Wirecard: Wildcard für Organisierte Kriminalität und ein Trojanisches Pferd

Der Chef dieses Unternehmens Jan Marsalek wird seit ein paar Wochen als echter Bad Boy präsentiert. Das ist wahr und heuchlerisch

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Der jähe Fall des Börsenlieblings Wirecard AG, der die "Deutschland-AG 2.0" verkörpert hat und nun mit Häme und Spott aus dem DAX-Olymp verjagt wird, zählt ganz nüchtern zu einem der größten Wirtschaftsskandale in der Bundesrepublik Deutschland. Innerhalb weniger Tagen sank der Börsenwert von sieben Milliarden Euro um circa 75 Prozent.

Die breit ausgetretene Spur, die den Fall aufklären soll, hat die Süddeutsche Zeitung in den Dünensand geschrieben: "Falsche Freunde, falsche Fährten".

Was ist aber, wenn der Wirtschaftskrimi "Wirecard AG" vor allem von ganz vielen hochkarätigen "Freunden" aus der Spitze von Politik und Staat geschrieben wird, und diese nun mit falschen Fährten und ganz viel Nebelkerzen geschützt werden sollen?

Wirecard AG ist ein ziemlich großes Technologie/Finanz-Unternehmen, das auf dem ganz großen Sprung war, im Sektor "Zahlungsdienstleistungen" ganz vorne mitzuspielen. Man brachte es in den Eliteverein der DAX-30-Unternehmen und war kurz davor, die "chinesische Mauer" zu überwinden.

Dann tauchten Informationen über milliardenschwere Betrügereien auf. Dann verschwand ganz plötzlich der Chief Operating Officer Jan Marsalek. Wenig später will man ihn in Russland verortet haben. Dann sickern Nachrichten an die Öffentlichkeit, dass der gefeierte Chief Operating Officer Jan Marsalek eine ganz dunkle, zwielichtige Gestalt ist, der auch mit diversen Geheimdiensten im Bunde steht. Hinter- oder gar Untergrund dieses Agententhrillers sind milliardenschwere "Unregelmäßigkeiten", die seit Jahren, um genau zu sein, seit mindestens fünf Jahren bekannt sind.

Daraufhin passiert das, was man mittlerweile als routiniert bezeichnet kann: Alle, die mit der Aufsicht dieses Technologie/Finanzunternehmens beauftragt sind, wussten zusammen und völlig unabgesprochen von nichts. Es kann sich folglich nur um Pannen handeln, die man nun aufklären müsse und zwar vollständig. Man kann auch gähnen … über das Spiel und dessen vorhersehbaren Ausgang. Die Medien titeln sich die Finger wund und schlagzeilen: "Falsche Freunde, falsche Fährte" (Süddeutsche Zeitung/SZ vom 29. Juli 2020) und meinen damit den gefallenen Engel und aktuellen Bösewicht Jan Marsalek, den man - wo sollte ein Bad Boy auch Unterschlupf finden - in Russland gesehen hat (also so gut wie), Arm in Arm mit Putin über den Roten Platz flanierend und feixend.

Man könnte sagen, dass alle mitspielen: Die, die von diesem Skandal seit 2015 wussten, jene, die sich aufregen und alle zusammen, die den wirklich ernsten Fragen aus dem Weg gehen …

Doch es gibt zwei "Besonderheiten" in diesem Theaterschnee an Information und Gerüchten. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel habe sich persönlich (also mit ihrem Berater- und Wirtschaftstross) für "Wirecard" eingesetzt … und zwar in China. Warum macht dies die Bundesregierung im September 2019, als bereits klar war, dass legale und illegale Geschäftsfelder bei Wirecard nicht mehr auseinanderzuhalten waren? Warum sagt sich die Bundesregierung "all in", und weiß, was passiert, wenn alles auffliegt und platzt? Und was soll Wirecard in China? Schließlich handelt es sich um "Schlüsseltechnologien" - und die gibt man nicht aus der Hand?

Und es gibt eine zweite Marginalie, die so ungeheuer spärlich in den Medien erwähnt wird, dass sie Aufmerksamkeit, große Aufmerksamkeit verdient.

In dem ganzen Theater um Wirecard, kriminelle Geschäfte, Geldwäsche-Vorwürfen, "dubiosen Geheimdienstkontakten" und hochkarätigem politischen Personal, das Deckungsarbeit leistet, kommt buchstäblich ein Mann um die Ecke, der bereits im NSU-Komplex einen denkwürdigen Auftritt hatte. Es handelt sich um Klaus-Dieter Fritsche, der sich wie aus dem Nichts im Jahr 2019 beim Kanzleramt für "Wirecard" verwendet.

Klaus-Dieter Fritsche war von 1996 bis 2005 Vizepräsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV). Ende 2005 wurde er Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt; Ende 2009 wechselte er als Staatssekretär ins Bundesinnenministerium, um Anfang 2014 ins Kanzleramt zurückzukehren - nun als Beauftragter für die Nachrichtendienste des Bundes. Eine Karriere wie im Bilderbuch - und das ausgerechnet für einen Mann, der wie kein anderer messerscharf formulierte, wo Aufklärung ein Ende hat, wenn es um die Staatsraison gehe.

Nun taucht ausgerechnet dieser Mann, der gerade pensioniert wurde, im Umfeld jener dubiosen "Geheimdienstkontakte" auf! Was war seine Rolle in diesem "Spiel"? Was verbindet möglichweise deutsche Nachrichtendienste mit dem Technologieunternehmen Wirecard? Warum fragt keiner der "Qualitätsmedien" nach? Warum wollen sie dieser Spur nicht nachgehen?

Wirecard - eine Schlüsseltechnologie, mit der man (Wirtschafts-)Kriege gewinnen kann

Wie bei jeder Schlüsseltechnologie geht es um Eroberung von Marktanteilen, um den Aufbau einer Monopolstellung, um Milliarden-Profite und um ein Waffensystem.

Wirecard garantiert den bargeld- und kontaktlosen Verkehr. Das Unternehmen muss den Schutz der persönlichen Daten der Geldgeber garantieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass das Geld nicht aus illegalen Quellen stammt. Ein solches Unternehmen ist also im Besitz von hochbrisanten Wissen: Zum einen, wer das Geld verschickt und zum anderen, wie man die Herkunft dieses Geldes prüft.

Den Geldverkehr gegen jeden "ungewollten" Zugriff zu schützen, kann man aber auch dazu nutzen, genau das zu tun, was man vorgibt zu bekämpfen. Man kann "schmutziges" Geld für ganz schmutzige Angelegenheiten ganz legal von A nach B transferieren.

Im Alltagsbewusstsein steht für Geldwäsche die "Mafia". Das ist nur die halbe Wahrheit. Denn anonyme Geldtransferwege werden auch von ganz honorigen Institutionen genutzt, ganz besonders von jenen, die "Geldwäsche" publikumswirksam den Kampf ansagen.

So überweisen Regierungen nicht von Regierungskonten ein paar Millionen zum Beispiel an die "Weißhelme"1 in Syrien, wenn man gleichzeitig die Behauptung nicht ganz lächerlich machen will, dass man sich dort nicht einmische.

Auch Konzerne überweisen keine Schmiergelder, indem sie ihre Geschäftskonten damit belasten. Schließlich macht Korruption nur dann Sinn, wenn man sie nicht in den Bilanzen ausweist.

Das gilt auch für Geheimdienste, die "Operationen" finanzieren, die man in der Öffentlichkeit nicht unbedingt vorstellen und anpreisen möchte und mit deren "Ergebnisse" man nicht in Verbindung gebracht werden will.

Es haben also sehr viele etwas davon, wenn es ganz "legale" Geldtransfermöglichkeiten gibt, die absolute Anonymität garantieren.

Das ist auch der wesentliche Grund, warum sogenannte Nummernkonten, also Konten ohne "Besitzer", seit Jahrzehnten existieren und nie verboten wurden. Ab und an tauchte ein Diktator auf, der ein Nummernkonto in der Schweiz hatte und der nicht "unser" Diktator war. Dann erzürnte man sich eine Weile darüber, um es dann dabei zu belassen. Seit Jahrzehnten geht es nicht darum, dieses System abzuschaffen, sondern zu kontrollieren, wer es benutzen darf.

Wenn man heute "Wirecard" unter anderem Geldwäsche vorwirft, dann sollt man sich all die politische Verantwortlichen vor Augen führen, die unentwegt alles dafür tun, dass dieses System am Laufen gehalten wird.

Wirecard und Wildcard für Organisierte Kriminalität (OK)

Der Chef dieses Unternehmens Jan Marsalek wird seit ein paar Wochen als echter Bad Boy präsentiert. Das ist wahr und heuchlerisch.

Denn sein Geschäftsmodell lebte von dieser Dual-Use-Funktion: Legalität und Illegalität aus einer Hand. Dass er dabei auch mächtig in die eigene Tasche wirtschaftet, liegt auf der Hand und ist das Prekäre an solchen "Geschäftsmodellen". Die Chefetage weiß um die politische Protektion, sie weiß, wer ihre Dienste alles nutzt und nehmen sich gegebenenfalls einiges heraus, was im schlechtesten Fall das Fass zum Überlaufen bringt.

Die Vita dieses Jan Marsalek ist also geradezu vorbildlich. Man fühlt sich unangreifbar, man weiß um die entscheidenden Kontakte und hat ein gewisses Erpressungspotenzial, sollte man plötzlich, aus welchen Gründen auch immer, geopfert werden. Das Gefühl, die dicksten Dinger zu drehen, also auch Geld zu erfinden, das man gar nicht hat, wie die 1,9 Milliarden Euro auf philippinischen Konten, ist so größenwahnsinnig auch nicht. Man wusste von den windigen Geschäftspraktiken, von den aufkommenden Vorwürfen und dennoch wollte man mit "Wirecard" unbedingt den chinesischen Markt erobern.

Nun sucht man landauf, landab nach den Gründen für diese langjährige Nachsicht, für die systematische Abstinenz von Aufsichts- und Kontrollpflichten. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) will tatsächlich den Grund dafür herausgefunden haben. Und der liegt dank dieses investigativen Journalismus in der Person des Jan Marsalek selbst. Ein windiger Bad Boy und gerissen obendrein. Denn er habe selbst ganz lang und erfolgreich falsche Fährten gelegt und angeblich so die Aufsichtsbehörden an der Nase herumgeführt.

Man kann es auch so zusammenfassen: Die SZ legt selbst falsche Fährten und möchte, dass alle darauf hereinfallen. Wirecard habe behauptet, dass an all den bösartigen Gerüchten über kriminelle Machenschaften nicht das Unternehmen selbst schuld sei, sondern eine "Verschwörung zwischen Journalisten und Spekulanten" (Falscher Freund, falsche Fährte, SZ vom 29.7.2020).

Diese Verschwörung sei so ans teuflische Werk gegangen: Zuerst habe die "Financial Times" über dubiose Machenschaften bei Wirecard geschrieben und dann hätten Spekulanten vom Fall der Wirecard-Aktie profitiert, indem sie mit Leerverkäufen auf den fallenden Kurs der Aktie gewettet hätten. Außerdem werde man erpresst. All das habe man der Bafin, der obersten Aufsichtsbehörde im Finanzsektor mitgeteilt. Tatsächlich soll die Bafin diesen Anschuldigungen Glauben geschenkt haben und brachte mächtige Geschütze in Stellung, um Wirecard zu schützen. Man setzte ein europaweites Leerverkaufsverbot durch und brachte Strafanzeigen gegen Journalisten der Financial Times und gegen "diverse, teils bis heute anonyme Spekulanten" auf den Weg. Das "Redaktionsnetzwerk Deutschland" kommentiert diesen recht einmaligen Vorgang sehr galant:

Wenn man so will, macht sich die Bafin mit ihrer Entscheidung zur Komplizin der Firma. Die Aufseher übernehmen die Sichtweise des Unternehmens.

Der Fall Wirecard: Das wahre Ende der Deutschland-AG

Ein genialer Coup von Wirecard, den Spieß umzudrehen? So will es die Süddeutsche Zeitung ihren LeserInnen glaubhaft machen. Tatsächlich lagen allen Aufsichtsbehörden zur selben Zeit massive Verdachtsgründe vor, die die kriminellen Geschäfte von Wirecard untermauern konnten.

Man kann es auch anders formulieren: Die SZ selbst legt eine falsche Spur, um irgendwie erklärbar zu machen, dass die Aufsichtsbehörden nicht gegen Wirecard vorgegangen sind sondern gegen Phantom-Konstrukte.

Das würde bedeuten, dass es sehr gewichtige Gründe gab, dass Bafin und Co. Wirecard beschützten, anstatt der Aufsichtspflicht nachzukommen.

Wirecard als Trojanisches Pferd - oder "kritische Infrastruktur" in deutscher Hand

Man fragt sich zurecht, warum sich die Bundesregierung so dermaßen für Wirecard in China eingesetzt hatte. In zahlreichen Anfragen wurde um "Flankierung" gebeten. Unter anderem vom Merkels engsten Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller und besagten Ex-Geheimdienstchef Fritsche.

Was spricht dagegen, dass das Zahlungssystem von "Wirecard" eine Hintertür für … sagen wir einmal … den deutschen Geheimdienst hatte? Das wäre doch ein genialer Schachzug, für den sich auch ein hohes Risiko lohnt. Man schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: Man hat mit Wirecard einem dicken Fuß im chinesischen Markt, was immer und immer wieder von deutschen Bundesregierungen gefordert wurde. Und man ist im Besitz einer "kritischen Infrastruktur", die man im Zweifelsfall auch gegen ihre Nutzer wenden kann.

Und tatsächlich war man dabei ganz weit gekommen. Am 5. November 2019 verkündete Wirecard den "Markteintritt" in China:

Wie das Unternehmen an jenem Tag mitteilte, hatte es eine Einigung über die Übernahme des chinesischen Zahlungsabwicklers AllScore Payment Services erzielt, zunächst zu 80 Prozent; zwei Jahre später sollten die restlichen 20 Prozent erworben werden. Die Komplettübernahme war möglich, nachdem Beijing im Rahmen des "Deutsch-chinesischen Finanzdialogs" im Januar 2019 bei einem Besuch von Finanzminister Scholz bestätigt hatte, es heiße deutsche Firmen "auf dem chinesischen Markt für Zahlungsdienstleistungen" willkommen - ein Schritt in Richtung auf die weitere Öffnung Chinas für ausländische Investoren, wie sie nicht nur von der Bundesregierung immer wieder verlangt wird. (Joint Statement of the 2nd China-Germany High Level Financial Dialogue. Beijing, 18.01.2019).

Der Fall Wirecard

Man stand also kurz vor dem Ziel. Und das mit einer Option, die genau das zum Inhalt hat, was man seit Monaten der chinesischen Regierung vorwirft: Sie nutze den Aufbau des 5G-Mobilfunknetzes in Deutschland mit Hilfe des chinesischen Konzernes Huawei dazu, um Wirtschaftsspionage zu betreiben und Menschen zu überwachen.

Kryptisch? Alles andere als das

Als die Kommunikation immer mehr elektronisch abgewickelt wurde, stand die Frage im Raum, wie man sie vor fremdem/unerwünschtem Zugriff schützen kann.

Es ging also darum, die Kommunikation zu verschlüsseln. Das Rennen um die beste Verschlüsselungstechnik begann. Dazu gehört auch eine Firma namens "Crypto AG" in der Schweiz. Alsbald hatte sie einen sehr guten Ruf und wurde "Weltmarktführer" für Chiffriermaschinen zur Verschlüsselung von Kommunikation. Regierungen, Konzerne und Geheimdienste/Organisationen, die ein Bindeglied zwischen Ober- und Unterwelt waren, leckten sich die Finger danach. Das Sicherheitspaket verkaufte sich wie geschnittenes Brot und die Käufer hatten ein totsicheres Gefühl. Das hielt ziemlich lange, trotz einiger Gerüchte, die es ja immer gibt: Die Firma sei nicht ganz koscher, man wisse nicht, wer wirklich dahinterstecke. Aber es waren eben Gerüchte und Spekulationen und alle die vom Vertrauen und Glauben daran lebten, denunzierten die Verdächtigungen als grund- und haltlos. Das ging verdammt lange gut.

Die Firma Crypto AG, die Sicherheit verkaufte, hatte nur einen Haken: Sie verschlüsselte Nachrichten nur fürs gute Gefühl.

Jetzt sind geheime Unterlagen zugänglich gemacht worden, die belegen, dass die Firma Crypto AG ein Geheimdienstprojekt war, geführt vom US-Geheimdienst NSA und dem deutschen Auslandsgeheimdienst BND:

Nach der heimlichen Übernahme waren demnach nur zwei Mitarbeiter der Crypto AG eingeweiht, gesteuert wurde der folgende Einbau von Hintertüren durch den Münchener Siemens-Konzern. Dank der manipulierten Algorithmen seien CIA und BND dann in der Lage gewesen, die eigentlich nicht lesbaren Nachrichten zu entschlüsseln.

Cryptoleaks

In den USA wurde diese Operation "Minerva" getauft, beim BND bekam eine der "kühnsten und skandalträchtigsten Operationen" (Geheimdienstexperte Richard Aldrich) den geschichtsträchtigen Namen "Rubikon".

Gegenstand der Dekuvrierung ist die zwischen 1970 und 1993 praktizierte, mehr als zwanzigjährige Belauschung von rund 130 Staaten durch die US-amerikanischen und deutschen Geheimdienste CIA und BND. Beide hatten für umgerechnet 24 Millionen Euro den damals weltweit führenden Schweizer Chiffriermaschinenhersteller Crypto AG heimlich übernommen, zig Millionen Franken mit den Aufträgen jener 130 Staaten verdient und sie durch Manipulierung der ursprünglichen Algorithmen obendrein durch die Hintertür belauscht; ein schon allein unter dem Gesichtspunkt der "Kundentreue" skandalös anmutendes, dreckiges Geschäft.

Frederico Füllgraf, NachDenkSeiten

Es war nicht nur ein dreckiges Geschäft, das die Vorwürfe gegenüber Russland und China, sie würden andere Staaten ausspionieren, wie Katzengejammer erscheinen lassen. Das Wissen, das US-Regierungen und deutsche Bundesregierungen dabei "gewonnen" hatten, macht sie zu Mitwisser/Mittäter blutiger und mörderischer Ereignisse:

Durch diese massive Geheimdienstoperation hatten die Regierungen in Washington und Bonn demnach unter anderem Kenntnis vom blutigen Vorgehen der argentinischen Militärjunta, die Tausende Regimekritiker aus Militärflugzeugen über den Atlantik lebendig ins Meer werfen ließ. Obwohl die Bundesregierung unter Helmut Schmidt davon wusste, nahm Deutschland 1978 an der dort ausgetragenen Fußball-Weltmeisterschaft teil. Auch von den Verbrechen in Chile nach dem dortigen Putsch gegen Präsident Salvador Allende hätten die Regierungen auf diesem Weg erfahren.

Cryptoleaks

Falsche Freunde?

In dem langen Aufmacher der SZ steht viel über dubiose Verbindungen von Wirecard-Chefs. So wird Jan Marsalek, "die mutmaßliche Schlüsselfigur des Skandals" so skizziert: "Abseits der Firma pflegte Marsalek Kontakte zu Politikern und auch zu Geheimdiensten."

In dieser viele Spalten einnehmenden Titelstory sind dazu einige Andeutungen gemacht worden, die sich vor allem durch Nebelhaftigkeit auszeichnen. Dazu gehört immer wieder die Mutmaßung, dass sich die Schlüsselfigur nach Russland abgesetzt habe, womit fast von alleine der russische Geheimdienst ins Spiel gebracht wird, der "KGB", der Geheimdienst aus Sowjetzeiten, der zumindest im "freien Westen" nie aufhört zu existieren.

Selbstverständlich weiß die SZ auch um die Personalie Klaus-Dieter Fritsche, dem Ex-Boss aller deutscher Geheimdienste.

Gehört er auch zu den falschen Freunden, mit denen Wirecard umgeben war? Natürlich nicht. Deshalb lässt man seine Rolle, seine Bedeutung im Wirecard-Geflecht gänzlich unerwähnt. Was die SZ ihren LeserInnen verheimlicht, wird Gegenstand einer nicht öffentlichen Sondersitzung des Finanzausschusses im Bundestag sein. Dort geht es auch um die Rolle von Klaus-Dieter Fritsche, um das Gewicht, das er als Lobbyist für Wirecard eingebracht hat. Was die SZ nicht interessiert, was so dermaßen auf der Hand liegt, will immerhin Stephan Thomae, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag und Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) in Erfahrung bringen:

In diesem Zusammenhang sollte auch die Rolle des ehemaligen Geheimdienstbeauftragten der Bundesregierung, Klaus-Dieter Fritsche, erörtert werden, sagte der FDP-Politiker. Fritsche lobbyierte im Herbst 2019 im Kanzleramt für Wirecard.

Der Spiegel

Und in der Tat steht der ehemalige Geheimdienstbeauftragte der Bundesregierung wie kein anderer für eine Politik, in der es selbstverständlich sein muss, dass staatliches Handeln jenseits einer demokratischen und parlamentarischen Kontrolle möglich sein muss, wenn sie "Staatsgeheimnisse" zum Inhalt haben.

Als sich der NSU, die neonazistische Terrorgruppe, 2011 selbst bekannt gemacht hatte, fragten sie alle, naiv und wirklich empört, wie es sein kann, dass Polizei und Geheimdienste elf Jahre lang nichts von einem neonazistischen Untergrund gewusst haben wollen.

Als der Unmut darüber zu groß zu werden drohte, ganz viele Verantwortliche "Kreide gefressen hatten", sich in kleinlaute Erklärungen und noch mehr Unwissen flüchteten, stand der Ex-Vize-Chef des Verfassungsschutzes am 18. Oktober 2012 vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Berlin "seinen Mann": Anstatt sich wie alle anderen kaum noch zu erinnern, erinnerte er die anwesenden Parlamentarier an ihre Aufgabe, also an ihre Grenzen:

Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren. Es darf auch nicht so weit kommen, dass jeder Verfassungsfeind und Straftäter am Ende genau weiß, wie Sicherheitsbehörden operativ arbeiten und welche V-Leute und verdeckten Ermittler im Auftrag des Staates eingesetzt sind. Es gilt der Grundsatz ‚Kenntnis nur wenn nötig‘. Das gilt sogar innerhalb der Exekutive. Wenn die Bundesregierung oder eine Landesregierung daher in den von mir genannten Fallkonstellationen entscheidet, dass eine Unterlage nicht oder nur geschwärzt diesem Ausschuss vorgelegt werden kann, dann ist das kein Mangel an Kooperation, sondern entspricht den Vorgaben unserer Verfassung. Das muss in unser aller Interesse sein.

Klaus-Dieter Fritsche am 18. Oktober 2012 als Zeuge vor dem NSU-Ausschuss

Wenn also "Qualitätsmedien" es für möglich halten, dass alle staatlichen Aufsichtsbehörden aufgrund einer billigen Finte, einer dick aufgetragenen Spur, getäuscht wurden und deshalb fast fünf Jahre nichts Relevantes gewusst haben sollen, dann kann man heute zumindest feststellen, dass sich diese Spur mehr als erledigt hat.

Dann wären viele Ressourcen frei, der Frage nachzugehen, inwieweit das Versagen der Aufsichtsbehörden gewollt war, um ein "Staatsgeheimnis" zu schützen, das die Eskapaden der Wirecard-Chefs wie Peanuts aussehen lässt.

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