Wir dürfen die Kritik am Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk nicht den Populisten überlassen
Ideen für einen besseren Rundfunk
Mit dem neuen Medienstaatsvertrag wird sich der monatliche Rundfunkbeitrag nach monatelangen Auseinandersetzungen um 86 Cent auf dann 18,36 Euro erhöhen. In Anbetracht einer veritablen Wirtschaftskrise, die bundesweit mehr als 5 Millionen Arbeitnehmern Kurzarbeit beschert hat und unzählige Privathaushalte und Unternehmen vor mitunter existenzielle finanzielle Probleme stellt, ist das derzeit nicht unbedingt der ideale Zeitpunkt für die um Akzeptanz ringenden Rundfunkanstalten.
Aber gäbe es einen geeigneteren Zeitpunkt, um eine sachliche Debatte über den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk zu führen? Wann, wenn nicht jetzt, sollte man die Sendeanstalten einer kritischen Evaluation unterziehen und die eine oder andere konstruktive Reformforderung artikulieren, die dem Rundfunk letztlich mehr Akzeptanz bei den Beitragszahlern verschaffen würde?
Wie ist es um die Neutralität des ÖRR bestellt?
Nicht nur Parteienvertreter monieren eine unzureichende politische Neutralität der Öffentlich-Rechtlichen Sender, die nach Ansicht der Kritiker dazu führt, dass bestimmte Themen, Perspektiven und Parteien bevorzugt behandelt werden. Begründete Zweifel an der politischen Neutralität der Senderanstalten lassen sich aber auch äußern, ohne die ungleiche Verteilung von Talkshoweinladung an Parteien oder den offen zur Schau gestellten Politaktivismus einzelner Journalisten anzuprangern.
Mancher mag es bereits vergessen haben, aber im Jahr 2010 überraschte der Bayerische Rundfunk mit einer - vorsichtig formuliert - kontroversen Personalentscheidung: Ulrich Wilhelm, zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Jahre lang Sprecher der Bundesregierung, wechselte ohne nennenswerte Karenzzeit zum BR, wo er seitdem die Intendantenstelle bekleidet. In den Jahren 2018 und 2019 saß Wilhelm zudem der ARD vor.
Auch seriöse Beobachter monierten damals einen vielleicht doch nicht ganz unbedeutenden Interessenskonflikt, der falsche Zeichen setzen, dem Vorwurf der Vetternwirtschaft Futter geben und damit weitere Vorbehalte gegen den Rundfunk schüren würde. Denn wie können Medien für sich glaubwürdig eine Kontrollfunktion gegenüber der Politik beanspruchen, wenn sich Teile ihrer höchsten Führungsebene aus eben dieser rekrutieren? Es wäre ohne Zweifel im Sinne des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks, wenn die Rundfunkräte bei der bevorstehenden Wahl von Wilhelms Nachfolger ein etwas verantwortungsbewussteres Abstimmungsverhalten zeigen.
Ist die Zusammenstellung der Rundfunkräte noch zeitgemäß?
Doch auch die Rundfunkräte selbst geraten immer mehr in den Fokus der Kritik. Eigentlich sollten sie einen repräsentativen Querschnitt aus der Bevölkerung abbilden. Im Bayerischen Rundfunk beispielsweise finden sich entsprechend Repräsentanten aus Staatsregierung und Landtag sowie Vertreter aus Kirche, Gewerkschaften, Arbeitgeber-, und Branchenverbänden, Frauen- und Migrantenorganisationen sowie unzähliger weiterer gesellschaftlicher Interessensgruppen.
Aber mit welchem Mandat vertreten diese zugegeben recht heterogenen Gruppierungen die Gebührenzahler im Rundfunkrat? Kann in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft noch davon ausgegangen werden, dass Organisationen wie Verbände, Kirchen, Gewerkschaften oder Parteien, die seit Jahren unter einer schwerwiegenden Mitgliederfluktuation leiden, diese Gesellschaft ausreichend repräsentieren?
Schade, dass sachkundige und konstruktive Reformvorschläge, wie bspw. Hermann Rotermunds Idee einer Direktwahl der Rundfunkräte durch die Beitragszahler, kaum öffentliches Echo finden. Warum setzt man sich mit Rotermunds Thesen beispielsweise nicht einmal publikumswirksam bei Anne Will auseinander? Wieso scheuen die Redaktionen eine offene und kontroverse Debatte über die Strukturen ihrer Arbeitgeber? Ließe sich nicht sogar argumentieren, dass die Sender qua Bildungs- und Informationsauftrag verpflichtet sind, in ihrem Programm die Strukturen des Systems Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk zu behandeln? Etwas mehr Mut zu Offenheit und Transparenz wäre der Akzeptanz des Rundfunks bei den Beitragszahlern in jedem Fall nicht abträglich.
Stellt der Rundfunk die Grundversorgung sicher?
Der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk hat die Aufgabe, "zur Information, Bildung, Beratung, Kultur und Unterhaltung einen Beitrag zur Sicherung der Meinungsvielfalt und somit zur öffentlichen Meinungsbildung" zu leisten. Dabei soll er eine Grundversorgung an Information und Kultur garantieren, worunter sowohl inhaltliche Vielfalt als auch eine flächendeckende Verfügbarkeit des Programmangebots verstanden wird.
Diese doch grundlegende Anforderung erfüllen die Rundfunkanstalten mitunter leider nur unzureichend. So ist beispielsweise BR Heimat, ein 2015 ins Leben gerufener, auf lokale Volks-, Blas- und Laienmusik spezialisierter Spartensender des Bayerischen Rundfunks, lediglich über digitale Verbreitungswege verfügbar. Ohne dem Sender zu nahe treten zu wollen, kann man annehmen, dass sich die Hörerschaft zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus älteren Semestern zusammensetzt, die wiederum, auch hier soll sich niemand auf den Schlips getreten fühlen, nicht immer über die notwendigen DAB+ Empfangsgeräte verfügen. Die Kernklientel dürfte somit zu einem nicht unbeträchtlichen Teil keinen Zugang zum Programm von BR Heimat haben. Mehr als nur ärgerlich, da es sich hierbei ausgerechnet um einen Sender handelt, der die Stärken des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks auszuspielen vermag, indem er ein Kulturprogramm bietet, das im privaten Betrieb so vermutlich kaum funktionieren würde.
Wäre es hier nicht sinnvoller gewesen, den Sender zumindest für eine Übergangszeit auch über analoge Kanäle anzubieten, anstatt an der eigentlichen Zielgruppe vorbeizusenden? Ließe sich aus dem Diktat der Grundversorgung nicht sogar eine diesbezügliche Verpflichtung ableiten?
Wo könnte die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen liegen?
Eine zunehmend digitalisierte Welt bringt Veränderungen mit sich, die vor dem Markt für Medienangebote selbstverständlich keinen Halt machen. Auch die Öffentlich-Rechtlichen sind gezwungen, ihr Profil regelmäßig kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls an neue Rahmenbedingungen anzupassen. Mit der Entwicklung von Online-Formaten für das junge, digitalaffine Publikum ist es dabei jedoch keineswegs getan.
Insbesondere Lokaljournalismus kann vielerorts nicht mehr profitabel betrieben werden. Experten befürchten ein flächendeckendes Sterben regionaler Medien. Wenn aber für solche privat getragenen, nichtsdestotrotz systemrelevanten Formen des Journalismus ein wirtschaftlicher Betrieb nicht mehr möglich sein sollte, so muss dieser Verlust eben von den gebührenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen Sender substituiert werden, was in diesem Fall bedeutet, kommunalpolitischen Themen im Programm signifikant mehr Raum zu verschaffen.
Denn gerade in einem föderalen Staat wie der Bundesrepublik, in dem auch untergeordnete Gebietskörperschaften (aus gutem Grund) mit beachtlichen Entscheidungskompetenzen ausstattet sind, werden professionelle Medien gebraucht, die Kommunalpolitik kritisch zu begleiten vermögen. Im Zweifel muss die Sicherung der öffentlichen Meinungsbildung eben von den gebührenfinanzierten Medien gewährleistet werden. Auch wenn das bedeutet, dass hierfür möglicherweise an anderen Stellen gespart werden muss.
Wir dürfen Kritik nicht den Populisten überlassen
Man bekommt den Eindruck, dass Kritik an Medien und Journalisten schon lange nicht mehr so schwierig zu äußern war wie heute, insbesondere dann, wenn sie den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk adressiert. Spätestens seitdem die AfD zu einer relevanten politischen Kraft geworden ist, haftet ihr schnell der Ruch des Rechtspopulismus an. Zu oft bekommt man das Gefühl, sich auch durch vorsichtig und differenziert formulierte Kritik zu Weidel, Höcke und von Storch ins Boot zu setzen.
Doch warum scheint die AfD ein Monopol auf Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen zu haben? Warum lassen wir ein Vakuum in der öffentlichen Debatte entstehen, das von den Rechtspopulisten problemlos ausgefüllt wird?
Letztlich sind wir, das Publikum, die Beitragszahler, gezwungen, den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk kritisch zu begleiten, wollen wir Kritik an dieser Einrichtung nicht den Populisten überlassen. Wagen wir also mehr fundierte Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen! Wagen wir konstruktive Kritik an Programmgestaltung, Sendeinhalten und Finanzierung, ohne gleich die Legitimität der Institution als Ganzes in Frage zu stellen! Wagen wir, wenn nötig, auch Kritik an Interessenskonflikten und handwerklich unsauberer journalistischer Arbeit, ohne Redakteuren und Verantwortungsträgern unlautere Absichten zu unterstellen! Rundfunkkritik ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Debattenkultur. Lassen wir sie also nicht verkümmern!
Ebenso müssen sich aber die Öffentlich-Rechtlichen für konstruktive Kritik weiter öffnen und sich zu einem Ort entwickeln, an dem auch die eigene Arbeit kritisch debattiert werden kann. Denn Medien, die sich nicht ganz zu unrecht als die Vierte Gewalt im Staat verstehen, müssen in einer offenen Gesellschaft genauso kritische Debatten zur Qualität ihrer Arbeit zulassen wie Legislative, Exekutive und Judikative. Wagenburgmentalität und Korpsgeist hingegen sind höchst kontraproduktiv, habe sie doch eine massive Entfremdung zwischen den Sendern und ihrem Publikum zur Folge. Das Medienmagazin ZAPP hat 2016 in einer bemerkenswerten Sendung gezeigt, dass die Sender zu kritischer Selbstbetrachtung sehr wohl in der Lage sind. Wir Zuschauer und Gebührenzahler wünschen uns mehr davon.
Tobias M. Schwaiger hat Medien-, Kultur-, Film- und Literaturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und am University College London studiert. In seiner 2019 erschienenen Dissertation beschäftigte er sich mit dem Wissenschaftsbild im Science-Fiction-Film. Er schreibt und forscht zu medien- und kulturwissenschaftlichen Themen.
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