"Wir wollen keine Antisemiten, Nazis und Israel-Hasser als Freunde"
Ein offener Brief aus der palästinensischen Demokratiebewegung wird bisher wenig beachtet. Wer sich mit der Bevölkerung Gazas solidarisieren will, sollte ihn zumindest kennen
Als vor wenigen Wochen der Konflikt zwischen der israelischen Armee und Palästinensern im Gazastreifen erneut eskalierte, gab es auch in Deutschland wieder pro-palästinensische Kundgebungen und Demonstrationen, die zum Teil nicht frei von antisemitischen Inhalten und Parolen waren. In der Folge gab es auch Solidaritätsdemonstrationen mit Israel. Zudem entspann sich sofort wieder eine politische Debatte, die vor allem auf repressive Maßnahmen abzielte - wie etwa das Verbot bestimmter Symbole und Fahnen, die islamistischen Organisationen zugeordnet wurden.
Kein Krieg zwischen Palästinensern und Israelis
Wenig beachtet wurde hingegen, ein Brief von Mohammed Altlooli, der wegen seiner oppositionellen Haltung zum Hamas-Regime im Gazastreifen verfolgt wurde und ins Ausland fliehen musste. Der in englischer Sprache verfasste Brief wurde mittlerweile auch ins Deutsche übersetzt. Darin betont Altlooli, dass Juden und Palästinenser keine Feinde seinen und dass es in der Vergangenheit genügend Beispiele für eine Kooperation gegeben habe. Altlooli erinnert auch daran, dass sich viele Menschen im Gazastreifen im Alltag mehr vor der dort regierenden Hamas und ihrem Repressionsapparat als vor der israelischen Armee fürchten.
Wenn dann, wie vor einigen Wochen, die israelische Luftwaffe Bomben einsetzt, die natürlich alle Einwohner bedrohen, liegt die Ursache auch in der Politik der Hamas, die die Bevölkerung des Gazastreifens in Geiselhaft für ihre Politik gegen Israel nimmt, um sich als imaginierter Verteidiger des Islam aufzuspielen. Als Aktivist des Gaza Youth Movement verdeutlicht Altlooli:
Wir weigern uns, dies einen Krieg zwischen Palästinensern und Israelis zu nennen. Denn selbst wenn ich die Zerstörung in Gaza sehe, empfinde ich keinen Hass gegen die Bevölkerung Israels. Ich weiß, dass viele Israelis selbst in Angst leben und sich in Schutzräumen verstecken müssen, viele wurden getötet und verletzt. Das ist nicht mein Krieg, es ist nicht der Krieg derjenigen, die sich wie ich nach einer besseren Zukunft sehnen.
(Mohammed Altlooli, Gaza Youth Movement)
Der Aktivist aus dem Gazastreifen betont auch, dass die Hamas nicht in seinen Namen spricht. Damit kommt Altlooli zur Kritik an den Demonstrationen in vielen europäischen Ländern während des letzten Konflikts zwischen Israel und der Hamas. Er wirft den Organisatoren vor, unkritisch die Position der Hamas zu übernehmen und den Eindruck zu erwecken, hier handele es sich um die Position "der Palästinenser". Damit distanziert sich Altlooli auch von Antisemitismus und regressiver Israelkritik, von welcher Seite sie auch kommt.
Seit langer Zeit behaupten so viele Menschen, sie seien unsere Freunde, aber in Wirklichkeit geht es ihnen nur um den Hass auf Israel und die Juden. Das ist falsch: es widerspricht unseren Absichten und Überzeugungen und es schadet außerdem der gerechten Sache des palästinensischen Volkes. Wir wollen in Frieden, Würde und Selbstbestimmung Seite an Seite mit den Israelis leben. Wir wollen Gerechtigkeit und Freiheit. Wir wollen keinen Krieg und keine Zerstörung.
Auf "falsche Freunde" kann die palästinensische Bevölkerung aus seiner Sicht gut verzichten:
Sie schaden uns und lassen ein falsches Bild von uns entstehen. Wir wollen keine Antisemiten, Nazis und Israel-Hasser als Freunde.
Der Verfasser des Briefes lebte zwischenzeitlich im Geflüchteten-Camp auf Leros in Griechenland und hat mittlerweile in Deutschland Asyl beantragt. In seinem neuen Aufenthaltsort hat er auch die Auseinandersetzung um die Nahostpolitik mitbekommen, die besonders in Deutschland lange Zeit sehr identitär geführt wurde. "Wie hältst Du es mit Israel oder Palästina?" war und ist teilweise noch immer eine Frage, die linke Gruppen und Wohngemeinschaften trennt. Die Auseinandersetzung hat aktuell nur nicht mehr die Schärfe, die sie vor rund 20 Jahren hatte.
Bei den letzten Auseinandersetzungen ging es vor allem um Kundgebungen und Demonstrationen, an denen sich in Deutschland Menschen mit arabischen und palästinensischen Hintergrund beteiligten. Oft wird in Diskussionen auch von Linken die Position vertreten, man könne verstehen, wenn diese Menschen aufgrund ihrer Biografie und ihrer emotionalen Verbundenheit mit der Region die israelische Politik besonders harsch kritisieren. Dabei wird aber oft vergessen, dass viele dieser Menschen schon lange in Deutschland leben, teilweise hier geboren wurden, jedoch überwiegend Nachrichtensendungen aus den arabischen Staaten verfolgen. Es kommt also nicht auf den arabischen oder palästinensischen Hintergrund, sondern die politische und kulturelle Positionierung an.
"Befreit Gaza von der Hamas"
Der Brief von Mohammed Altlooli ist eine klare Gegenthese zu einer identitären Position, die Menschen auf ihren Hintergrund politisch festlegen will. Das geschieht natürlich auch auf der anderen Seite, wenn allen Juden unterstellt wird, sie ständen auf Seiten der israelischen Regierung. Dem hat Nirit Sommerfeld heftig widersprochen. Mit Mohammed Altlooli gibt es eine Stimme aus Gaza, die nicht für die Politik der Hamas in Haftung genommen werden will. Es gibt allerdings einen Unterschied.
In Israel gibt es trotz der Dominanz der Ultrarechten in der Knesset eine ausgeprägte Zivilgesellschaft. Nirit Sommerfeld müsste nicht um ihr Leben fürchten, wenn sie in Israel gegen die Regierung agiert. Das ist bei Mohammed Altlooli anders. Die von jungen Bewohnern des Gazastreifens gegründete Demokratiebewegung ist massiver Repression durch die Hamas und deren Apparat ausgesetzt. Für sie ist die Parole "Free Gaza from Hamas" keine Demoparole, sondern eine existentielle Frage. Nicht viel besser ist die Situation der Oppositionellen in der Westbank, wo der greise Präsident Abbas Wahlen einfach absagt, weil er sie verlieren könnte.
Da wurde vor wenigen Tagen mit Nizar Banat, ein gemäßigter bürgerlicher Oppositioneller ermordet. Seitdem kam es zu massiven Protesten der arabischen Bevölkerung in der Westbank. Banat wurde in den frühen Morgenstunden des 24. Juni aus seinen Haus in Hebron von palästinensischer Polizei verhaftet und dabei so schwer misshandelt, dass er kurz danach starb. In Hebron gibt es internationale Beobachter, die jede Bewegung der oft rechtsnationalistischen jüdischen Siedler dort registrieren und der Weltöffentlichkeit mitteilen.
An der Verhaftung und am Tod von Nizar Banat waren keine israelischen Stellen beteiligt. Daher werden Vorfälle wie dieser auch kaum wahrgenommen. Genau so schwer haben es Stimmen aus dem Gazastreifen, die eben nicht das identitäre Narrativ bestätigen, dass dort alle Gegner oder gar Feinde Israels sein müssten. Der Brief von Mohammed Altlooli wird erst allmählich hierzulande wahrgenommen.