Wird die Austreibung des Bösen die Welt im Jahre 2003 sicherer machen?
Zwischenmeditation zum unfriedlichen Jahreswechsel
Mit welchen Zeitparametern misst man den Erfolg einer kriegsorientierten Machtpolitik? Welche Kriege sind in der Retrospektive wirklich notwendig gewesen, um Frieden und Sicherheit wenigstens für eine gewisse Zeit an einigen Orten des explosiven Globus zu gewährleisten?
"The American way of war" ist jedenfalls ein globales Sicherheitsprogramm, das auf Äonen angelegt ist, weil Weißes Haus und Pentagon - nach offiziellen Selbstverlautbarungen zu urteilen - gegen Prinzipien und längst nicht nur gegen reale Feinde kämpfen. Wie alle auf Ewigkeit angelegten Programme wird dadurch die Reflexion auf die Frage marginal, ob wenigstens die gegenwärtige Welt sicherer wird, wenn doch schon die schlecht kalkulierbare Zukunft das Menschheitsrisiko schlechthin darstellt.
Wo immer das Böse in amerikanischer Weltanschauung nachwächst, entstehen zukünftig neue Kriegsanlässe mit unvorhersehbaren Streuwirkungen für destabilisierte Regionen, Anschlusskonflikte souveräner Staaten sowie Demokratie- und Liberalisierungsverluste für westliche Länder. In der vermeintlich einsinnigen Ordnungsstrategie der bedingungslosen Bekämpfung aller Menschheitswidersacher nistet das Chaos kettenreaktiver Konflikte, das über "brinkmanship", das Spiel mit dem Feuer, weit hinausgeht. Friedliche Zeiten, wie wir sie kennen gelernt haben, waren regelmäßig durch gefährdete Kompromisse, feindliche Blöcke, Stellvertreterkriege und selbst apokalyptische Waffenarsenale geprägt. Staatsmännische Kunst, die diesen Namen verdient, war über Jahrtausende nie etwas anderes, als ein vorüber gehendes Gleichgewicht in katastrophalen Verhältnissen zu finden und zu ertragen. Dieses aufgeklärte Wissen gilt jetzt nichts mehr!
Eiertanz um die UNO-Resolution
Was hat der Antiterrorkrieg an greifbaren Verbesserungen, friedlichen Zugewinnen und Stabilisierungen der internationalen Lage für das Jahr 2003 gebracht? Al-Qaida wurde geschwächt, restauriert sich aber längst nicht nur in Afghanistan wieder. Der Hydra wachsen neue Köpfe nach, weil der Zustrom fanatisierter Muslime aus Pakistan und diversen arabischen Ländern langfristig und global gesichert ist. Die nicht abreißende Anschlagskette von Djerba, Bali, Kenia und Jemen lässt erkennen, dass der globale Terror trotz der Entsorgung der Taliban, zahlreicher Festnahmen, schneidiger Justizverfahren und hypertropher Überwachungsmaßnahmen der Geheimdienste weltweit existent ist.
Eines der gestern noch zentralen US-amerikanischen Kriegsziele, Usama bin Ladin und Mullah Omar zu fassen, ist längst gegenüber den neuen Irrungen und Wirrungen in Vergessenheit geraten. Das ist indes keine marginale symbolische Frage, sondern belegt die Unwägbarkeiten der von Amerika gewählten Methode, die nächste Krisenregion bereits dann aufzusuchen, wenn die zuvor aufgespürte Bombe längst nicht entschärft ist. Die "boys" sollen nach erfolgreicher Mission schnell wieder nach Hause. Das ist amerikanische Tradition. Trümmerbeseitigung gehört nicht zum patriotischen Auftrag.
Der stellvertretende Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Hans-Ulrich Klose (SPD), um das Ansehen Deutschlands in der Welt mächtig besorgt, schlägt daher in vorauseilendem Gehorsam vor, dass die Bundeswehr nach dem Krieg eine wichtige Rolle spielen soll, den Irak wieder aufzubauen. Der Irak ist offensichtlich bereits zerstört. Hier wäre wohl jede Nachfrage albern, wieso der Krieg denn schon beschlossene Sache ist, obwohl die Waffeninspektionen der UNO weiterlaufen und der Irak auf die UNO-Forderungen eingegangen ist.
Schon jetzt erscheint der Eiertanz um die UNO-Resolution nur noch als groteskes Zwischenspiel, um Zeit zu gewinnen, bis der Aufmarsch der Armada vollzogen ist. Die auch hier zu Lande gepriesene Strategie der "Drohkulisse", die noch kürzlich gegen den inzwischen zum Jein-Sager mutierten Schröder und den hochelastischen Mann der Staatsräson, Joschka Fischer, in das Feld geführt wurde, hat sich als leeres Gerede über eine friedliche Lösung erwiesen, die kaum ernsthaft angestrebt wurde.
Dilemma der Anverwandlung an das Verabscheute
Fataler vielleicht noch als der amerikanische Internationalismus und die Litanei weltweiter Bedrohungen westlicher Sicherheit könnte die in diesen Tagen immer deutlicher konturierte Strategie werden, alles auf einmal und für ewig richten zu wollen. Machtpolitisch langfristige Strukturüberlegungen spielen da eine geringe Rolle.
Die Situation in Afghanistan ist äußerst instabil, die Regierung in Kabul ist jenseits der Hauptstadt nicht einmal Herr im eigenen Lande. Zudem werden bereits wieder fundamentalistische Tendenzen in Ex-Talibanesien beobachtet, die den erklärten Kurs der Demokratisierung, Liberalisierung und Verwestlichung hintertreiben. Antiterrorkampf ohne Friedensnachsorge ist sinnlos und hat zudem den Backlash zur Folge, auch die Errungenschaften demokratischer und rechtsstaatlicher Demokratien nachhaltig zu lädieren (Die Gefangenen von Guantanamo). Die Unsicherheit wächst gerade durch die Entfesselung des Leviathan, die bei wachsender Entropie der globalen Situation in staatlichen Überwachungsterror umklappen könnte (Mord im Auftrag des US-Präsidenten). Es bleibt das Dilemma der Anverwandlung an das Verabscheute, das "Enduring Freedom" seit Anbeginn begleitet.
Selbst die Puritanisierung und Entliberalisierung Amerikas (Oberstes Reinheitsgebot), die Selbstdemontage eben jener Werte, die doch so präventiv verteidigungsbedürftig erscheinen, wird zu einem weiteren Kollateralschaden. Die Fundamentalisierung der westlichen Welt ist keine Angelegenheit des Feinds mehr, sondern bietet sich als paradoxe Begleittherapie gegen die mit Macht herbei geredete Gefahren an. Die Staatsrhetorik der Sicherheit hat zahlreiche Präzedenzen. Auch der unselige Vietnam-Krieg wurde mit analogen Formeln von Sicherheit, Freiheit und fundamentaler Verteidigung westlicher Werte rhetorisch aufgeblasen, obwohl auch damals genügend Gründe bestanden, die Irrealität und Sinnlosigkeit dieses Kriegs zu erkennen: "Vietnam...hat strategisch eine Schlüsselstellung und gehört vielleicht zu den fünf oder sechs Ländern in der Welt, die für die Interessen Amerikas lebenswichtig sind", verkündete David Halberstam 1965 als einer von vielen, die es zumindest damals besser wussten. Was wird in einigen Jahren über die amerikanische Sicherheitspolitik dieser Tage zu lesen sein?
Absehbare Konflikte im Windschatten des amerikanischen Kriegskurses
Nach der Entmachtung von Saddam Hussein wird der Irak in ein gefährliches Machtvakuum tauchen, das auf Grund der geopolitischen Situation im Mittleren Osten für westliche Interessen ungleich brisanter ist als die Frage nach Wohl und Wehe von Afghanistan. Die Akzeptanz einer von den USA und den seit unvordenklichen Zeiten zerstrittenen exilirakischen Fraktionen in Bagdad eingesetzten Regierung wird bis auf weiteres so schwach bleiben, dass ein permanenter Krisenherd in der Region kaum zu vermeiden ist.
Das Risiko eines zerstrittenen Irak ist den Amerikanern spätestens seit dem ersten Golfkrieg geläufig und war seinerzeit der Grund, Saddam Hussein und sein inhumanes Machtregime gerade nicht zu enthaupten. Die von Saddam Hussein zuvor mit Feuer und Gas gedeckelten Ethnien und religiösen Gruppen werden ausreichend Stoff für neue Anschlusskonflikte produzieren. Hässliche Diadochenkämpfe, die erträgliche Konditionen für die irakische Zivilbevölkerung in weite Ferne rücken, stehen bevor. Wer heute dagegen mit humanitären Erwägungen den Krieg gegen Bagdad noch einölen will, entlarvt sich allein schon dadurch als Unterlassungstäter, die irakischen Übelstände über lange Jahre ohne moralische Nöte toleriert, wenn nicht unterstützt zu haben. Das Kurdenproblem in der Türkei könnte in diesem Szenario zudem neuen Aufwind bekommen.
Die Unsicherheitsstrategie, unbereinigte Konflikte einfach weiter schwelen zu lassen, zeigt sich auch im Nahen Osten. Israelische Sicherheit und Palästina-Frage sind weiter denn je von einer zuvor scheinbar in greifbare Nähe gerückten Lösung entfernt (Terror und das Recht auf Selbstverteidigung). Auch der als Antiterrorkampf firmierende Tschetschenien-Konflikt, der im Moskauer Musical-Theater und gegenwärtig in Grosny sein unerschöpftes Potenzial zeigt, gedeiht furchtbar fruchtbar im Windschatten des amerikanischen Kriegskurses.
Bushs autosuggestive Rede von der "Achse des Bösen" hat weiterhin den fatalen Effekt, dass hier Solidarisierungen vorgezeichnet werden, die unter nationalen, kulturellen oder wirtschaftlichen Auspizien undenkbar erschienen. Pjöngjang ist jetzt auf den Plan getreten (Für das Nordkorea-Problem soll die UN zuständig sein). Die stalinistischen Kommunisten sind isoliert und es schien nur noch eine Frage der Zeit, dass das Regime kollabiert, sich zum Westen hin öffnet und sich mit Südkorea wieder vereinigt. Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Il wittert in der Irak-Krise nun die letzte Chance, Nordkorea doch noch zu einer respektablen Stellung in der Welt zu verhelfen, wenigstens aber Gelder für sein Steinzeit-Regime lockerzumachen.
Zwar bedrohte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gemäß der militärischen Hegemonialdoktrin Amerikas auch Korea ohne Zögern mit Krieg, wenn Pjöngjang das Zündeln mit dem Plutonium nicht einstelle. Der Ausflug nach Bagdad sei kein Grund zu glauben, dass Amerika Korea nun ein atomares Freispiel gewähre. Amerikas altes Strategieideal, notfalls auch Mehr-Fronten-Kriege zu führen, ist aber selbst im Scheuklappenblick von Feldherrenplänen keine wünschbare Lösung. Nach dem Säbelrasseln belässt man es in Washington also jetzt bei der surrealen Inkonsequenz, diesem Aggressor wirtschaftliche Sanktionen anzudrohen, über die man - wenn China nicht mitzieht - nicht wirklich verfügt. Die Weltsicherheit, die doch angeblich um jeden Preis verteidigt werden muss, um Saddam Hussein noch kurz vor der globalen Apokalypse abzufangen, spielt im Fall Nordkoreas, das völlig offen nuklear aufrüstet und selbst über effiziente Trägersysteme verfügen soll, keine Rolle.
Wer also in diesen Tagen dem amerikanischen Sicherheitsmythos noch Vertrauen entgegenbringt, muss über besondere logische Eigenschaften verfügen. Dass die USA über ideologisch höchst selektive Maßstäbe verfügen, wie es etwa der amerikanische Historiker Edward A. Tiryakian im Blick auf das Kurdenproblem in der Türkei und die sehr unterschiedliche Behandlung von historischen Kriegsverbrechen feststellte, ist kein Novum. Wer aber erst globale Sicherheit verkündet, um sie dann für selektionsfähig zu halten, demonstriert die ganze Ernsthaftigkeit seines Anliegens.
Kampf der Kulturen
Der nordkoreanische Vorstoß ist nicht die letzte Unbekannte in diesen sich aufschaukelnden Konflikten des Antiterrorkampfes. 2003 könnte das Jahr der bitterbösen Überraschungen werden. Auch Teheran etwa weiß schließlich, dass der Iran auf der Schurken-Liste weit oben steht. Die innenpolitisch kritische Situation des Landes könnte zum zusätzlichen Motiv einer aggressiven Außenpolitik werden, sich besser noch rechtzeitig aktiv in die "Achse des Bösen" einzureihen, als später alleine da zu stehen. Denn jeder "Schurkenstaat" kennt das explizite Kalkül des amerikanischen Internationalismus, eine Bastion nach der anderen auf dieser Achse "abzuarbeiten".
Saddam Husseins Verkündung, der ganzen arabischen Welt ginge es demnächst an den Kragen, klingt in westlichen Ohren zwar wie purer Propagandismus, um seine bereits verteilte Haut noch in einem panarabischen Widerstand gegen die USA zu retten. Aber wie hallt diese Warnung in immer empfindlicheren arabischen Ohren nach, selbst dann noch, wenn Saddam Hussein längst in die Walhalla großer arabischer Feldherren verabschiedet wurde? Die Langzeitwirkung eines mehr als zweifelhaft legitimierten Militärschlags gegen den Irak auf die arabische und selbst die europäische Welt bleibt eine hochexplosive Unbekannte der durch vordergründige Sicherheitsrhetorik entstandenen Unsicherheiten. Den Kampf der Kulturen mag man im Westen weiterhin rhetorisch verdrängen, in der arabischen Welt begründet er für große Gruppen ein immer plausibleres Leitmotiv des Hasses auf Amerika und seine Verbündeten. Selbst Peking mag sich auf Grund von Präsident Bushs Anmerkungen zur Demokratie in China eines Tages fragen, wann es an die Reihe kommt, den Kotau vor Washington zu machen. Dass aber Peking sich in vorauseilendem Gehorsam entschließt, das Land zu demokratisieren und liberalisieren, ist höchst unwahrscheinlich.
Amerikas um Legitimationen nicht verlegene Mixtur aus Hegemonialstrategie, Antiterrorkampf und Eingriffen in fremde Souveränität aus ökonomischen Gründen hat - rein machtpolitisch betrachtet - den Nachteil, zu durchschaubar zu sein. Amerikas Antiterrorkampf ist inzwischen nur noch ein Teilaspekt des globalen Wegs machtorientierter Lösungen. Der Konflikt mit dem Irak etwa firmierte nur solange als potenzieller Antiterrorkampf, bis sich schließlich selbst bei großzügiger Interpretation amerikanischer Falken die Vorwürfe als haltlos erwiesen, Saddam Hussein und al-Qaida kooperierten. Das Motiv des aufziehenden Kriegs wurde kurzfristig ausgetauscht, ohne sich sonderlich um die Glaubwürdigkeitsverluste zu sorgen.
Fazit: Seit Beginn des hektischen Antiterrorkriegs gibt es mehr akute Krisenregionen weltweit als je zuvor. Die Strategie dieses multiplen Kriegs erweist sich als unterkomplexe Vorgehensweise, die die Unsicherheit fördert, die sie vorgeblich bekämpft. Krieg ohne Friedensnachsorge und politisch-strategische Zielbegrenzung produziert quecksilbrige Unsicherheitslagen, die irgendwann geeignet sein könnten, im globalen Chaos zu münden. Sollte mitunter in Köpfen so viel Plutonium lagern, dass selbst eine UNO-Waffeninspektion Schwierigkeiten haben könnte, es alles aufzuspüren?