Wirtschaftssanktionen: Ein fragwürdiges Mittel, das Leben kostet

Westliche Staaten verstricken sich immer mehr in Wirtschaftskrieg. Ziel dieser Waffe ist oft der Globale Süden. Hinter dem Recht des Stärkeren steht eine düstere Realität.

Wirtschaftssanktionen stehen seit Langem aus humanitären, politischen und völkerrechtlichen Gründen in der Kritik. Wegen ihrer schwerwiegenden Folgen für die Menschen in den betroffenen, meist ohnehin armen Ländern, werden sie außerhalb der USA und der EU kaum noch als "zivile Alternative" zu Krieg angesehen.1

Die Auseinandersetzung um die westliche Sanktionspolitik wird schon seit Jahrzehnten geführt, zwischen dem politischen Westen und dem Großteil der übrigen Welt. Mit dem massiven Wirtschaftskrieg der Nato-Staaten gegen Russland, der auch die Länder des Globalen Südens in Mitleidenschaft zieht, bekam sie eine neue Dynamik.

Der starke Widerstand gegen Wirtschaftsblockaden richtet sich auch gegen die westliche Dominanz generell und beschleunigt so die Umbrüche in eine multipolare Welt.

Sanktionen gegen ein Drittel der Menschheit

Es gibt eine breite Palette von Zwangsmaßnahmen oder Sanktionen, die Staaten als Druckmittel gegen Individuen, Unternehmen, Organisationen oder ganze Staaten einsetzen und sie können unterschiedliche Bereiche, wie Wirtschaft, Finanzen, Militär und Diplomatie oder auch Sport und Kultur betreffen. Sie können gezielt sein, z.B. eng auf einige Handelsgüter begrenzt, oder umfassend und alle Tätigkeiten von Firmen, Organisationen bis hin zur gesamten Wirtschaft eines Landes treffen.

Bei den internationalen Auseinandersetzungen geht es in erster Linie um Wirtschaftssanktionen, die von einem oder mehreren Staaten eigenmächtig gegen einen anderen verhängt werden, ohne selbst von diesem angegriffen oder auf andere Weise direkt geschädigt worden zu sein. Dazu ist grundsätzlich nur der UN-Sicherheitsrat legitimiert, zumindest wird nur seine Autorität dazu allgemein anerkannt.

Da einzelne Staaten nicht berechtigt sind, sich zum Richter aufzuspielen und gegen andere Strafen zu verhängen, ist der Begriff "Sanktionen" in diesen Fällen irreführend. In der UNO werden sie daher als "unilaterale Zwangsmaßnahmen" bezeichnet. Etwas anderes ist es, wenn ein Staatenbund wie die Afrikanischen Union oder die EU Sanktionen gegen eigene Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Statuten verhängen.

Sekundärsanktionen und eigenmächtige Restriktionen

Eine extreme Form von Zwangsmaßnahmen sind die von den USA verhängten "Sekundärsanktionen", durch die Personen und Unternehmen von Drittstaaten weltweit gezwungen werden, US-Embargovorschriften einzuhalten, auch wenn die Politik und Vorschriften ihrer eigenen Staaten zuwiderlaufen. Sie werden nahezu einhellig abgelehnt, auch von der EU.

Selbstverständlich sind auch sonstige eigenmächtige Restriktionen einzelner Staaten gegen natürliche oder juristische Personen anderer Staaten rechtlich und politisch äußerst fragwürdig, bei denen sich die Exekutive der verhängenden Staaten gleichzeitig als Ankläger, Richter und Vollstrecker aufspielt.

So ist es mit gängigem Recht schwer vereinbar, wenn Unternehmen oder Personen, nur aufgrund einer unterstellten Nähe zur Regierung des gegnerischen Landes Konten gesperrt oder Vermögen beschlagnahmt wird. Das gilt auch für die berühmten Jachten von Oligarchen, unabhängig davon, wie wenig Sympathien wir für sie hegen.

Die Legitimität eigenmächtiger Embargomaßnahmen wird international schon allein deshalb infrage gestellt, weil sie nur von wirtschaftlich dominierenden Mächten oder Bündnissen wirksam verhängt werden können und von ihnen auch sehr selektiv gegen Gegner und Konkurrenten eingesetzt werden.

Gleichzeitig können solche Mächte sicher sein, nie selbst Ziel solcher Maßnahmen zu werden, auch nicht im Falle völkerrechtswidriger Kriege, wie die der Nato-Staaten gegen Jugoslawien oder den Irak.

Daher fördern sie keineswegs die "Stärke des Rechts", wie u. a. führende Grüne hierzulande gerne ins Feld führen, sondern setzen nur das "Recht des Stärkeren" durch. Selbst in Fällen, in denen die vorgebrachten Gründe berechtigt erscheinen, bleiben sie im Grunde Akte der Willkür ‒ Maßnahmen aus dem "Arsenal des Faustrechts", wie sie der Präsident der "International Progress Organization" (I.P.O.) in Wien, Hans Köchler charakterisiert.

Asymmetrie zwischen reichen und weniger entwickelten Ländern

Sie werden von reichen, hoch entwickelten Staaten gegen wirtschaftlich weniger entwickelte Länder im Afrika, Asien und Lateinamerika eingesetzt. Diese Asymmetrie weisen auch die Sanktionen des UN-Sicherheitsrates auf, da die großen Mächte und ihre Verbündeten vor ihnen geschützt sind.

Der Anwendung von Wirtschaftssanktionen nahm in den letzten sechs Jahrzehnten erheblich zu. Waren Anfang der 1960er-Jahren weniger als vier Prozent der Länder mit Restriktionen der USA, westeuropäischer Staaten und der Vereinten Nationen konfrontiert, ist dieser Anteil auf 27 Prozent angestiegen, d.h. auf mehr als ein Viertel aller Länder.

Aktuelle Sanktionsziele der EU, des Vereinigten Königreichs und der USA

Überwiegend sind sie ein Instrument der Außenpolitik der USA und ihren Verbündeten. Allein die USA haben ‒ teils gemeinsam mit der EU ‒ gegen rund 40 Länder eigenmächtige und teils äußerst umfassende Restriktion in Kraft. Bezogen auf die Bevölkerungszahl richten sie sich faktisch gegen ein Drittel der Menschheit.2

Sie richten sie ‒ von der Öffentlichkeit kaum beachtet ‒ überwiegend gegen bereits völlig verarmte Länder wie Nicaragua, Mali, Simbabwe oder Laos. Besonders umfassend sind die Blockaden gegen Nordkorea, Kuba, Iran und Syrien. Sie sind auch die langjährigsten.

Nordkorea, Kuba, Iran und Syrien

Gegen die Demokratischen Volksrepublik Korea laufen sie seit dem Beginn des Koreakriegs 1950. Während die Waffen seit 70 Jahren schweigen, wurde der Wirtschaftskrieg in wechselnder Intensität fortgeführt. Entspannungsphasen folgten stets neue Verschärfungen. Ab 2006, nach dem ersten Atomwaffentest Nordkoreas kamen noch Sanktionen des UN-Sicherheitsrates hinzu.

Obwohl nach Pjöngjangs Kündigung des Atomwaffensperrvertrages eine rechtliche Grundlage fehlt, wurden sie mit dem Fortschreiten seines Aufrüstungsprogramms immer weiter verschärft und richten sich auch gegen die Entwicklung ballistischer Raketen allgemein.

Kuba ist seit 1960 mit strengen Handels- und Finanzblockaden konfrontiert, als direkte Fortsetzung der militärischen und geheimdienstlichen Operationen, die Washington ab Ende 1959, nach dem Sturz des Diktators Fulgencio Batista, gegen die revolutionäre Regierung eingeleitet hatte und die in der Invasion in der Schweinebucht gipfelten. Da Kuba bis dahin fast vollständig von den USA abhängig waren, wirkte die Blockade besonders brutal.

Blockaden gegen Kuba und Iran: USA eskalieren

Das Ziel war, wie auch vom stellvertretenden US-Außenministers Lester Mallory im April 1960 offen verkündet wurde, "das Wirtschaftsleben Kubas zu schwächen (...), um Hunger, Verzweiflung und den Sturz der Regierung herbeizuführen".3

Da die Kubaner widerstanden, weiteten die USA die Blockade immer weiter aus und begannen auch Drittstaaten zu zwingen, sich daran zu beteiligen. Präsident Trump setzte mitten in der Covid-19-Epidemie weitere Verschärfungen in Kraft, die gravierende Engpässe verursachen.

Gegen den Iran haben die USA ab 1979, nach dem Sturz ihres wichtigsten Verbündeten in der Region, Schah Reza Pahlevi Wirtschafts-, Handels- und Finanzrestriktionen verhängt und stetig erweitert. Seit demselben turbulenten Jahr, in dem der Supermacht mit dem persischen Schah-Regime der wichtigste Stützpfeiler im Nahen Osten weggebrochen war, ist auch Syrien mit US-amerikanischen Zwangsmaßnahmen konfrontiert. Washington setze das Land, wegen seiner Unterstützung palästinensischer und anderer antiimperialistischen Organisationen auf seine Liste "staatlicher Terrorismusförderer".

Wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen verursachen in allen Ländern erhebliche wirtschaftliche Schäden, hemmen die wirtschaftliche Entwicklung und die Steigerung des Lebensstandards. Die kubanische Regierung schätzt den Schaden von 60 Jahren US-Blockade auf über 144 Milliarden US-Dollar.4

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