Wikipedia an der Propagandafront gegen Historiker

Seite 3: Grundpositionen des Council on Foreign Relations wiedergegeben

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Tatsächlich - das erahnt der Leser aus einigen sporadischen Andeutungen, er kann es aber nicht einordnen, wenn er nicht etwas vertrauter mit der Materie ist - war Barnes Mitglied im ungeheuer einflussreichen Council on Foreign Relations (CfR) (vgl. Der Klub der "Weisen Männer") und arbeitete dort als Redakteur der hauseigenen Zeitschrift "Foreign Affairs". Und die Grundpositionen des Harry Elmer Barnes geben ziemlich genau die Grundpositionen des CfR Mitte der 1920er Jahre wieder. 6

Deutschland war nach harten Bürgerkriegen und Währungskatastrophen durch den Dawes-Plan an das angloamerikanische Bankensystem angeschlossen worden: Mega-Kredite ermöglichten die Bedienung der Reparationen; im Vorstand der Reichsbank waren sieben westliche Aufsichtsräte implantiert worden; das Schienennetz der Reichsbahn war an amerikanische Banken verpfändet und deutsche Kommunen nahmen Kredite bei angloamerikanischen Banken auf.

Mit anderen Worten: Deutschland war jetzt kein vollkommen souveräner Staat mehr, sondern eher ein Juniorpartner der Westmächte. In dieser Situation forderte der CfR, Deutschlands Lasten deutlich zu verringern. Denn Deutschland war ein Investitionsfeld US-amerikanischer Konzerne geworden. Frankreich betrachtete man als unzuverlässigen Partner. Die Bolschewisten regierten jetzt in Russland, und es kam damit als direkter Partner nicht mehr in Frage, wie dessen Vorgänger, das Zarenreich.

Dennoch forderte der CfR die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion, seitdem US-Investoren wie Armand Hammer, Henry Ford, Averell Harriman oder auch der Rockefeller-Konzern dort überaus profitable Geschäfte machen konnten. Kurzum: Es war jetzt nicht mehr opportun, Deutschland und die Sowjetunion weiterhin zu verteufeln. Und der Historiker Barnes setzte diese neue geopolitische Orientierung für sein Fachgebiet konsequent um.

Von daher ist auch die Verortung des CfR-Historikers Harry Elmer Barnes als Vertreter der Strömung des Isolationismus zumindest problematisch.

Politische Propaganda

Es dürfte aus meinen Ausführungen vollkommen klar geworden sein, dass der ausgewählte Wikipedia-Artikel über den US-Historiker Barnes nicht nur keinen seriösen Ansprüchen an ein Lexikon mit Monopol-Charakter entsprechen kann. Es ist nicht einmal ein missglückter Lexikonartikel, sondern ein durch bösartige Verzerrungen, Einseitigkeiten, Anachronismen und Dekontextualisierungen geprägtes Stück politischer Propaganda.

Das wird noch dadurch verschärft, dass am Fuß des Artikels in der Reihe der "Kategorien" der Begriff "Holocaustleugner" angeführt ist - wobei doch der WP-Artikel selbst "nur" von "Verharmlosung" der Holocaust-Gräuel spricht. Dieser handwerkliche Pfusch und diese bösartigen Falsch-Darstellungen sind gefährlich.

Sie stehen aber - pars pro toto - für den Umgang der Wikipedianer im Fachgebiet Politik und Zeitgeschichte mit den ihnen anvertrauten Artikel-Gegenständen. Das ist gefährlich.

Denn Menschen, die sich schnell durch eine konzise Darstellung von Personen und Fakten ein Bild machen wollen, werden in gröbster Weise manipuliert. Es ist höchste Zeit, dass das Nachschlagewerk Wikipedia einer öffentlichen Kontrolle unterzogen wird, um seiner ihm zugewachsenen Verantwortung gerecht werden zu können.

Nachbemerkung

Dieser Artikel ist nicht zu verstehen als Parteinahme für den Historiker Harry Elmer Barnes und dessen Positionen. Im Gegensatz zu dem vollkommen ungenügenden deutschsprachigen Wikipedia-Artikel über Barnes setzt sich der englischsprachige WP-Artikel7 recht ausführlich mit dem kontrovers diskutierten Autor auseinander.

Wenngleich auch der englischsprachige Wikipedia-Artikel ebenfalls unter massiver Einseitigkeit und Unterlassung wichtiger Fakten leidet, so bietet er doch wenigstens Ansatzflächen für eine (kontroverse) Diskussion.

Mein Artikel beschäftigt sich ausschließlich mit den formalen und inhaltlichen Unzulänglichkeiten des deutschsprachigen Wikipedia-Artikels über Harry Elmer Barnes.