Wiederaufbaupläne für Syrien
Der Krieg geht in sein siebentes Jahr, das Land kommt nicht zur Ruhe. Und doch ist bereits von Wiederaufbau die Rede. Das verbündete Russland soll dabei eine führende Rolle übernehmen
Zwei Tage, nachdem der UN-Sicherheitsrat am 24. Februar 2018 für eine Waffenruhe in Syrien gestimmt hatte, wurde im Kongresszentrum der Industrie- und Handelskammer der Russischen Föderation eine Tagung zur künftigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit Russlands und Syriens eröffnet. Die soll sich nach dem Willen ihrer Befürworter über diverse Gebiete erstrecken: von der Landwirtschaft und dem Energiesektor über die Bauwirtschaft und die chemische Industrie bis hin zu Medizin und Pharmazie sowie den Tourismus. Bis zu 500 Milliarden US-Dollar könnte der Wiederaufbau des zerstörten Landes kosten, so Schätzungen. Nach dem Willen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad sollen die russischen Verbündeten bei den anstehenden Projekten vorrangig bedacht werden.
Syrische Regierungsvertreter hatten vor der russischen Industrie- und Handelskammer in Moskau 26 Vorhaben vorgestellt. Dazu gehören etwa eine geplante Eisenbahnlinie, die die syrische Hauptstadt mit ihrem Flughafen verbindet, oder Industrieanlagen zur Produktion von Hefe über Reifen bis hin zu Zement.
Die geplanten Projekte stehen vor großen Herausforderungen, nicht zuletzt wegen der Frage, wer sie finanzieren wird. Russland hatte versucht, die europäischen Regierungen an der Finanzierung des Wiederaufbaus zu beteiligen. Jene Staaten, die große Kontingente an syrischen Flüchtlingen aufnahmen, wie der Libanon oder die Türkei, haben die EU ihrerseits aufgefordert, die ihnen damit auferlegte Last durch die Unterstützung des Wiederaufbaus vor Ort zu mindern.
Die großen EU-Staaten bestehen jedoch darauf, dass es zunächst ein Abkommen geben muss, das den Konflikt beendet und einen politischen Übergang einleitet. Stattdessen nimmt man wohlwollend zur Kenntnis, dass die zur Schau getragene Verweigerungshaltung den Druck auf Russland erhöht. Doch die Russen hoffen, dass sich auf der für den Frühling geplanten 2. Brüsseler Konferenz zur Unterstützung der Zukunft Syriens und der Region realistischere Töne Gehör verschaffen würden, die letztendlich zu einer Umsetzung der benötigten Finanzierung führten.
Russland mit Exklusivrechten an syrischem Öl und Gas
Wie der Branchendienst oilprice.com bereits zuvor meldete, wurden Russland im Rahmen eines Ende Januar 2018 mit Syrien unterzeichneten Abkommens zur Energiekooperation exklusive Rechte an der Öl- und Gasförderung in Syrien zugestanden. 2016 hatte Baschar al-Assad bereits Übereinkommen unterzeichnet, die Teile des syrischen Energiesektors an den russischen Partner übertrugen. Das betraf auch Besitzverhältnisse bei Ölfeldern, Förderanlagen und Kraftwerken. Diese Übereinkommen waren eine Ergänzung des Partnerschaftsabkommens von 2013, das Russland die Entwicklung der syrischen Offshore-Erdgasfelder zusagte.
Das nunmehr getätigte Abkommen geht über die Zusage von Exklusivrechten hinaus und beinhaltet beispielsweise auch Pläne zur Sanierung beschädigter Bohranlagen und anderer Infrastruktur.
So soll das Wärmekraftwerk von Aleppo wieder hergerichtet werden. In Deir ez-Zor ist ein neues Kraftwerk geplant, die Kapazität der Anlagen in Mharda und Tishreen soll erweitert werden. Außerdem ist die Unterstützung bei der Energieberatung und der Ausbildung einer neuen Generation syrischer Fachkräfte für den Öl- und Gassektor vorgesehen. Die Bemühungen sollen zu einer Normalisierung der sozioökonomischen Lage im Lande beitragen. Ein für die russische Seite wichtiger Aspekt des Abkommens ist die Festigung der eigenen Interessen im Nahen Osten.
Längerfristig gesehen könnten sich die Russen auch an den erheblichen Kosten des Wiederaufbaus des Öl- und Gassektors in Syrien beteiligen. Bohranlagen, Pipelines, Pumpstationen müssen repariert und wieder in Betrieb genommen werden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte 2015 die dafür nötigen Ausgaben mit 27 Milliarden US-Dollar beziffert, aktuelle Schätzungen gehen von 35 bis 40 Milliarden US-Dollar aus.
Syrien war vor dem Bürgerkrieg zwar der größte Erdölförderer im östlichen Mittelmeerraum, doch global gesehen ist die Produktion mit 0.5 % der Weltförderung eher gering, das Land gehört nicht zu den großen Ölexporteuren der Erde. Trotzdem machten die erzielten Ölverkäufe 2010 noch 25 % der Staatseinnahmen Syriens aus. Der Krieg geht nun in sein siebentes Jahr. Vor seinem Ausbruch lag die syrische Ölproduktion bei rund 380.000 Barrel pro Tag. Seit seiner Rekordproduktionsrate von 677.000 Barrel pro Tag im Jahre 2002 ist sie seit einiger Zeit rückläufig. Die derzeitige Produktion liegt immer noch bei ca. 15.000 Barrel pro Tag. Das Öl wurde bisher entweder im Inland raffiniert oder exportiert.
Wegen der größeren Bedeutung für die Binnenwirtschaft Syriens fiel der Produktionsrückgang bei Erdgas bisher vergleichsweise weniger drastisch aus, von 8 Milliarden auf 4 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. 90 % des produzierten Gases wurden verstromt - deshalb hatte die Rückeroberung von Erdgasfeldern Priorität für die syrische Regierung.
Pläne zum Wiederaufbau des Energiesektors
Auf den syrischen Energiesektor kommt ein umfangreicher Wiederaufbau zu. Im September 2017 war bekannt geworden, dass der Iran nach Beendigung des Konflikts eine Ölraffinerie in der Nähe von Homs neu bauen, zwei weitere wiederaufbauen und das Stromnetz des Landes instandsetzen wolle.
Es bleibt jedoch unklar, ob das ursprüngliche Projekt tatsächlich umgesetzt werden kann, da dessen Durchführung einem Konsortium des Iran, Venezuelas und Syriens oblag. Wegen Venezuelas momentan desolater Lage muss eine neue Lösung gefunden werden. Die Iraner hatten sich in Syrien bereits den Telekommunikationssektor gesichert. So hat die Iranische Revolutionsgarde den Zuschlag für den Aufbau des syrischen Mobilfunknetzes bekommen. Für weitere massive Investitionen in die syrische Infrastruktur fehlen jedoch die Mittel. Der Iran ist selber auf ausländische Hilfe angewiesen, um die alternde Infrastruktur im eigenen Land zu erneuern. Teile des Projekts finden sich nun in den neuen Abkommen mit Russland wieder.
Europäische Unternehmen werden erst dann ein Interesse an Syrien bekunden, wenn das EU-Embargo aufgehoben wird, das zunächst noch bis zum bis 1. Juni 2018 in Kraft ist.
Da die Militäroperationen in Syrien bisher keinen Regimewechsel herbeiführen konnten und Assad immer noch im Amt ist, ist auch eine Verlängerung dieses Embargos vorstellbar. Russlands Angst vor Konsequenzen wird sich zwar in Grenzen halten, da es sich bereits europäischen und US-amerikanischen Sanktionen ausgesetzt sieht. Und doch könnte ein verlängertes Embargo Probleme für die Finanzierung der Projekte mit sich bringen.
Patt am Euphrat? Verteilung der Rohstoffe mit Potential für neue Konflikte
Einer der bei den Kriegsparteien begehrtesten Stücke des syrischen Kuchens sind die bedeutenden Öl- und Gasvorkommen der östlichen Region Deir ez-Zor. Sie sind für die wirtschaftliche Zukunft Syriens von entscheidender Bedeutung. Die Situation wird erschwert durch die existierende Pipeline-Infrastruktur in Richtung der dicht besiedelten Gebiete im Westen Syriens und in die für den Export wichtige Küstenregion von Latakia.
Die Kämpfe in der Region von Deir ez-Zor haben dazu geführt, dass die Regierungstruppen die westlichen Ufer des Euphrat und seine Infrastruktur kontrollieren, während die SDF die östliche Seite beherrscht, die die meisten Kohlenwasserstoffvorkommen führt. Es bleibt unklar, was mit den von westlich unterstützten Milizen eroberten Feldern geschehen wird - zum Beispiel mit Syriens größtem Ölfeld al-Omar, in dem 100.000 Barrel pro Tag gefördert werden können. Die von den USA unterstützten Syrian Democratic Forces (SDF) hatten das Feld im Oktober 2017 des IS zurückerobert. Royal Dutch Shell hatte das Feld schon vorher aufgrund des Embargos abschreiben müssen.
Ölförderung- und Schmuggel waren eine bedeutende Einkommensquelle des Islamischen Staats - auf dem Höhepunkt dieses Geschäftsmodells 2015 sollen eine Zeit lang täglich bis zu 1.5 Millionen US-Dollar eingespielt worden sein. Die Niederlage von ISIS in der öl- und gasreichen Region hat möglicherweise einen neuen Brennpunkt geschaffen - für die SDF ist die Kontrolle der Öl- und Gasfelder ein wichtiges Druckmittel für Verhandlungen mit Damaskus.
Die Syrer scheinen wiederum zu beabsichtigen, den Energiesektor unter Führung des nationalen Ölkonzerns SPC zu konsolidieren. Unter anderem durch eine Ausweitung der politischen Rechte der überwiegend kurdisch besiedelten nördlichen Provinzen mit ihren Schwerölvorkommen könnte das in einem vereinten Syrien gelingen.
Damit ist jedoch das Thema des Ölverkaufs noch nicht vom Tisch. Der größte Teil des syrischen Exportöls war vor dem Bürgerkrieg für Europa bestimmt, zum Teil wegen seiner geografischen Nähe und zum Teil, weil die europäischen Unternehmen Shell und Total die größten Anteilseigner des Sektors waren. Dies ist aktuell nicht möglich, solange das EU-Verbot für Öl- und Gasimporte aus Syrien bestehen bleibt. Der neue Eigentümer müsste sich also um neue Absatzmärkte kümmern, indem er sich auf angrenzende Länder wie die Türkei oder den Libanon stützt oder Käufer in Asien sucht.
Zugriff auf Rohstoffe und wachsender Einfluss durch Pipeline-Geopolitik
Syriens nachgewiesene Reserven (Stand 2016) von 2.5 Milliarden Barrel Öl und 2.4 Billionen Kubikmeter Gas könnten im Vergleich zu denen des benachbarten Iraks oder des verbündeten Irans zweitrangig erscheinen.
Zudem bestehen ein Drittel der Ölreserven aus schweren, hochviskosen Rohölen, von denen Russland selber große Vorkommen hat und die Ausbeutung dieser Ölvorkommen deshalb vermutlich nicht oberste Priorität für die Russen haben wird.
Wiederaufbau und Betrieb der syrischen Infrastruktur sind interessanter: Über die Kontrolle von Pipelines, Raffinerien, Verflüssigungsanlagen und Hafeninstallationen lässt sich Syriens Bedeutung als Knotenpunkt für den Energieträgertransport in einen weiter zunehmenden geopolitischen Einfluss Russlands im östlichen Mittelmeerraum ummünzen. Das hätte auch Folgen für die Gasversorgung der Europäischen Union, etwa im Falle der Verwirklichung der "Friendship Pipeline" (bzw. "Islamic Pipeline"), die iranisches Gas durch den Irak und Syrien in den Libanon bringen soll.
Im Vergleich mit einer Ölförderung vor Ort scheint die Kontrolle der Gasfelder momentan die bevorzugte Option für Russland zu sein, da Gas der dominierende Stromerzeuger in Syrien bleiben wird. Darüber hinaus beherbergt der Kontinentalschelf des östlichen Mittelmeeres große Offshore-Gasfelder wie Zohr, Leviathan, Aphrodite oder Tamar. Russland ist hier schon aktiv: Mit Nowatek soll das Offshore-Gas des Libanon erschlossen werden. 2015 hatten der russische Präsident Wladimir Putin und der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu außerdem vereinbart, Gazprom größere Zugeständnisse bei der Entwicklung der Leviathan-Reserven Israels einzuräumen. Syriens Offshore-Potential hingegen ist nach wie vor noch weitestgehend unbekannt. Es kursieren lediglich Vermutungen, nach denen der vor Syriens Küste zu hebende Schatz mit dem der anderen Anrainer vergleichbar sein könnte.
Bisher gab es kaum Diskussionen darüber, welches russische Unternehmen die Aufgabe der Wiederbelebung des syrischen Energiesektors übernehmen soll. 2013 war Sojusneftegaz nach Syrien gegangen, um Syriens Offshore-Gasreserven auszubeuten, nur um im Jahr 2015 wieder auszusteigen. Ein anderer Kandidat ist Tatneft, ein staatseigenes Unternehmen und Russlands fünftgrößter Produzent, das in den Öl- und Gasfeldern von Tatarstan fördert und 2010 nach Deir ez-Zor kam, um sich im dortigen South Kisham-Feld anzusiedeln. Auch Tatneft hatte seine Aktivitäten aufgrund des tobenden Bürgerkriegs ausgesetzt. Darüber hinaus ist noch unklar, ob sich die großen staatlichen Unternehmen Rosneft und Gazprom Neft beteiligen werden.