"Wir sind eine IT-Firma, die gelernt hat, wie man Einzelhandel macht"
Der tschechische Online-Lebensmittelhändler Rohlík will den Corona-Boom nutzen und den deutschen Markt umkrempeln
Während sich die Deutschen relativ schnell daran gewöhnten, Waren wie Computer und Schuhe nicht mehr nur im Laden zu kaufen, sondern bei Internetversendern zu bestellen, zogen sie bei Lebensmittel lange Supermärkte vor (vgl. Boom im Online-Lebensmittelhandel lässt auf sich warten und Die Internet-Revolution im Lebensmittelhandel ist erstmal abgesagt). Daran rüttelte auch das Fresh-Angebot des Online-Riesen Amazon nicht (vgl. Online-Lebensmittelhandel: Zwei Schritte vor, einer zurück).
Das änderte sich erst in diesem Frühjahr, mit der Coronakrise: "Viele Kunden wollen auf Nummer sicher gehen, größere Menschengruppen im Laden und Schlangen an Kassen vermeiden sowie Produkte ergattern, die vor Ort momentan kaum zu bekommen, prinzipiell aber vorrätig sind", schrieb Stefan Krempl im März - und drei Monate später halten darüber hinaus noch Einlassbeschränkungen, damit verbundene längere Wartezeiten und eine Maskenpflicht Kunden von Lebensmitteleinzelhandelsgeschäften fern. Dafür hat sich die Anzahl der Deutschen, die Lebensmittel im Internet einkaufen, in kurzer Zeit von sieben auf 19 Prozent erhöht, wie der Digitalverband Bitkom unlängst erfragte (vgl. Coronavirus: Lebensmittel-Lieferdienste erleben späten Boom).
Lange Wartezeiten
Dabei konnten die Online-Lebensmittelhändler den Ansturm nicht überall gut bewältigen. Ein Rewe-Sprecher musste beispielsweise gegenüber der Tageszeitung Die Welt einräumen, dass "in einzelnen Liefergebieten […] Zeitfenster für die nächste Lieferung erst nach Ablauf einer Woche verfügbar" waren. Und Amazon, wo die Zeitfenster zumindest in München ähnlich gut gefüllt waren, schickte neuen Fresh-Kunden "in Anbetracht der aktuell erhöhten Nachfrage und derzeit begrenzten Lieferverfügbarkeiten" via Mail Direktlinks, mit denen diese ihre Probemitgliedschaft vor Beginn der zahlungspflichtigen Mitgliedschaft kündigen konnten.
Die neue Nachfrage, mit der die existierenden deutschen Online-Lebensmittelhändler nur bedingt gut fertig werden, will jetzt ihr tschechischer Konkurrent Rohlík nutzen, um seinen vorher erst für 2023 bis 2025 geplanten Eintritt in den deutschen Markt auf dieses Jahr vorzuziehen.
Der Einstieg erregt Aufmerksamkeit, weil Rohlík in seiner Heimat in fünf Jahren etwas geschafft hat, woran andere Anbieter deutlich länger arbeiteten, ohne es bislang zu erreichen: Das Unternehmen fuhr im letzten Jahr nicht nur einen Umsatz von umgerechnet 160 Millionen Euro ein und wuchs um 56 Prozent, sondern war damit auch profitabel. Dieser Erfolg hat mit etwas zu tun, wovon deutsche Anbieter mit ihren Nächste-Woche-Zeitfenstern derzeit häufig sehr weit entfernt sind: In den neun tschechischen Städten, in denen man bei Rohlík bestellen kann, liefert der Dienst seine Lebensmittel binnen zweier Stunden aus. Mit dieser Geschwindigkeit konnte er bereits vor der Coronakrise mit Supermärkten im Stadtviertel konkurrieren.
Das ist dem Rohlík-CEO, -Mitgründer und -Mehrheitseigner Tomáš Čupr nach deshalb möglich, weil man eine eigene IT-Infrastruktur entwickelt hat, die seinen Angaben nach vor allem die "letzten Meile" zum Kunden effizienter plant als andere Logistik-Produkte: "Wir", so Čupr dazu, "sind ziemlich offensichtlich eine IT-Firma, die gelernt hat, wie man Einzelhandel macht".
Senioren könnten Einkaufsverhalten "grundsätzlich und langfristig ändern"
In diesem Jahr will er nicht nur nach Deutschland expandieren, sondern auch nach Österreich und nach Rumänien. In der ungarischen Hauptstadt Budapest liefert er bereits - wenn auch nicht innerhalb von zwei, sondern von drei Stunden, und unter dem Namen "Kifli". Das ist das ungarische Wort für das tschechische "Rohlík" - ein Hörnchen, das man in Österreich als "Kipferl" kennt. In Wien soll (oder darf) die Rohlík-Filiale aber nicht Kipferl heißen. Stattdessen plant man mit "Gurkerl": Mit der Essiggurke, die häufig noch fehlt, um ein Wurstbrot perfekt zu machen.
In Tschechien liegt die Gebühr für eine kleine Rohlík-Lieferung bei 79 Kronen. Umgerechnet sind das etwa drei Euro. Sparen kann man sie sich, wenn man gleich die gesamten Wocheneinkäufe beim Online-Dienst abwickelt und dafür mindestens 2000 Kronen ausgibt. Inwieweit diese Größenordnungen in Deutschland und Österreich beibehalten werden, ist aber noch unklar (vgl. Online-Lebensmittelhandel: Teure Liefermodelle verhindern den Erfolg).
Gelingt es Rohlík, sich in Deutschland und Österreich zu etablieren, solange viele Einkäufer dort noch von Corona und von den Maßnahmen gegen die Seuche abgeschreckt werden, hat der Online-Händler keine schlechten Chancen, sich längerfristig zu halten. Der Handelsforscherin Eva Stüber nach könnten die Verbraucher ihr Einkaufsverhalten mit der Krise nämlich nicht nur zeitweilig, sondern "grundsätzlich und langfristig ändern" - besonders auch Senioren, die nun merken, dass ein Online-Einkauf bequemer sein kann, als ein Einkauf im Supermarkt, wenn er gut funktioniert.
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