nicht ratsam, Vergleiche zwischen der herrschenden Sicherheistpolitik und dem "Dritten Reich" anzustellen. Explizit wird dieser erstmals in der gemeinsamen Erklärung der Initiativen gemacht:
Im letzten Jahrhundert waren die größten deutschen Verbrecher, auf deren Konto nicht nur zwei Weltkriege und die Vernichtung der europäischen Juden gingen, politische und militärische Führer sowie ihre willigen Vollstrecker in übermächtigen Staatsapparaten. Daraus zog man nach 1945 unter anderem zwei Lehren, die drohen, vergessen zu werden: die Trennung von Informations-/ Geheimdiensten und Polizei (sie sollte eine neue Gestapo verhindern) und eine föderalisierte Polizei an Stelle des Reichssicherheitshauptamtes.
Häufiger war bislang eine Kritik an der Arbeit der Geheimdienste selber zu vernehmen. So schreibt die Humanistische Union in ihrer Erklärung vom 12. Oktober, "das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Geheimdienste ist nach dem 11. September nachhaltig erschüttert worden." Auch der Grüne Länderrat spricht in seinem Beschluss vom 6. Oktober vom "Versagen der Geheimdienste in den USA". Konkreter wurde unter anderem Andy-Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club, der in einem Interview mit dem ZDF die Kritik an der technischen Herangehensweise vor allem der NSA aufgriff. Überlegungen, "ob man in den letzten 15 Jahren nicht zuviel Geld für Abhörgeräte und Abhörstrukturen wie Echelon ausgegeben hat, und viel zu wenig Geld in Menschen investiert hat, die fremde Kulturkreise, ihre Probleme und ihr Aggressionspotential verstehen", gehen nach seiner Einschätzung "in die richtige Richtung". Auch für das Netzwerk neue Medien, das sich am 18. September zu den geplanten Antiterror-Maßnahmen äusserte, "macht der bestürzende Anschlag deutlich, dass auch einer der technisch hochgerüstetsten und bestausgestattesten Geheimdienste der Welt diese Form von Terrorismus nicht verhindern konnte."
Populär ist daher momentan eine Forderung, die Arbeit der Geheimdienste grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. So schlägt der Grüne Länderrat die "Einberufung einer Strukturkommission zur Reform der Geheimdienste vor", die ähnlich wie die 1998 geschaffene Weizsäcker-Kommission zur Reform der Bundeswehr eine unabhängige Analyse und Verbesserungsvorschläge erarbeiten soll. Solche Forderungen knüpfen auch an dem Frust der Konservativen über die Ineffektivität der bestehenden Geheimdienststrukturen und -Fähigkeiten an, sie dürften daher sogar eine gewisse Chance auf Erfolg haben. Auch die Ergebnisse der Weizsäcker-Kommission zielten allerdings eher in Richtung einer weiteren Modernisierung und Interventionsfähigkeit der Bundeswehr und haben die grundsätzliche Frage nach dem Sinn von Streitkräften erst gar nicht gestellt. Entscheidend wird daher sein, in welche Richtung eine mögliche Reform der Geheimdienste angeschoben wird. Der Grüne Länderrat hat bereits eine klare inhaltliche Positionierung in dieser Frage verpasst, wenn er vieldeutig verlangt, dass "insbesondere auch die Qualität des Zusammenwirkens der Dienste und der Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden zu überprüfen" ist. Deutlich wird von den Grünen immerhin gefordert, dass eine solche Kommission "Vorschläge zur Optimierung der Kontrolle der Dienste vorlegen" sollte.
Ob man dies unter den herrschenden politischen Kräfteverhältnissen dann wirklich durchsetzen kann, ist fraglich. Die Humanistische Union fordert daher bereits die "Beteiligung bürgerrechtlicher Gruppen" an einem solchen möglichen Reformprozess. Auch hier wird eine bessere Kontrolle der Dienste allerdings zur Legitimation weiterer Befugnisse für dieselben gemacht, denn im gleichen Absatz heisst es in der HU-Erklärung: "Die derzeit zu beobachtende maßlose Erweiterung geheimdienstlicher Befugnisse könnte allenfalls durch eine gleichzeitige deutliche Verbesserung justizieller und parlamentarischer Kontrollmöglichkeiten gerechtfertigt werden". Der Bundesdatenschutzbeauftragte Joachim Jacob ist da deutlicher. Er warnte bereits eine Woche nach den Anschlägen vor solchen Überlegungen. "Es ist einfach falsch, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, das dieses furchtbare Attentat durch weiter reichende rechtliche Befugnisse hätte vermieden werden können."
Eine grundsätzliche Kritik an den Geheimdiensten ist derzeit nur sehr vereinzelt zu hören. Verschiedene Mitglieder des CCC oder auch die Berliner Europaabgeordnete Ilka Schröder etwa verlangten wiederholt ihre vollständige Abschaffung. Dabei wird bislang noch gar nicht thematisiert, ob die Geheimdienste selber auch eine der Ursachen für die Anschläge vom 11. September waren. Die Taliban und ihre Koranschulen sind ja bekanntermaßen vom pakistanischen Geheimdienst ISI aufgebaut worden und haben auch Unterstützung durch die CIA erhalten. Alle Forderungen nach besserer Kontrolle und Reform der Dienste gehen daher an der grundsätzlichen Frage vorbei, inwieweit die Existenz von staatlichen Geheimorganisationen an sich schon eine Gefahr für freie Gesellschaften und für die internationale Stabilität ist. Die berechtigte Kritik an einer zu technischen, an Massenüberwachung ausgerichteten Arbeit der Dienste verleiht im übrigen auch solchen Vorschlägen Nachdruck, wieder stärker auf Undercoveragenten, verdeckte Ermittler und Infiltration von terroristischen Gruppen zu setzen. Die Forderungen der deutschen Sicherheitspolitiker, unbeschränkt Straftaten durch V-Leute zuzulassen, oder die neue Politik der Bush-Regierung in den USA, auch Mordanschläge durch CIA-Mitarbeiter im Ausland zu erlauben, zeigen die Gefahr einer solchen Argumentation. Was nicht stattfindet, ist eine grundsätzliche Debatte darüber, ob der Rechtsstaat sich überhaupt in seinen Mitteln den Terroristen annähern kann und sollte.
"Der politische Kontext muss bedacht werden"
Alle bisher dargestellten Positionen bewegen sich innerhalb des derzeitigen Sicherheitsdiskurses. Überwiegend kritisieren sie die von den Sicherheitspolitikern vorgeschlagenen Maßnahmen hinsichtlich ihrer Effektivität oder Verfassungsmäßigkeit und bewegen sich daher letzlich auf technischem oder juristischem Terrain. Einen Ansatz von originär politischen Überlegungen enthält lediglich die Forderung nach Befristung der neuen Gesetze und Verordnungen, sie ist aber, wie dargstellt, recht naiv. Den politischen Kern der gesamten derzeitigen Diskussion um die innere Sicherheit zu thematisieren, also nach Interessenlagen politischer Akteure und ihren Hintergründen zu fragen, erschien in der ersten Zeit nach den Anschlägen offenbar zu riskant.
Inzwischen sind aber immer deutlicher auch Stimmen zu vernehmen, die eine solche Debatte zumindest anstoßen wollen. Beispielhaft hat dies Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club getan, der in dem ZDF-Interview zur Frage der Online-Überwachung darauf hinwies, "dass dem Internet mit seinen Möglichkeiten derzeit pauschal die Schuld an allem Bösen in der Welt zugewiesen wird. Offenbar sehen Politiker und Geheimdienstler keine andere Möglichkeit, ihre Versäumnisse in anderen Bereichen zu kaschieren." Thilo Weichert vom unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein hat in seiner Erklärung vom 17. September bereits sehr früh die Forderungen der Sicherheitspolitiker als "populistische Argumente" bezeichnet, und auch anderswo ist häufig zu hören, dass nach dem 11. September einfach in den Innenministerien alle Entwürfe aus den Schubladen gezogen wurden, die dort schon lange schlummerten. Dass die CDU im Berliner Landeswahlkampf die innere Sicherheit als Wahlkampfthema instrumentalisierte, ist bekannt und wird auch von ihr selber gar nicht bestritten. Ob andere Akteure wie Bundesinnenminister Otto Schily aber wirklich aus populistischen Motiven handeln oder aus dem ehrlichem Willen, etwas für die Sicherheit der Bevölkerung zu tun, dürfte nicht so ganz einfach nachzuweisen sein.
Für die Argumentation pro Datenschutz ist dieser Nachweis aber gar nicht unbedingt entscheidend, und man kann hier auch schnell bei Verschwörungstheorien landen. Einen Schritt zurück kann aber durchaus gefragt werden, wem denn die geforderten Überwachungsmaßnahmen wirklich nutzen. Vielen der neuen Gesetzesentwürfe werden zwar in der Einleitung mit "Terrorismus" begründet, aber beim genauen Nachlesen zeigt sich, dass die erweiterten Kompetenzen für Geheimdienste und Polizei unabhängig davon sind. Anhand solcher Punkte kann sehr gezielt der Nachweis geführt werden, dass die Anschläge nur ein willkommener Anlass waren, um lange gehegte Begehrlichkeiten durchzusetzen. Der Chaos Computer Club etwa hat dies in seiner Erklärung vom 22.10. am Beispiel der Computerkriminalität deutlich gemacht:
Die Auflistung von Vorschlägen zur Bekämpfung von Computerkriminalität in einem Papier des Innenministeriums zur Terrorismusbekämpfung wirft zunächst die Frage nach dem Zusammenhang auf. Gerade die Terroranschläge der letzten Wochen sind dem Bereich der "low-tech" Kriminalität zuzuordnen und haben bislang genau keinen nachgewiesenen Bezug zu modernen Kommunikationsnetzen.
"Ursachen für Terrorismus bekämpfen"
Alle bisher dargestellten Argumentationen sind im Kern defensiv. Sie regieren jeweils auf die offensiv vorgetragenen Vorschläge der Sicherheitspolitiker und versuchen, sie zu verhindern oder zu begrenzen. Darüber hinaus weisen sie aber nur in Einzelpunkten den Weg zu einer eigenständigen Position, die auch politisches Handeln möglich macht. Der einzige Weg, der bislang erkennbar aus diesem Problem hinausführt, ist zugleich auch der gewagteste. Hier wird nämlich die gesamte Diskussion um 180 Grad gedreht und das Terrorismusproblem von der anderen Seite her aufgezäumt. Anstatt davon auszugehen, dass es Terroristen einfach gibt und man diese nur aufspüren oder ihre Handlungen verhindern muss, wird stattdessen gefragt, was Menschen überhaupt dazu bringt, solche Anschläge auszuführen oder zu unterstützen. Beispielhaft hat dies das Netzwerk Neue Medien am 18. September getan, als es erklärte:
"Statt auf die weitere Einschränkung von Schutzrechten gegenüber dem Staat zu setzen, wie sie jetzt aus konservativen Kreisen gefordert wird, muss es darum gehen, die Ursachen und das Klima zu bekämpfen, aus dem Terrorismus entsteht."
Auch das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FifF) hat auf seiner Mitgliederversammlung am 29. September in eine ähnliche Richtung argumentiert. In dem dort beschlossenen "Appell für Frieden und Freiheit" heißt es:
Stattdessen tritt das FIfF für die Bewahrung und Stärkung einer demokratischen, freiheitlichen, solidarischen Gesellschaft ein, die dem interkulturellen Dialog verpflichtet ist. Das FIfF spricht sich für die Schaffung einer neuen Weltordnung unter Leitung der Vereinten Nationen aus, damit weltweit die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen beseitigt werden, die für Hunger, Armut, Unterdrückung, Ausbeutung und mangelnde Entwicklungschancen verantwortlich sind.
An diesem Beispiel werden allerdings auch die Grenzen einer solchen Argumentation deutlich. Es ist nämlich noch überhaupt nicht erwiesen, ob die Ursachen für den islamistischen Terrorismus wirklich in Armut und Unterdrückung zu suchen sind. Immerhin ist Osama Ibn Ladin bekanntermaßen Multimillionär. Pauschale Gutmenschen-Forderungen können daher schnell als Naivität ausgelegt werden. Dass dies nicht so einfach zu machen ist, wird auch in der Initiativen-Erklärung anerkannt, die einen solchen Weg ausdrücklich als "mühsam" bezeichnet:
Nur die mühsame Suche nach weltweit demokratischen und sozialen Lebensverhältnissen, welche zugleich den Boden von Grund- und Menschenrechten bilden, verspricht den legitimen Sicherheitsinteressen aller Menschen gerecht zu werden.
Um diese Position weiter zu entwickeln, dürfte es hilfreich sein, die umfangreiche wissenschaftliche Forschung zum Terrorismus auch von dieser Seite zur Kenntnis zu nehmen. Zu weit können sich allerdings die klassischen Organisationen aus dem Bereich der Bürgerrechte oder auch der neuen Medien nicht auf dieses Terrain begeben. Sie drohten sonst, ihr originäres Profil aufzugeben und ihre wichtige Funktion als "Warnmelder" in diesem Bereich zu verlieren. Die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, Jutta Limbach, hat dies bereits drei Tage nach den Anschlägen in den USA deutlich gemacht. In ihrer Rede zum vierzigjährigen Jubiläum der Humanistischen Union sagte sie: "Die Humanistische Union wird auf ihrem Posten bleiben müssen, auf dass der Terror unsere liberale Gesellschaft nicht untergräbt". Dies gilt natürlich sinngemäß für ähnliche Organisationen.
Wie weiter?
Oliver Passek, Mitarbeiter der grünen Medienpolitikerin Grietje Bettin, schrieb schon am 28. September in einem Beitrag für politik-digital:
Doch die letzte Stunde der Bürgerrechtler hat noch nicht ganz geschlagen. Noch besteht die Chance zu einer Koalition der Vernunft, welche die "On"- und "Offline"-Aktivisten des gesamten Bürgerrechtsspektrums zusammenführen muss."
Eineinhalb Monate nach den Anschlägen in den USA scheint diese Hoffnung sich bewahrheitet zu haben. Die Bürgerrechtsszene hat begonnen, ihre Aktivitäten stärker zu vernetzen, und die gemeinsame Erklärung ist dazu ein deutlicher erster Schritt. Darüber hinaus werden derzeit in einem arbeitsteiligen Verfahren die einzelnen Aspekte der neuen Sicherheitspolitik - von der Rasterfahnung bis zur Internetüberwachung - von den Organisationen und Initiativen aufgearbeitet und mit fundierter Detailkritik versehen. Einige dieser ergänzenden und vertiefenden Analysen sind bereits fertiggestellt, für andere werden derzeit noch Kooperationspartner gesucht. Auf Initiative des Netzwerk Neue Medien wird ausserdem an einer Online-Plattform gearbeitet, die als Informationspool und als Kern für eine Online-Kampagne "Save Privacy" dienen soll. Sie wird voraussichtlich Anfang November gestartet werden.
Über diese eher tagesaktuelle politische Arbeit hinaus muss aber die inhaltliche Neuorientierung der Diskussion um Datenschutz und Privacy geleistet werden. Neben einer taktischen und strategischen Positionierung im Kontext der Antiterror-Diskussion und für das Wahljahr 2002 wäre es durchaus sinnvoll, diese Gelegenheit gleich für eine Generaldebatte zu nutzen. Bislang stützen sich nämlich fast alle Argumente für Datenschutz und Privatsphäre auf die Diskussion um den Überwachungsstaat aus den achtziger Jahren. Ob sich in der Mediengesellschaft mit Aufmerksamkeitsökonomie und Big Brother von RTL ein grundsätzlicher Wandel im Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit zeigt, der neue Fragen und neue Antworten erfordert, ist noch zu klären und innerhalb der Szene auch umstritten. Für diese Diskussion wird momentan von der Heinrich Böll Stiftung zusammen mit einigen anderen Initiativen und Organisationen ein Privacy-Kongress geplant, der wahrscheinlich im Juni 2002 in Berlin stattfinden wird. Auch hier soll die Vorbereitungsphase für inhaltliche Diskussionen und eine bessere Vernetzung zwischen den verschiedenen Organisationen genutzt werden. Spannend für die weitere politische Entwicklung wird dabei unter anderem sein, inwieweit es gelingen kann, auch die Privatwirtschaft wieder stärker in die Datenschutz- und Überwachungsdiskussion einzubinden. Immerhin hatten auch die Unternehmensverbände noch am Morgen des 11. September erklärt, dass sie weiterhin gegen die Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) seien.