Wieso hält sich Tsipras an der Macht?
Politische Eigentore der Opposition. Griechenland ist zwischen Populisten jeglicher Couleur und der Medienmacht der Oligarchen gefangen
Die griechische Politik zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass statt Plänen für ein besseres und gerechteres Wirtschaften viel lieber die Fehler der jeweiligen Gegner thematisiert werden. Nach dem Motto "Die machen alles schlimmer als wir" versucht zurzeit die Nea Dimokratia am Stuhl von Ministerpräsident Alexis Tsipras zu rütteln.
Sie stellt sich dabei so ungeschickt an, dass Tsipras, der wegen unzähliger gebrochener Wahlversprechen unter Druck steht, in Umfragen wieder leicht zulegen kann. Die Frage, wieso Tsipras trotz seiner mehr oder weniger offen neoliberalen Politik immer noch am Ruder ist, lässt sich jedoch nur mit "Die anderen wären noch schlimmer" beantworten.
Ein ungeschickter Oppositionsführer
Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis wollte am Wochenende seinen Gegner Tsipras übertrumpfen. In seiner Pressekonferenz zum Abschluss der Internationalen Messe von Thessaloniki präsentierte er sein Regierungsprogramm. Der jeweilige Premier eröffnet die Messe und damit die politische Saison mit einer Rede und einer Pressekonferenz. Eine Woche lang halten kleinere Oppositionsparteien nach dem gleichen Schema ihre Veranstaltungen ab und am Ende der Woche hat der Oppositionsführer das Privileg, einen Kontrapunkt zu setzen.
Eine gute Ausgangsposition für Mitsotakis - könnte man meinen. Denn schließlich stehen bis Ende September die für die Bürger am schwersten zu stemmenden Steuerzahlungen an und neue Einschnitte sind angesichts der dritten Inspektion des dritten Rettungskreditprogramms bereits in Sicht. Mitsotakis machte jedoch so ziemlich alles falsch, was falsch gemacht werden kann.
Auf die Frage eines nordgriechischen Reporters, ob er denn nach seinem Wahlsieg das Büro des Premiers in Thessaloniki beibehalten und das Ministerium für Makedonien und Thrakien endlich wieder aufwerten würde, antwortete der Oppositionsführer zunächst, dass er sich darüber noch keine Gedanken gemacht habe. Das ist nicht weiter schlimm, wenn Mitsotakis nicht, Freud lässt grüßen, ein weiterer Satz entglitten wäre. Er sagte: "Ich bin nur an der Kommunikation interessiert, nicht an der Substanz."
Mitsotakis, der wegen seines schlaksigen Gangs und seiner oft unfreiwillig komischen Gebärden oft Ziel des Spottes ist, hatte tags zuvor die Nordgriechen mit einem weiteren Lapsus brüskiert. Dem lokalen Fußballverein PAOK FC wünschte er mit einem süffisanten Lächeln "eine gute Saison in Europa".
PAOK jedoch ist bei den Ausscheidungsspielen zur Gruppenphase der Europa League krachend ausgeschieden, weshalb der Satz von der Mehrzahl der Nordgriechen als bösartige Verspottung aufgefasst wurde.
Gerechtigkeit, Gleichheit, Brüderlichkeit?
Mitsotakis Wirtschaftsprogramm wirkt zudem so, als wolle er entweder überhaupt nicht gewählt werden, oder als ob er ernsthaft erwartet, dass die seit Ausbruch der Krise rapide steigende soziale Ungerechtigkeit in Stein gemeißelt wird. Vielleicht ist er sich aber auch sicher, dass kaum ein Wähler mehr zuhört. Schließlich ist es in Griechenland entscheidend, das Wohlwollen der Medien zu gewinnen. Und diese sind in festen Händen der Oligarchen.
Obwohl weithin bekannt ist, dass die Krise in Hellas bislang auf den Schultern ärmerer und mittelständischer Schichten ausgetragen wird, wodurch nicht nur die Inlandskonjunktur, sondern auch zahlreiche weitere Wirtschaftsdaten wie die Immobilienpreise leiden, möchte Mitsotakis zunächst die Reichen beschenken.
Ihnen will er Steuern erlassen, um so, wie er meint, den Aufschwung herbeizuzaubern. Das dies ungerecht und sozial diskriminierend ist, ist dem Oppositionsführer bewusst. Er begründet es so: "Ich züchte keinen Selbstbetrug über eine sozial gerechte Gesellschaft, so etwas ist wider die menschliche Natur… "
Mitsotakis verlor in Thessaloniki kein Wort darüber, wie er die knapp 200 Millionen Euro Schulden seiner Partei abtragen möchte, allerdings sind weitere Rentenkürzungen und Lohnsenkungen offenbar bereits jetzt fester Bestandteil seines Programms. Hinsichtlich des aus Mangel an eigenem Kapital nicht mehr rückzahlbaren Kredits bemüht sich Mitsotakis, so eine Pressemeldung der Regierung, um eine Streichung der Schuld seitens der Banken.
Skandale aufgedeckt, aber dabei sich selbst angeschwärzt
Die Opposition deckt hin und wieder einen Skandal auf. So geschehen bei der Veröffentlichung einer Rechnung eines Reifenwechsels für ein dem Staat gehörendes Auto. Der Luxusschlitten aus Stuttgarter Produktion bekam von der lokalen autorisierten Fachwerkstatt seine vier neuen, schusssicheren Pneus für den Preis von knapp 15.000 Euro. Die Rechnung und der Wartungsvertrag wurden an Journalisten geleakt.
Die Nea Dimokratia jubelte, zumal die Presse in ihrem Sinn zunächst behauptete, dass die S-Klasse-Karosse dem Minister für Bürgerschutz Mobilität garantieren würde. Zu früh gefreut! Der Wagen ist dem früheren Ministerpräsidenten und ehemaligem Vorsitzenden der Nea Dimokratia, Antonis Samaras, zugeteilt worden und wird auch von ihm benutzt. Die teuren Reifen auf Steuerzahlerkosten buchte der Parteigenosse Mitsotakis.
Ölpest: Vorwürfe an die falsche Adresse
Tagelang versuchte vor allem der Vizevorsitzende der Nea Dimokratia, Adonis Georgiadis, einen Skandal mit suspekter Regierungsbeteiligung um die Ölpest im saronischen Golf zu konstruieren. Als wären die nachweisbaren Versäumnisse der zuständigen Ministerien bei der Havarie nicht ein besserer Grund der Kritik (siehe Ölpest in der Attischen Riviera), bestand Georgiadis auf seiner verschwörungstheoretischen Version und entkräftete mit seinem Eigentor die eigentlich berechtigte Kritik.
Im Verwaltungsrat der für die Havarie der Agia Zoni II verantwortlichen Reederei sei ein führendes Mitglied von Syriza, behauptete er. Dafür präsentierte er den Lebenslauf des fraglichen Mannes und lieferte sich einen Kleinkrieg mit der Syriza nahe stehenden Presse. Zehn Tage nach der Havarie gestand er kleinlaut ein, dass der Reedereimanager wahrscheinlich früher einmal Syriza gewählt habe.
Kokain-Fund: Verschwörungs-Stoff, der sich gegen die Opposition richtet
Es kam noch schlimmer. Denn, wie am Montag in Griechenland bekannt wurde, wurden am 14. September in Peru auf einem Containerschiff von der Besatzung 121 Kilogramm Kokain in einem Versteck gefunden und den Behörden gemeldet. Die Finanzierung einer solchen Drogenfracht zusammen mit der obligatorischen Beamtenbestechung für den Schmuggel ist eigentlich etwas zu groß für das Budget eines Seemanns, weswegen aufgrund ähnlicher Funde als natürlicher Reflex immer auch ein Anfangsverdacht auf den Reeder fällt.
Der ist in diesem Fall Grieche. Auch bei einer Unschuldsvermutung, wie sie juristisch angebracht ist, liefert der Fall den Gegnern der Nea Dimokratia gehörig Munition. Tu quoque, sagt der Lateiner, wenn er seinen Kontrahenten darauf hinweisen möchte, dass auch er genau das tut, was er den anderen vorwirft.
Der nach den vorliegenden Informationen nicht in den Drogenschmuggel involvierte Eigner der Danaos Corporation, dessen Name hier aufgrund einer Unschuldsvermutung nicht erwähnt wird, sitzt zusammen mit der Gattin von Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis, Mareva Grabowski ,im Verwaltungsrat von Endeavor Greece.
Endeavor Greece ist ein von Mareva Grabowski mitbegründeter Förderverein für griechische Start ups. Das Einzige, was man dem Reeder vorwerfen kann, ist, dass er trotz seiner in Griechenland bestehenden Steuerfreiheit kein griechisches Besatzungsmitglied an Bord hatte.
Nichts ist brutaler als soziale Netzwerke, wenn im heutigen Hellas solch ein Fall thematisiert wird. Zumal Georgiadis selbst für die Verbreitung seiner Verschwörungstheorie neben Rundfunkinterviews auf Twitter zurückgriff. Den Syriza nahe stehenden Usern ist es dabei egal, ob der juristisch noch unbeteiligte Reeder schlicht ein Opfer eines Schmugglers wurde, sie jagen nun Georgiadis mit dessen eigenen Mitteln.
Das politische Narrativ in Griechenland nimmt keine Rücksicht auf juristische Spitzfindigkeiten. Das, was in sozialen Netzwerken später unter dem Druck juristischer Verfolgung gelöscht wird, findet sich ohne die Angst vor Strafe in den endlosen Diskussionen in den griechischen Kaffeehäusern wieder. Hier referieren dann die Stammtischbrüder über derartige Skandale, statt sich mit den für sie konkreten Folgen der Tagespolitik zu beschäftigen.
Gerade hinsichtlich von Drogenfunden auf griechischen Schiffen gibt es auch eine weitere Geschichte, in der sich Regierung und Nea Dimokratia einen schmutzigen Kampf bieten. Drogen- und Kraftstoffschmuggel sind in Griechenland eng verbunden mit der Schifffahrt, obwohl kaum ein Reeder überführt wird.
Die Regierung behauptet, dass Mitsotakis mit dem von ihr als Verantwortlichen für eine Heroinfracht von drei Tonnen angesehenen Reeder zusammenarbeitee. Die Nea Dimokratia wiederum postuliert, dass die Regierung den Reeder, dessen Namensnennung in Griechenland juristisch verfolgt wird, wegen dessen Medienmacht und regierungskritischer Linie mundtot machen möchte.
Georgiadis als persönlicher Favorit von Mitsotakis
Auf dieser Ebene, und nicht mit Blick auf die gesamte wirtschaftliche Entwicklung des Landes, entscheiden die Wähler über ihre Favoriten. Am Sonntag hatte Mitsotakis Georgiadis in Schutz genommen. Auf die Frage eines Journalisten, ob er mit dem für seine rechtsradikale Vergangenheit bekannten Georgiadis nicht ein Problem in seiner Partei hätte, antwortete der Oppositionsführer, dass er persönlich Georgiadis für dessen Posten ausgewählt habe.
Der populistisch auftretende Georgiadis, ein bekennender Fan von Donald Trump, wurde bereits mehrfach wegen seiner Tätigkeit in der rechtspopulistischen LAOS-Partei als eine Art Durchlauferhitzer für die Goldene Morgenröte betrachtet.
Was dem Außenstehenden unlogisch erscheinen mag, ist politisches Kalkül. Mitsotakis ist zwar neoliberal, jedoch kein glühender Rechtsradikaler. Er möchte vielmehr für seine Partei Stimmen am rechten Rand gewinnen. Tsipras verfährt genauso. Er setzt auf verbal linke Politik. Das Endprodukt beider Parteien hinsichtlich der sozialen Gerechtigkeit ist dagegen vollkommen gleich. Tsipras ist jedoch im direkten Vergleich geschickter als sein noch unglücklicher agierender Kontrahent. Die auf ihre Demokratie so stolzen Griechen sind zwischen Populisten jeglicher Couleur und Medienmacht der Oligarchen gefangen. Sie sehen keine wirkliche Alternative zum glücklosen Tsipras.