"Wir müssen in Europa größer denken, sonst verlieren wir unsere digitale Souveränität"
Künstliche Intelligenz verändert die Arbeit und das gesellschaftliche Leben. Die Europäische Union will sie regulieren. Warum mit Bedacht gehandelt werden sollte. Ein Interview.
Herr Thamm, vor einigen Tagen gingen Videos viral. Einmal wurde Wirtschaftsminister Robert Habeck gezeigt, wie er in der Sendung Maischberger die Fassung verliert. Ein anderes Video zeigt den Journalisten Georg Restlé, wie er Verschwörungstheorien verbreitet. Beide Videos sind sogenannte Deepfakes auf Basis von Künstlicher Intelligenz (KI). Werden wir in einigen Jahren noch unterscheiden können, was echt und was künstlich, was wahr und was Erfindung ist?
Alexander Thamm: Fälschungen von Fotos und Videos hat es immer schon gegeben. Ich erinnere mich da ein Schwarz- weiß Foto aus der Sowjet-Union, bei dem man Trotzki neben Lenin wegretuschiert hat. Durch KI ist die Erstellung von Deepfakes allerdings sehr einfach, für jeden zugänglich und skalierbar geworden.
Dies stellt eine Gefährdung dar, der wir begegnen müssen. Zum einen müssen wir die Bevölkerung aufklären und im Umgang mit neuen Medien und KI schulen, um das eigene Urteilsvermögen zu schärfen. Zum anderen sollten durch KI erzeugte Texte, Bilder und Videos verpflichtend gekennzeichnet werden, so wie bereits heute in Norwegen mit Photoshop bearbeitete Bilder in Social Media markiert werden müssen.
Goldman Sachs geht davon aus, dass künftig ein Viertel aller Arbeitsaufgaben von Künstlicher Intelligenz übernommen werden könnten. Welche Risiken und Chancen sehen sie in der Künstlichen Intelligenz?
Alexander Thamm: Ja, wir stehen hier wirklich vor der 4. Industriellen Revolution, die auch enorme Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben wird. Wir sollten dies allerdings als Chance nehmen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen und den Fokus von einfachen, repetitiven Aufgaben auf höherwertige und kreative Tätigkeiten zu verschieben.
Wichtig ist allerdings, dass wir aus Politik und Gesellschaft diese Transformation klug steuern, und vor allem unsere Ausbildungssysteme grundlegend reformieren.
Elon Musk und andere prominente Persönlichkeiten auch der KI-Branche riefen vor einiger Zeit zu einem Moratorium in der KI-Entwicklung auf. Was halten Sie von diesem Aufruf?
Alexander Thamm: Der Aufruf zu einem Moratorium war wenig glaubwürdig und praktikabel. Elon Musk hatte zu diesem Zeitpunkt schon tausende GPUs bestellt, um mit seinem eigenen KI-Unternehmen X.AI den Vorsprung auf OpenAI und Google aufzuholen. Die Umsetzung eines Entwicklungsstopps lässt sich auf der anderen Seite weder überprüfen noch durch geeignete Mittel durchsetzen.
Die Europäische Union arbeitet an einem Gesetz, um Künstliche Intelligenz zu regulieren. Sie haben sich bislang kritisch dazu geäußert, etwa weil kleinere Firmen dadurch benachteiligt werden könnten. Können Sie das näher ausführen?
Alexander Thamm: Im aktuellen Entwurf unterliegen "Foundation Models" wie GPT weiterhin einer strengen Regulierung – ähnlich wie High-Risk-Systeme. Kleinere deutsche Firmen werden Schwierigkeiten haben, die daraus resultierenden bürokratischen Hürden zu erfüllen.
Dies erschwert ihnen den Marktzugang, während etablierte Unternehmen über die notwendigen Ressourcen verfügen. Damit werden die Positionen der großen Internet-Konzerne aus den USA nur weiter gestärkt und man erhält, ähnlich wie bei der DSGVO, das Gegenteil von der eigentlichen Zielsetzung.
Gibt es weitere Kritikpunkte?
Alexander Thamm: Meiner Meinung nach lassen viele Formulierungen, hauptsächlich die der Definition einer KI, zu viel Interpretationsspielraum zu. Man erzeugt dadurch einen sehr großen grauen Bereich der Rechtsunsicherheit. Geschäftsführer oder Startup-Investoren, die die Risiken von enorm hohen Strafen nicht eingehen wollen oder können, werden Ihre Aktivitäten im Bereich der KI deutlich zurückfahren. Hierdurch werden Innovationen ausgebremst und die internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährdet.
Die sozialen Netzwerke werden inzwischen mit Werbung für die Arbeit mit KI geflutet. Oft folgt sie der Linie: "Lesen Sie dieses E-Book und Sie wissen, wie Sie ChatGPT im Marketing effizient einsetzen und reich werden". Was halten Sie von solchen Versprechen? Welche Erfahrungen haben Sie in der Arbeit mit KI gesammelt?
Alexander Thamm: Diese Art "Hype" erlebe ich nicht zum ersten Mal, und das wird auf wieder auf ein normales Maß zurückgehen. Wir haben uns neulich von ChatGPT in einer halben Stunde eine komplette Social-Media-Strategie vorschlagen lassen. Zwar mussten wir im Nachgang noch einige Anpassungen vornehmen, aber es war schon eine deutliche Erleichterung.
Auch im Bereich der Programmierung erleben wir durch Code-Generierung enorme Effizienzsteigerungen. Man muss allerdings immer berücksichtigen, dass die Ergebnisse auch falsche Informationen enthalten können, und diese daraufhin sorgsam überprüfen. Dieses Vier-Augen-Prinzip ist aber auch bei von Menschen erzeugten Inhalten hilfreich.
Prominente KI-Modelle wie ChatGPT werden in erster Linie außerhalb Deutschlands und Europas entwickelt. Hat Europa einmal mehr die Entwicklung verschlafen? Welche Ansätze und Entwicklungen gibt es in Europa?
Alexander Thamm: Wir haben in Europa eine hervorragende Basis im Bereich der Forschung und auch verfügbarer Datenpools. Leider fehlt es an Investitionen und Risikobereitschaft, um die Anwendungen auch wirklich erfolgreich in den Markt zu bringen.
Die Erfolgsgeschichte von OpenAI zeigt, wie man mit entsprechender Ausstattung an Kapital und vor allem einem Top-Team aus Talenten große Durchbrüche erzielen kann. Wir müssen in Europa größer denken und schneller in der Umsetzung sein, sonst werden wir auch in diesem Bereich unsere digitale Souveränität verlieren, und die Wettbewerbsfähigkeit in allen Branchen gefährden.
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