"Wir haben keine Angst vor den Arbeitern"
Parteitage in Großbritannien: Die Tories gaben sich klassenkämpferisch, die Gewerkschaften rufen zu einem Massenstreik auf
Die letzten Wochen britischer Politik wurden von den Parteitagen der großen Parteien dominiert. Zuerst kamen die Liberaldemokraten, für die sich jedoch keiner interessierte. Labour tagte in Liverpool, gefolgt von den Konservativen in Manchester.
Ausgerechnet Manchester. Seit Jahrzehnten hat es in dieser nordwestenglischen Arbeiterstadt keinen Abgeordneten der Tories mehr gegeben. Keiner will sie dort sehen. 35.000 Gewerkschafter demonstrierten gegen die Anwesenheit der begüterten Damen und Herren aus südenglischen Herrschaftshäusern.
Die Tories brachten die kranke Gesellschaft mit, von der Parteichef und Premierminister Cameron immer redet. Delegierte tranken in Weinlokalen und prellten Zechen im Wert von über 100 Pfund. Sie simulierten die Erschießung von Gewerkschaftern, die gegen Sozialabbau protestierten. Sie wedelten mit Geldnoten, um Beschäftigte im öffentlichen Dienst zu verhöhnen, die um ihren Arbeitsplatz fürchten. Auf dem Gelände des Parteitages gab es rassistische Devotionalien zu bewundern. Bereits auf der Anreise im Zug von London Euston aus sorgten sie für Ärger, als sie im Speisewagen alles mit 50 Pfund Noten kauften.
Die Manchester Evening News, die selbe Zeitung, die sich an der Verfolgung von Jugendlichen beteiligt hat, die hohe Haftstrafen für Kleindelikte nach den Unruhen im Sommer bekommen haben, ignorierte das antisoziale Verhalten der Konservativen und fragte nur scheu, ob der Parteitag in Manchester die Tories der Bevölkerung näher gebracht habe. Wer sehen will, wie eine echte herrschende Klasse aussieht, sollte unbedingt an einem konservativen Parteitag teilnehmen.
"Starke Führung für eine bessere Zukunft" war das Parteitagsmotto. Es hätte auch "no one likes us, we don't care" heißen können. Die Tories wussten, was sie taten, als sie nach Manchester kamen. Nur in Liverpool sind sie unbeliebter. Dort wollen sie nächstes Jahr hin, um im Jahr darauf nach Manchester zurückzukehren.
Vor Beginn der jetzigen Koalitionsregierung präsentierten sich die Tories noch als Konservative mit menschlichem Antlitz. Man präsentierte ein neues Parteilogo mit freundlichen Grüntönen. Man versprach gegen den Klimawandel zu kämpfen. All dies ist nun verschwunden, der diesjährige Parteitag wurde von den britischen Nationalfarben dominiert, Klimapolitik ist out, sehr zum Ärger von Umweltschutzorganisationen. Stattdessen eine klare klassenkämpferische Ansage: "Wir sind die Tories, wir haben keine Angst vor den Arbeitern und werden tun, was wir für richtig halten."
Diese Botschaft kommt zu einem Zeitpunkt an dem die britischen Gewerkschaften den größten Streik seit 1926 vorbereiten. Am 30. November soll der gesamte öffentliche Sektor bestreikt werden, auch Studierenden- und Schülerproteste sind an diesem Tag möglich. Offiziell geht es bei dem Streik um Widerstand gegen geplante Rentenkürzungen, es wird aber gegen das gesamte Sparprogramm der Regierung protestiert werden.
Jedoch scheinen Teile der Gewerkschaftsspitzen verzweifelt nach einen Friedensvertrag zu suchen. So besuchte Brendan Barber, der Generalsekretär des britischen Gewerkschaftsbundes TUC während des Tory Parteitages den Wirtschaftsminister George Osborne zu privaten Geheimverhandlungen. In der Presse wird seit dem über ein mögliches Bröckeln der Streikfront spekuliert. Es gibt auch unbestätigte Gerüchte, dass die Großgewerkschaft UNITE aus der Streikfront ausbrechen möchte. Von der Transportarbeitergewerkschaft RMT und dem gewerkschaftsoppositionellen Shop Stewards Network wurden die Geheimverhandlungen scharf kritisiert).
Wenn sich Gewerkschafter Unterstützung für ihren Kampf von der Labour Partei erwarten, dann müssen sie von den Ergebnissen des Labour Parteitages in Liverpool enttäuscht sein. Parteichef Ed Miliband machte in seiner Rede deutlich, dass eine Labour geführte Regierung keine der von der Koalitionsregierung durchgeführten Einsparungen rückgängig machen werde.
Gleichzeitig feierte Miliband die Leistungen der derzeitigen von Labour geführten Stadtregierung in Liverpool. Diese führt alle von der Koalitionsregierung beschlossenen Einsparungen umstandslos aus. Miliband erklärte außerdem, er werde keine Versprechungen machen, die er nicht einhalten könne.
Zurück zum konservativen Parteitag: Dort kündigte man frohen Mutes weitere Angriffe auf Arbeitnehmerrechte an. Zum Beispiel sollen Lohnabhängige, die einen Disput zu einem Arbeitsgericht tragen, ab 2013 Gebühren im Voraus bezahlen müssen. So wollen die Tories die Zahl von Arbeitsgerichtsverfahren reduzieren. Für die Gewerkschaften ist das ein Angriff auf die Möglichkeit, Arbeitnehmerrechte durchsetzen zu können.
Ian Duncan Smith, der für den Sozialbereich zuständige Minister, drosch in seiner Ansprache auf Langzeiterwerbslose und Ausländer ein. Er versprach, dass in der Zukunft keiner Sozialleistungen kriegen werde, der nicht auch dafür arbeite. Für nicht qualifizierte Ausländer würden die Grenzen geschlossen bleiben. Außerdem verurteilte er die plündernden Jugendlichen. Ob der Millionär Duncan Smith unter den Zechprellern des Parteitages war?
Premierminister Cameron forderte das Land in seiner Rede zu Optimismus auf. Man müsse den Geist einer Bulldogge erwecken. Es gebe Leute, die das Land auf dem absteigenden Ast sehen würden, aber er, Cameron, sei auf dem Parteitag erschienen um gute Zeiten für die Zukunft vorherzusagen. Die Gewerkschaft für Staatsangestellte PCS reagierte prompt und warf Cameron wirtschaftspolitischen Analphabetismus vor.
Zwei Tage nach Camerons Rede stuften Ratingagenturen 12 britische Banken hinunter. Auch sonst ist von sonnigen Zeiten nicht viel zu sehen. Am Sonntag blockierten Hunderte die Westminster Brücke um gegen die geplante Zerschlagung des öffentlichen Gesundheitssystems NHS zu protestieren. Trotz Geheimverhandlungen stehen die Zeichen in Großbritannien auf Konfrontation. Der 30. November wird der nächste Höhepunkt dieses Kräftemessens werden.