Wiedergutmachung von Unrecht oder Arisierung 2.0?

Der Münchner "Kunstfund" wirft Fragen zum Schutz vor staatlicher Willkür auf

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Am letzten Wochenende meldete das Nachrichtenmagazin Focus, dass in einer angeblich "völlig vermüllten" Schwabinger Wohnung 1.500 Gemälde und Grafiken beschlagnahmt wurden, die bislang als verbrannt oder anderweitig verschollen galten. Andere Medien machten daraus umgehend einen "Nazi-Kunstschatz" und spekulierten wild darüber, wie der Vater des Besitzers an die Werke bekannter Maler der Moderne kam.

Erst vier Tage später folgten offizielle Stellungnahmen des Augsburger Oberstaatsanwalts Reinhard Nemetz, des Münchner Zollfahndungsamtsleiters Siegfried Klöble, der mit der Begutachtung der Bilder betrauten Berliner Kunsthistorikerin Meike Hoffmann und des Bundesregierungssprechers Steffen Seibert. Nach diesen Stellungnahmen bleiben allerdings mehr Fragen offen als vorher. Die drängendsten davon drehen sich nicht um die Kunstgeschichte, sondern um den Rechtsstaat.

Franz Marc: Pferde in Landschaft. Bild: Public Domain.

Den offiziellen Angaben nach waren die Bilder – anders als der Focus und andere Medien berichtet hatten – in "sehr gutem Zustand" und "fachgerecht gelagert". Außerdem handelt es sich bei den "gefundenen" Kunstwerken nicht nur um 1.500 Werke, die im Nationalsozialismus geächtet waren, sondern um 1.406 Objekte aus dem 16. bis ins 20. Jahrhundert. Wie sich die Anteile prozentual verteilen, wird bislang ebenso geheim gehalten, wie der Grund für die Ausstellung der richterlichen Anordnung zur Durchsuchung der Wohnung des Sammlungsbesitzers Cornelius G.

Der Focus hatte suggeriert, dass der Anlass für die Durchsuchung eine Zollkontrolle im Zug von Zürich nach München gewesen sei, bei der G. 18 neue 500 Euro-Scheine mit sich führte. Das liest sich zwar verdächtig, aber wenn man eine einfache Multiplikation vornimmt, dann kommt man auf 9.000 Euro – eine Summe, die 1.000 Euro unterhalb der erlaubten Bargeldeinfuhrgrenze liegt. Außerdem fand die Hausdurchsuchung erst 17 Monate und sechs Tage nach der Zollkontrolle im Zug statt. Dazu, was in dieser Zeit an Ermittlungsmaßnahmen stattfand, schweigen die Behörden.

Ihren anderen Ausführungen ist zu entnehmen, dass es offenbar "weitere Indizien" auf Verstöße gegen Steuervorschriften gab. Das könnte den Verkauf einzelner Werke betreffen. Da Cornelius G. aber nicht in München, sondern in Salzburg gemeldet war, ist unklar, inwieweit hier tatsächlich deutsches Steuerrecht greift.

Vom ZDF bis zur Bild-Zeitung diskutiert man allerdings nicht über Steuerrecht, sondern über mögliche Ansprüche ehemaliger Besitzer. Eines der Bilder, ein Matisse, könnte Meike Hoffmann zufolge nämlich aus dem Besitz des Kunsthändlers Paul Rosenberg stammen, der es 1940 bei seiner Flucht aus Frankreich zurücklassen musste. Solche Ansprüche wären jedoch zivilrechtlicher Art und würden die Frage aufwerfen, auf welcher Rechtsgrundlage die Beschlagnahme der Bilder erfolgte.

Hinzu kommt, dass einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge ein großer Teil der Kunstwerke bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg von den Siegermächten beschlagnahmt und fünf Jahre später an Cornelius G.s Vater Hildebrand zurückgegeben worden sein soll. Lediglich zwei Gemälde seien damals von den Alliierten einbehalten worden. Das geht angeblich aus alten Verhörprotokollen hervor.

Es scheint deshalb durchaus möglich, dass es sich beim Löwenanteil der jetzt erneut beschlagnahmten Bilder nicht um solche handelt, die von Privatpersonen stammen, welche sie auf der Flucht zurücklassen oder aufgrund eines politisch, rassisch oder religiös bedingten Ausreisedrucks weit unter Wert verkaufen mussten. Immerhin verkauften in den 1930er Jahren viele Museen unter regimenaher Führung eifrig Kunstwerke, die sie nicht mehr in ihren Ausstellungsräumen und Lagerhallen haben mochten.

Arisierung 2.0?

Illegale Arisierungen kann man solche Verkäufe kaum nennen – vor allem dann nicht, wenn es sich bei einem Käufer wie dem Kunsthändler Hildebrand G. um einen "Vierteljuden" handelte. Eher sind sie ein Stück Geschichte, mit dessen Aufarbeitung sich viele Kunsthistoriker bis heute schwertun. Sollten die Museen 2013 tatsächlich Ansprüche auf Werke aus G.s Sammlung geltend machen, dann müssten sie sich fragen lassen, wie sie sich in den 1930er und 1940er Jahren darstellen wollten, ob sie an ihrem Verlust nicht selbst schuld sind und ob es nicht auch eine Form von "Arisierung" wäre, wenn man Hildebrand G.s Erben die damals verkauften Bilder wieder abnimmt.

Merkwürdig erscheint allerdings auch, dass der am 9. November 1956 verstorbene Hildebrand G. und dessen Ehefrau Helene angegeben haben sollen, die Gemälde seien mitsamt der Geschäftsunterlagen dazu Februar 1945 in einer Feuersbrunst nach einem alliierten Bombenangriff auf Dresden vernichtet worden. Wenn die G.s tatsächlich solch einen Totalverlust gemeldet haben sollten, riecht das aus heutiger Sicht nach Schuld und unsauberen Geschäften. Führt man sich jedoch die Umstände der damaligen Zeit vor Augen, dann wird solch ein Verhalten etwas verständlicher: Immerhin hatten G. und seine Ehefrau genug Gelegenheit gehabt, um zu lernen, dass man einem Staat schnelle und entschädigungslose Enteignungen durchaus zutrauen konnte.

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