Wieviel Osama darf's sein?
Time Magazine nominiert Bin Ladin als Person des Jahres, während Medien überlegen, ob sie auch Bilder eines toten Terroristenführers zeigen würden
Seit drei Monaten ist Usama Bin Ladin fast täglich auf den Titelblättern der Weltpresse zu sehen. Die ihm angelasteten Terroranschläge hatten Auswirkungen auf jedes Land der Welt, einige bemühen den altbekannten Slogan "Nichts ist mehr, wie es einmal war". Doch darf der Terroristenanführer deshalb auch zur Person des Jahres gewählt werden?
Im Jahre 356 vor Christus brannte der Artemis-Tempel in Ephesos lichterloh. Das Gotteshaus, damals eines der Sieben Weltwunder wurde komplett zerstört. Der Täter war schnell gefunden: ein Bürger der Stadt wollte mit dem Attentat seinen eigenen Namen in die Annalen der Geschichte bringen. Um ihm diese Genugtuung nicht zu geben, beschlossen die Bürger von Ephesos, dass der Name des Verbrechers für immer verschwiegen werden sollte. Doch der Plan gelang nicht. Noch heute wissen wir den Namen des Attentäters: Herostratos.
Das gleiche Problem stellt sich jetzt wieder einmal in den USA: Darf man für grausame Verbrechen zum Medienstar werden? Ein Blick in die Geschichtsbücher lässt die Antwort einfach erscheinen. Doch eine Wahl entzündet heftige Diskussionen. Das Time Magazine sucht wie jedes Jahr nach der Person des Jahres. Auf der Liste der Nominierten steht Usama Bin Ladin.
"Die Seele bäumt sich auf"
Beim Nachrichtensender CNN stieß diese Aktion auf Unverständnis. Kolumnist Allan Wastler bedauert sogar öffentlich, dass sein Sender zum gleichen Konzern gehört wie Time, nämlich zu AOL Time Warner. Die Zuschauer hat er auf seiner Seite. So schreibt eine Meredith: "What the HELL is wrong with you people? I am so mad I can't even type. Have you lost your minds or are you just idiots?" Die Aufregung schwappte sogar nach Europa über. Wolf von Lojewski formulierte im ZDF den blumigen Satz "Die Seele Amerikas bäumt sich auf."
Dass Bin Ladin als Person des Jahres ein Tabu sein soll, fällt wohl unter die Rubrik "Nichts ist mehr so, wie es mal war". Denn das Time-Cover ist nicht als Auszeichnung zu verstehen - es soll lediglich für einen Aspekt des vergangenen Jahres stehen. So landete George Bush im Jahr 2000 nicht etwa als strahlende Siegergestalt auf dem Time-Cover, er symbolisierte den gespaltenen Wählerwillen, mit ihm als Person des Jahres wurden die Themenbereiche Wahlkampf, die umstrittene Wahlauszählung und die Rückkehr des konservativen Amerika abgedeckt.
Stalin, Hitler und Elvis Presley
Nicht als Ehre soll die Aufmachergeschichte verstanden werden, sondern als Dokumentation des Zeitgeschehens. Time-Gründer Henry Luce widmete die Serie ausdrücklich "the person or persons who most affected the news or our lives, for good or for ill this year". Unter dem Abstimmungsformular verweist die Redaktion noch einmal auf den Charakter der Abstimmung: "This is an unscientific, informal survey for the interest and enjoyment of TIME.com users, and may not be indicative of popular opinion or TIME magazine".
In der über siebzigjährigen Geschichte der Serie "Person of The Year" wurden nicht nur die Schönen und Guten vorgestellt. So errang Joseph Stalin gleich zwei Mal den Titel, 1939 und 1942. Im Jahr 1938 war es gar Adolf Hitler. 1999 gab es bei der Wahl zur Person des 20. Jahrhunderts ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Adolf Hitler und Yitzhak Rabin, bis schließlich Elvis Presley beide überholte und den Titel bekam.
Noch bis zum 24. Dezember kann man auf der Seite von Time über die Person des Jahres abstimmen. Zur Zeit führt George Bush deutlich vor Rudy Giuliani, Bin Ladin ist auf dem dritten Platz.
Die Jagd geht weiter
Währenddessen wird der Terroristenführer gejagt. Zwar wissen die "Anti-Taliban-Kämpfer" bis heute nicht, wo sich Usama Bin Ladin aufhält, doch schon wird diskutiert, was man mit einem toten Al-Qaida-Chef anfangen soll.
Anlass sind Interviews, die die Ex-Frau Sabiha Bin Ladin dem Boulevardblatt National Enquirer und dem russischen Fernsehsender TV 6 gegeben haben soll. Dort wird Bin Ladin ein melodramatisches Ende vorhergesagt. Wenn er in die Enge getrieben sei, würde Bin Ladin seinen ältesten Sohn auffordern, ihn zu töten - vor laufenden Kameras. Wenn die Bilder vom sterbenden Terrorfürsten auf den Fernsehern rund um die Welt gezeigt würden, würde eine zweite Terrorwelle beginnen, der unter anderem Big Ben und der Eiffelturm zum Opfer fallen sollen.
Tod vor laufenden Kameras?
Die Informationen sind mehr als zweifelhaft. Trotzdem stellen sich Medienvertreter die Frage, ob man Bilder von einem toten Bin Ladin ausstrahlen würde. Die Washington Post zitiert den Sprecher eines Senders: "It's too early to even think about this terrible theory. I heard it on the radio this morning and just wanted to turn to Christmas music. Personally, I don't think anyone would air it."
Zweifel sind auch bei dieser Information angebracht, klagte doch schon ein Unternehmen bei der Hinrichtung des Oklahoma-Attentäters Timothy McVeigh auf das Recht, den Tod des Terroristen live zu übertragen (Verfassungsrecht auf Live-Übertragung einer Hinrichtung?). Die Live-Übertragung kam zustande, doch nur Angehörige der Opfer bekamen sie zu sehen.
Dead and Done
Außerdem stellt sich die Frage: Werden US-Sender auf die Ausstrahlung verzichten, wenn zum Beispiel der arabische Sender al-Dschasira die Bilder zuerst bringt? Auf alle Fälle sind sie argumentativ gewappnet. Michael Harrison von der Fachzeitschrift Talker's Magazine sagt:
"Bin Laden would not succeed in making any kind of statement if he died on the air. He'd probably end up entertaining millions instead. It would have zero impact on our psyches and zero impact on bin Laden's cause. What's important is that he would be dead. And if he's dead, he's done."
Herostratos lässt grüßen.