Winterbekanntschaft mit Folgen

Vögel, die gemeinsam überwintern, tendieren dazu, gemeinsam zu brüten

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Unsere Zugvögel verbringen den Winter im warmen Süden. Das jedenfalls lernte man in der Schule. Seit einigen Jahren jedoch lassen immer mehr Mönchsgrasmücken (Sylvia atricapilla) die iberische Halbinsel links liegen und überwintern stattdessen auf den britischen Inseln.

Die Klimaerwärmung macht’s möglich, dass die kleinen Singvögel mit der charakteristischen schwarzen Kappe ihren Ausflug in den Nordwesten prima überstehen. Außerdem sind die Briten bekannt für ihre Vogelliebe, die sich nicht zuletzt in hervorragendem Vogelfutter äußert: Trockenfrüchte und Nüsse gehören neben Körnern zum Standard. Dagegen kann man die hierzulande üblichen Fertigmischungen glatt vergessen. Ganz zu schweigen vom Meisenknödel, einem mit obskuren Körnern und Krümeln gespickten Fettklumpen, der perverserweise oft Tierfette enthält und ganz und gar nicht artgerecht ist.

Ihren Namen verdankt die Mönchsgrasmücke der beim Männchen schwarzen Kopfplatte. Die Weibchen haben eine braune Kappe. (Bild: Science)

Eigentlich sind Mönchsgrasmücken gar keine waschechten Zugvögel, sondern so genannte "Teilzieher": Der eine Teil der Population bricht auf ins Winterquartier, meist auf der iberischen Halbinsel oder in Nordafrika gelegen, während der andere zuhause bleibt. Je nachdem, wie hart der Winter in Deutschland ausfällt, haben die Sesshaften einen Heimvorteil, wenn es im Frühjahr um die Besetzung geeigneter Brutplätze gibt – falls nicht ein Großteil der Zuhausebleiber verhungert oder erfroren ist. Denn dann sind die ausgeruhten, wohlgenährten Heimkehrer im Vorteil. Wobei das Leben der Wanderlustigen auch nicht immer frei von Sorgen ist, schließlich lauern unterwegs vielerlei Gefahren: Unwetter, Kälteeinbrüche und Fallensteller, die vor allem in südlichen Ländern Jagd auf Singvögel machen.

Wie kommt es jedoch dazu, dass sich das Zugverhalten der Mönchsgrasmücke in den vergangenen vierzig Jahren derart auffällig verändert hat? Um die Antwort vorwegzunehmen: Es liegt an den Genen.

Der Vogelzug als Evolutionsmodell

Man weiß schon lange, dass das Zugverhalten angeboren ist, inklusive Zugdauer und Zugrichtung. Auf diese Weise wissen auch Kuckuckskinder ganz ohne elterliches Vorbild, wohin sie im Winter fliegen müssen. Von ihren Pflegeeltern können sie die Information jedenfalls nicht haben, denn sie werden von Singvögeln wie zum Beispiel Rotkehlchen oder Teichrohrsängern aufgezogen, die entweder gar nicht oder in ganz andere Regionen ziehen.

Auch bei Mönchsgrasmücken ist die Zugrichtung angeboren, wobei es zu den Launen der Natur gehört, ab und zu eine kleine Varianz reinzubringen. Die überraschend angeborene Tendenz, nach Nordwesten zu fliegen, brachte solche Vorteile mit sich, dass der Trend nach Nordwesten sich innerhalb weniger Generationen verfestigen konnte. Die Evolution kann also sehr rasch vonstatten gehen – eine Erkenntnis, die den Vogelzugexperten Peter Berthold von der Vogelwarte Radolfzell veranlasste, den Vogelzug als Modell der Evolutions- und Biodiversitätsforschung zu beschreiben.

Forscher aus Irland, Großbritannien und den USA haben nun gemeinsam mit Peter Berthold herausgefunden, dass Vögel, die im selben Gebiet überwintern, überdurchschnittlich oft miteinander brüten und auf diese Weise die Zugrichtung weitervererben. Dieser Nachweis, der von Stuart Bearhop und seinen Ko-Autoren im Wissenschaftsmagazin Science ausführlich dargestellt wird, war keine Kleinigkeit. Schließlich musste man herauszufinden, wo die meisengroßen Piepmätze den Winter verbracht haben. Fragen ging schlecht. Sämtliche in Zentraleuropa brütende Mönchsgrasmücken mit Sendern bestücken ging auch nicht, erstens wäre es äußerst schwierig, zweitens extrem teuer gewesen.

Das Winterquartier hinterlässt seine Spuren im Gewebe

Zum Glück ist die Isotopenanalyse inzwischen so weit entwickelt, dass man anhand einer kleinen Gewebeprobe herausfinden kann, wo ein Lebewesen die letzten Wochen und Monate verbracht hat. Denn überall auf der Welt sind Luft, Regen und Boden – und damit auch das Trinkwasser und die jeweils verfügbaren Nahrungsmittel – unterschiedlich zusammengesetzt, und diese Unterschiede hinterlassen ihre Spuren im Körper. Umgekehrt gibt es für jede Region auf der Welt ein individuelles Profil der dort vorkommenden Isotopen und ihrer Mengenverhältnisse.

Um die Isotopenanalyse bei den Mönchsgrasmücken durchzuführen, hat man gleich zu Beginn der Brutsaison einige Vögel in Deutschland und Österreich eingefangen und ihnen ein klein wenig von den Krallen abgeknipst. Die ermittelten Werte wurden mit den bekannten Profilen der britischen Inseln einerseits und der iberischen Halbinsel andererseits verglichen. Und siehe da: wer gemeinsam überwintert, lässt sich überdurchschnittlich oft miteinander ein. Wobei die Vögel, die auf den britischen Inseln überwintern, gegenüber den Spanienreisenden im Vorteil sind. Zum einen hat man festgestellt, dass die Brutsaison für Vögel, die in nördlichen Gefilden überwintern, früher beginnt. Zum anderen zeigte die aktuelle Studie, dass die anglophilen Vögel größere Gelege produzieren und auch insgesamt einen höheren Bruterfolg verzeichnen.

Was das Verhalten der Mönchsgrasmücke und damit die Untersuchung für die Wissenschaft so interessant macht: die Aufspaltung der ziehenden Mönchsgrasmücken in eine Süd- und eine Nordwest-Richtung führt im Zeitraffertempo vor, wie sich Arten voneinander wegentwickeln und schließlich ausdifferenzieren können. Außerdem macht das veränderte Zugverhalten der "Schwarzkapperl" deutlich, wie Vögel auf den Klimawandel reagieren.