"Wir müssen die Propaganda der AfD entlarven"
Ruprecht Polenz über den Homogenitätsdruck in den Volksparteien und den Umgang mit der Alternative für Deutschland
19 Jahre lang saß Ruprecht Polenz für die CDU im Deutschen Bundestag, von 2005 bis 2013 war er unter anderem Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Im vergangenen Jahr zog sich der gelernte Jurist aus der aktiven Politik zurück und ist seitdem Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde.
Herr Polenz, hat ein Politiker, der stets klar seine Meinung sagt - und somit in seiner Partei gelegentlich aneckt - heutzutage noch eine Chance in einer Volkspartei?
Ruprecht Polenz: Das denke ich schon. Jede Partei braucht doch profilierte Leute. Ohnehin sollte jedes Parteimitglied auch Kollegen ertragen, die nicht aus der Mitte der Partei kommen, denn jene stärken das Gesamtbild der Organisation nach außen. Ich muss zugeben, dass diese Bereitschaft bei vielen derzeit nicht sonderlich ausgeprägt ist. Das ist schade, denn Fakt ist: Die Menschen wählen denjenigen Politiker, dessen Arbeit sie schätzen und den sie zudem sympathisch finden. Insofern kann jede Partei diese kritische Stimmen in den eigenen Reihen gut gebrauchen, Leute, die nachhaken, Kritik üben und somit dem Wähler zeigen: Es geht immer um die Sache, um die besten Lösungen. An dieser Mentalität muss auch die CDU weiter arbeiten. Wir sollten dem derzeit verbreiteten Homogenitätsdruck entgegentreten, denn er tut keiner Organisation auf Dauer gut.
Begünstigt dieser Trend den derzeitigen Erfolg der AfD? Also jener Partei, die sich darstellt, als wäre sie die einzige politische Kraft, die Klartext spreche, Probleme benenne und Ängste ernstnehme...
Ruprecht Polenz: Bei der AfD habe ich meine eigene Einschätzung. Ohne die anfängliche Berichterstattung einiger Leitmedien, insbesondere des Wirtschaftsteils der FAZ und der WELT, würde es diese Partei heute nicht geben.
Wie meinen Sie das?
Ruprecht Polenz: Beide Blätter waren mit der Europa-Politik im allgemeinen und der Vorgehensweise der Bundesregierung in der Staatsschulden- und Finanzkrise nicht einverstanden und haben sich breitflächig kritisch damit auseinandergesetzt. Als die AfD diese Positionen aufgriff, fand sie breite, zustimmende Resonanz in diesen Zeitungen. Man konnte das durchaus als unausgesprochene Wahlempfehlungen für die AfD verstehen.
In den Augen ihrer Wähler ist die AfD eine Partei, die Themen aufgreift, um die sich die"alten, bequemen Parteien" nicht mehr kümmerten. Ist das Benennen von vermeintlichen Tabus ein Grund, weshalb die AfD zurzeit derart erfolgreich ist?
Ruprecht Polenz: Darin liegt sicherlich ein Grund. Überall dort, wo Parteien Unmut und Protest artikulieren und zudem so tun, als gebe es einfache Lösungen, bekommen sie zunächst einmal enorme Aufmerksamkeit. Solche Parteien mobilisieren mit ihren simplen Programmen in der Anfangszeit eine Menge unzufriedene Wähler. Die entscheidende Frage ist, wie die anderen Parteien mit den Parolen der AfD umgehen.
Und wie lautet Ihre Antwort?
Ruprecht Polenz: Wir alle haben in den vergangenen Wochen gesehen, welches Gedankengut sich da versammelt. Die jeweiligen Parteiprogramme, hinter denen sich einige AfD-Mitglieder verstecken, sind bekanntlich ziemlich glattgebügelt. Viele der rechten Thesen, die innerhalb der Partei immer wieder klar benannt werden, tauchen in den Programmen nicht oder lediglich in abgeschwächter Form auf. Wir müssen die AfD deshalb zwingen, Stellung zu beziehen bei Themen, bei denen sie bislang lediglich oberflächlich, realitätsfern und populistisch argumentiert, wie zum Beispiel bei der Zuwanderung. Kurzum: Es ist unsere Aufgabe, die Propaganda-Masche der AfD zu entlarven.
Bitte nennen Sie ein Beispiel.
Ruprecht Polenz: Vor kurzem ist bekannt geworden, dass die AfD den Alterspräsidenten für den neu gewählten sächsischen Landtag zum Aufgeben bewegt hat. Der Grund: Der ältere Herr hatte verschwiegen, Mitglied von sehr, sehr weit rechts stehenden Organisationen zu sein. Die AfD-Führung zeigte sich in der Öffentlichkeit zunächst einmal empört. Davon habe sie nichts gewusst. Die Tatsache, dass der Mann trotzdem weiter Mitglied der AfD-Fraktion bleibt, spricht indes für sich. Was hätten sich bloß andere Parteien in einem solchen Fall von den Medien anhören müssen? In Sachsen ist das offenbar kein großes Thema. Das ist ein Problem.