Wien: Krasses Vorgehen gegen Klimaaktivisten

Lobau Camp Hirschstettner Straße II, im Hintergrund die Autobahn Südosttangente Wien. Bild (Oktober, 2021): Anton-kurt/CC BY-SA 4.0

Wiener Klimagerechtigkeitsbewegung versus Stadt: Der Protest gegen geplante Autobahnen und gewaltige Drohschreiben

Keinen Weihnachtsfrieden gibt es zwischen der Wiener Klimagerechtigkeitsbewegung und der Stadt Wien. Erstere hält seit dem Sommer Autobahnbaustellen im Bezirk Donaustadt besetzt. Letztere reagierte Mitte Dezember mit anwaltlichen Drohbriefen. Diese gingen längst nicht nur an direkt an der Baustellenbesetzung beteiligte Personen.

Anwaltsschreiben auch an 13- bis 14-Jährige

Anwaltsschreiben gingen unter anderem an die in der Öffentlichkeit stehenden Pressesprecherinnen der an der Besetzung beteiligten Organisationen, an Sophie Lampl, die Programmdirektorin von Greenpeace Österreich, an die zu Fragen von Menschenrechten, Arbeitsbedingungen und globaler Gerechtigkeit arbeitende Wiener NGO Südwind, an den Filmemacher Oliver Ressler, an die zu Verkehrsfragen forschende Wissenschaftlerin Barbara Laa sowie an 13- und 14-jährige Jugendliche. Insgesamt sollen laut Angaben der Gruppe "System Change not Climate Change" rund 50 Personen derartige Briefe bekommen haben.

Das Anwaltsschreiben wurde von der Kanzlei Jarolim verschickt. Deren Chef, Hannes Jarolim, ist Justizsprecher der sozialdemokratischen SPÖ und stellvertretender Vorsitzender des Justizausschusses des österreichischen Parlaments.

Ein pikantes Detail – wird doch Wien ebenfalls sozialdemokratisch regiert, wenn auch gemeinsam mit der Partei Neos als sehr kleiner Koalitionspartnerin. Bei der Stadt Wien weist man Anwürfe, dass dieses Naheverhältnis zwischen Kanzlei und Regierungspartei problematisch sein könnte, zurück.

Die Kanzlei Jarolim sei schon vor Jahren für das Projekt Stadtstraße ausgewählt und beauftragt worden – und zwar von der damaligen grünen Planungsstadträtin Maria Vassilakou. Die Kanzlei habe das gesamte Umweltverträglichkeitsverfahren für die Stadtstraße, deren Baustellen derzeit besetzt sind, für die Stadt Wien betreut, so die Aussage aus dem Wiener Rathaus.

Im Text des Anwaltsschreibens wird festgehalten, dass der "bestehende Dialog zwischen der Stadt Wien und den Aktivist*innen" zu keinen Ergebnissen geführt habe. Der Allgemeinheit entstünden durch "dieses rechtswidrige Verhalten und die Verzögerung der Bauarbeiten immens hohe Schäden". Die Stadt Wien sei verpflichtet, "diese Schäden von den Verursachern einzufordern".

Es bestehe "eine solidarische Haftung sämtlicher beteiligten Aktivist*innen für den gesamten Schaden". Sofern die Besetzung nicht sofort beendet werde, sei die Stadt Wien gezwungen, "sämtliche ihr zur Verfügung stehenden rechtlichen Schritte einzuleiten, um die entstandenen Schäden einzufordern."

Begründet wird diese Drohung unter anderem damit, dass die Stadt Wien "vermehrt mit Beschwerden von Bürger*innen und Anrainer*innen über das Verhalten der Aktivist*innen und dessen unmittelbare Auswirkungen auf die in der Umgebung ansässigen Familien konfrontiert" worden sei.

Letzterer Punkt verwundert, denn keine der besetzten Baustellen befindet sich in Nachbarschaft zu Wohnhäusern. Anrainer gibt es jedoch neben dem von der Klimabewegung als Basiscamp und Veranstaltungsort genutzten angemeldeten Zeltlager.

Dort gibt es tatsächlich regen Kontakt mit der Nachbarschaft, die regelmäßig Nahrung vorbeibringt. Eine nahegelegene Kirche stellt die Stromversorgung. Außerdem sind in der Donaustadt bereits seit Jahrzehnten lokale Initiativen gegen die Stadtstraße aktiv, darunter die Gruppe "Hirschstetten Retten", die ebenfalls einen anwaltlichen Drohbrief erhalten hat.

Klimaministerium: Aus für zahlreiche Autobahnprojekte

Für die Stadt Wien geht es in der Auseinandersetzung um viel. Denn sie befindet sich gerade in einer mit harten Bandagen geführten klima- und verkehrspolitischen Auseinandersetzung mit dem österreichischen Klimaministerium. Dieses hat in den vergangenen Monaten eine Evaluierung zahlreicher geplanter Autobahnprojekte in Österreich durchgeführt und den meisten davon Anfang Dezember das Aus verkündet. Darunter auch für eine Reihe geplanter, miteinander verwobener Autobahnen vor den Toren Wiens, im Osten Österreichs.

Unter anderem geht es um die so genannte Marchfeld-Autobahn und die Lobau-Autobahn. Letztere hätte den Nationalpark Donau-Auen untertunneln sollen. Für die Stadt Wien und das angrenzende Land Niederösterreich haben diese Autobahnen eine strategische Bedeutung, um die österreichische Ostregion für logistische Industrien zu attraktiver zu machen.

Mit der Lobau-Autobahn würde Wien außerdem an das transeuropäische Verkehrsnetz TEN-25 angeschlossen, welches Transportrouten von Südeuropa bis nach Danzig erschließt. Wien hätte hier eine Rolle als Knotenpunkt und Ost-West-Schnittstelle.

Die Stadt Wien, das Land Niederösterreich und die österreichische Wirtschaftskammer haben deshalb angekündigt, den Baustopp mit allen Mitteln bekämpfen zu wollen. Und hier spielt die Stadtstraße eine entscheidende Rolle. Diese als vierspurige Stadtautobahn geplante Straße ist eigentlich als Zubringer zur Lobau-Autobahn gedacht. Sie wird von der Stadt Wien und nicht dem österreichischen Bund verantwortet.

Eine Stadtstraße, die im Nirgendwo endet

Deshalb kann und will die Stadt Wien die Stadtstraße rechtlich gesehen auch bauen, selbst wenn deren Zweckdienlichkeit nun in Frage gestellt ist, da sie nun buchstäblich im Nirgendwo endet, wie auch Wiens Bürgermeister Michael Ludwig selbst wiederholt feststellte. Doch Wien will vor Ort Fakten schaffen und so daran arbeiten, einen Rollback des Baustopps für die Lobau-Autobahn und die Marchfeld-Autobahn zu erwirken.

Deshalb liegt es im Interesse der Stadt Wien, die Baustellen so schnell wie möglich geräumt zu bekommen. Sie rechnete allerdings scheinbar nicht mit der Widerstandsfähigkeit der Klimabewegung. Diese reagierte geeint und mit prominenter Unterstützung auf die anwaltlichen Drohbriefe. Am 15. Dezember gab es eine Pressekonferenz, auf der neben zahlreichen Betroffenen auch Annemarie Schlack, die Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich auftrat.

Sie sagte: "Die Stadt Wien hat mit diesen Einschüchterungsversuchen massiv das Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt. Wir kennen solche so genannten 'SLAPPS' – Strategic Lawsuits Against Public Participation – von anderen Regierungen oder Unternehmen." Personen derart zum Schweigen zu bringen, sei eine Beeinträchtigung des öffentlichen Diskurses, so Schlack weiter: "Damit wird zusätzlich das Recht der Menschen auf Zugang zu Information und Bürgerbeteiligung beschnitten."

Greenpeace-Programmdirektorin Lampl legte auf der Pressekonferenz die Mindestforderung der Klimabewegung dar und verlangte von der Stadt Wien eine öffentliche Entschuldigung "bei den jungen Klimaschützerinnen und Klimaschützern und allen anderen Betroffenen, die sie in Angst und Schrecken versetzt haben".

Eine solche Entschuldigung stand am 24. Dezember noch immer aus. Die Stadt Wien setzte in den vergangenen Tagen auf einseitige Medienkommunikation, in der sie in Dauerschleife behauptete, mit der Klimabewegung den Dialog zu suchen. Alle konkreten Dialogvorschläge seitens der Bewegung der vergangenen Monate und Wochen wurden jedoch von der Stadt ignoriert.

Am 22. Dezember veröffentlichte Rosa Mangold, eine 14-jährige Betroffene, einen offenen Brief an Bundespräsident Alexander van der Bellen. Darin heißt es:

Wir haben der Stadt Wien Gespräche angeboten, weil wir wirklich an einer klugen Lösung für den Verkehr in unserer Stadt interessiert sind. Damit wir aber ohne Angst solche Gespräche führen können, muss die Stadt die Drohungen gegen so viele Menschen, die uns teilweise einfach nur in Gedanken unterstützt haben, zurückziehen.

Offener Brief an Alexander van der Bellen

Furcht vor Klagen in Millionenhöhe

Dies sei bislang nicht geschehen. "Die Drohungen gegen uns sind alle weiter aufrecht. Wie sollen wir offen mit der Stadt über unsere Zukunft reden, wenn so viele von uns sich vor Klagen in Millionenhöhe fürchten?" Inzwischen hat die Stadt die Drohung gegen Rosa Mangold und eine weitere minderjährige Schülerin zurückgezogen und bezeichnet diese öffentlich als Fehler. Gegen alle anderen Betroffenen bleibt die Drohung jedoch aufrecht.

Dies veranlasste am 21. Dezember auch die Vereinigung bildender KünstlerInnen Wiener Secession zu einer Stellungnahme in Verteidigung ihres ebenfalls betroffenen Mitglieds Oliver Ressler. Darin heißt es, die Secession stelle sich geschlossen hinter Rössler und weise den Versuch "künstlerische Arbeit zu kriminalisieren in aller Schärfe zurück".

Kritische Auseinandersetzung mit der Klimapolitik sei von enormer gesellschaftlicher Bedeutung. "Derartige Versuche, diese wichtige Arbeit durch Drohbriefe zu zensurieren, werfen einen dunklen Schatten über das Demokratieverständnis der Wiener Stadtregierung."

Über diese prominenten Stellungnahmen hinaus bewies die Wiener Klimagerechtigkeitsbewegung mit einer Demonstration gegen die Kriminalisierungsversuche aus dem Rathaus ihre auch in der Vorweihnachtszeit bestehende Mobilisierungsfähigkeit. Aus dieser selbst gegrabenen Grube kommt die Stadt Wien so leicht nicht mehr heraus.