"Wir bekämpfen hier den globalen Terrorismus"

Der Anschlag auf das Einkaufszentrum in Nairobi: Auch die Mörder stammen aus verschiedenen Ländern - die Al-Schabaab-Miliz und der Dschihad in Afrika

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Ob das Geiseldrama in Nairobis Einkaufszentrum tatsächlich beendet ist, ist wohl nur eine Behauptung der kenianischen Regierung, die dies schon seit gestern ständig wiederholt; auch vonseiten der Polizei. Aber nach wie vor werden Schüsse aus dem Gebäude gemeldet. Laut Berichten amerikanischer Medien und von Nachrichtenagenturen sind noch nicht alle Geiseln frei.

Bild einer Überwachungskamera des Einkaufszentrums

So lange das "Katz-und Maus-Spiel" zwischen den Sicherheitskräften und den Zombie-Terroristen der somalischen Al-Schabaab-Miliz andauert, ist deren wesentliches Ziel schon erreicht: globale Aufmerksamkeit, die durch Thriller-Spannung garantiert wird. Die nächstliegende Absicht, die mit dem Terror verbunden wird, dient dem eigenen Ruf, dem Dschihad-Narzissmus.

Die Miliz will vorführen, dass sie es mit einer namhaften Anti-Terror-Abwehr aufnehmen kann - die kenianischen Sicherheitskräfte werden laut Berichten von amerikanischen, europäischen, vermutlich britischen, und israelischen "Beratern" unterstützt. Einzelheiten zu deren operativer Mithilfe werden bislang aber offiziell verweigert.

Die Selbstgefälligkeit der Al-Schabaab-Miliz dokumentiert sie ausgiebig auf ihrem Twitteraccount, wo sie die gegenwärtige Situation in dem Einkaufszentrum kommentiert: "Kenyans, look how fear has gripped your nation."

Das Einkaufszentrum ist ein soft target; den angeblich 10 bis 15 bewaffneten Eindringlingen stellten sich weder Kontrollen noch andere Hindernisse in den Weg; sie begannen umgehend mit Aktionen, für die sie in den Straßen von Mogadischu gefürchtet werden: ziellos Handgranaten in eine Menschenmenge werfen, um Schrecken zu säen. Im Westgate-Einkaufszentrum begleiteten sie dies mit wahllosen Schüssen auf Passanten. Bisher heißt es, dass 63 Menschen getötet wurden; man rechnet aber mit mehr.

Die Ermorderten stammen aus vielen unterschiedlichen Ländern, zum Beispiel aus Australien, den USA, Großbritannien, Ghana, Frankreich, Indien, den Niederlanden, der Schweiz und - und aus Kenia. Da das Einkaufszentrum Luxusläden beherbergt, hält sich dort gewöhnlich viel Kundschaft mit gutem Einkommen auf, viele aus dem Ausland, die in Kenia arbeiten. Das war auch den Angreifern bekannt. Die Aufmerksamkeit der internationalen Medien war garantiert.

"Ganz klar eine multinationale Sammlung aus aller Welt"

Auch die Mörder stammen aus verschiedenen Ländern. "Ganz klar eine multinationale Sammlung aus aller Welt", sagte der Chef der kenianischen Armee, General Karangi. Man bekämpfe hier den "globalen Terrorismus". Außenministerin Amina Mohamed bestätigte gegenüber einem amerikanischen Fernsehsender, dass auch Männer mit amerikanischer Nationalität zu den Attentätern gehören.

Genaueres werde erst später bekannt gegeben, heißt es. Derweil spekulieren US-Medien darüber, um welche Männer somalischer Herkunft mit US-Pass es sich handeln könnte. Manche - aber noch völlig unbestätigte - Spuren weisen in Richtung von Männern wie Mohammed Abdulkadir, die von einem US-Gericht bereits wegen ihrer aktiven Mitgliedschaft bei der Al-Schabaab-Miliz verurteilt wurden.

In Großbritannien spekuliert man darüber, ob es sich bei der Frau, die laut der kenianischen Außenministerin am Terrorangriff auf das Einkaufszentrum beteiligt ist - "wie schon an anderen terroristischen Akten" -, um die Frau eines Attentäters handelt, der bei den Londoner Anschlägen am 7.7.2005 mitgemacht hat.

Feststeht, dass Ausländer - Amerikaner, Briten und auch mancher Schwede - eine maßgebliche Rolle bei Al-Schabaab spielen. Laut Propaganda der Al-Schabaab ist der Anschlag auf das Einkaufszentrum in Nairobi eine Vergeltungsaktion dafür, dass Kenia Truppen nach Somalia geschickt hat, um die Regierung zu unterstützen und die Miliz zu bekämpfen.

Tatsächlich wurde die Al-Schabaab, die sich auf einen radikalen Islam berufen, in den letzten Monaten geschwächt, wohl auch durch Kenias Eingreifen. Beobachter sprechen von deutlichen Aufspaltungen der Miliz in kleinere, fragile Teile, die sich zunehmend radikalisieren würden. Möglicherweise hofft die Al-Schabaab-Führung darauf, mit dem Anschlag auf das Einkaufszentrum neue Anhängerschaft zu mobilisieren, und auf einen Zugewinn an Geschlossenheit.

Der "Arc de la Terreur"

Politische Ziele erreicht sie mit dem Terror-Akt nicht. Dass sich Kenia nun aus Somalia zurückzieht, dürfte in keinem Moment zur Debatte gestanden haben. Beunruhigend ist, dass die Miliz einem Muster folgt, das sich in Afrika auch bei anderen Gruppen zeigt, bei Boku Haram in Nigeria und al-Qaida im Magreb (AQIM) und im Jemen:

Auch wenn die Interessen unterschiedlich sind und regional verschieden, so benutzen diese Gruppen oder Bewegungen die gleichen Slogans, schwören die gleiche Treue und haben ganz ähnliche Netzwerke. In jeder Gruppe gibt es ausländische Dschihadisten, die sich mit lokalen Militanten vermischen. In jeder Gruppe beobachtet man finanzielle Unterstützung, die aus den Golfstaaten kommen. Und in jeder Gruppe findet man den Willen dazu vor, einer extremen Auslegung der Scharia, die von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird, zu folgen.

Laut Anti-Terror-Spezialisten gibt es unter den Gruppen bereits einen regen Austausch von Waffen, Männern und Strategien. Es zeichnet sich der Aufbau eines Bogens des Terrors ("Arc de la Terreur") ab.

Thomas Cantaloube, Mediapart