Wirtschaftssanktionen: Ein fragwürdiges Mittel, das Leben kostet
Seite 2: Besonders effektiv: Finanzblockaden
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Neben klassischen Embargomaßnahmen wie Import- und Exportbeschränkungen von Gütern und Dienstleistungen setzen die USA zunehmend Finanzblockaden ein. Deren Spektrum reicht vom Verbot bestimmter Transaktionen über das Sperren von Konten und Einfrieren von Vermögen in den USA, bis hin zum vollständigen Ausschluss vom US-Finanzmarkt.
Sie nutzen die einzigartige Machtposition der USA im internationalen Finanzsystem aus. Diese wiederum stützt sich auf die Vorherrschaft des US-Dollars als globale Leit-, Reserve- und Transaktionswährung und die zentrale Rolle US-amerikanischer Finanzinstitute bei der Abwicklung von grenzüberschreitenden Finanztransaktionen.
Sie sind heutzutage für die meisten Wirtschaftsbereiche eines Landes von essenzieller Bedeutung, doch ihre Wege führen meist an irgendeiner Stelle über US-amerikanische Institute.
Dadurch bieten sie den US-Behörden Eingriffsmöglichkeiten, die sie mit der dreisten Rechtsauffassung rechtfertigen, dass man sich schon bei der bloßen Durchleitung über US-Konten unter US-Hoheit begibt, auch wenn Sender und Empfänger in anderen Ländern sitzen und auch sonst kein Bezug zu den USA besteht.
Auf diese Weise kann Washington auch das internationale Finanzkommunikationsnetzwerk Swift (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication), über die Finanztransaktionen zwischen Finanzinstitutionen verschiedener Länder vorwiegend abgewickelt werden, zwingen, die Institutionen gegnerischer Länder auszusperren.
Finanzblockaden sind dadurch besonders wirksam und flexibel und haben gegenüber Handelsembargos den enormen Vorteil, dass sie auch ohne internationale Unterstützung effektiv sind. Die Eingriffe in internationale Zahlungssysteme und die Beschlagnahmung von Konten verstoßen allerdings eindeutig gegen internationale Abkommen und die Grundprinzipien des internationalen Rechts.
Tödliche Folgen von Sanktionen
Von westlicher Seite wird stets beteuert, dass ihre Maßnahmen sich allein gegen die jeweilige Regierung, das jeweilige Regime, richten würden. Doch selbst wenn dies tatsächlich der Fall wäre, liegt es auf der Hand, dass sie, sobald sie effektiv sind, d.h. Handel und Wirtschaft wirksam einschränken, sie stets in erster Linie die Bevölkerung treffen, vor allem deren ärmere, verletzlicheren Teile, d.h. Kinder, ältere und kranken Menschen etc. …
Das Washingtoner Center for Economic and Policy Research (CEPR) hat 30 Studien über Auswirkungen von Wirtschaftssanktionen auf den Lebensstandard in den Zielländern ausgewertet. Sie stimmen darin überein, dass sie stets negative Folgen haben, die vom Einbruch des Pro-Kopf-Einkommens, über Zunahme extremer Armut und Ungleichheit bis zu höherer Sterblichkeit reichen.
"Unilaterale Sanktionen schaden allen und sind besonders schädlich für die Menschenrechte von Frauen, Kindern und anderen schutzbedürftigen Gruppen innerhalb der Bevölkerung der von den Sanktionen betroffenen Länder", fasste Alena Douhan, die Sonderberichterstatterin über die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen, die Untersuchungsergebnisse ihres Teams im Dezember letzten Jahres zusammen.
Sanktionen: Kritik an Folgen für Entwicklungsländer
Der vom UN-Menschenrechtsrat ernannten Expertin zufolge, gehören zu den besonders gefährdeten Gruppen neben den oben genannten auch indigene Völker, Menschen mit Behinderungen, Flüchtlinge und Vertriebene.
Da es sich bei betroffenen Staaten fast ausschließlich um Entwicklungsländer handelt, die ohnehin mit massiven finanziellen und entwicklungspolitischen Problemen zu kämpfen hatten, "schaden Wirtschaftssanktionen", so Douhan, "dem langfristigen Wachstumspfad der Gesellschaften, gegen die sie gerichtet sind, erheblich."
Der Westen spielt solche Kritik stets herunter und bestreitet Versorgungsmängel mit dem Hinweis, dass humanitäre Güter wie Nahrung und Medizin doch von ihren Blockaderegelungen ausgenommen seien. Tatsächlich behindern Handels- und Finanzblockaden zwangsläufig jeglichen stets den Import aller Güter und verteuern ihn. Gleichzeitig verlieren die Länder durch Wegfall ihrer Exporte auch die zum Einkauf nötigen Devisen.
In der Regel fallen auch immer sogenannte "Dual Use"-Güter unter die Blockadebestimmungen, also Güter, die zivil und militärisch genutzt werden können. Da es eine enorme Bandbreite von Produkten gibt, die u. U. auch militärisch genutzt werden können, wird dadurch auch die Eigenproduktion von essenziellen Gütern stark beeinträchtigt ‒ von Maschinen und Ersatzteilen bis hin zu Pflanzendünger, Desinfektionsmitteln und Medikamenten. Heutige Gesellschaften beruhen auf einem komplexen Netz unentbehrlicher Infrastruktur.
Wenn z. B. aus Mangel an Ersatzteilen Pumpen ausfallen, kann der Zusammenbruch des Abwassersystems ganze Stadtteile im Sumpf versinken und Cholera- und Typhus-Seuchen ausbreiten lassen. Erhalten Bauern nicht mehr genug Saatgut und Dünger, bricht auch noch die Selbstversorgung mit Lebensmitteln zusammen.
Wenn mehrere solche Faktoren zusammenwirken, entstehen schnell lebensbedrohliche Notlagen. Richtig mörderisch wird es, wenn die USA ihre Gegner durch vollständige Blockaden zu strangulieren suchen, indem sie Drittländer und ausländische Firmen durch Androhung von sogenannten "sekundären Sanktionen" zwingen, sich den Embargomaßnahmen anzuschließen.
Kinder- und Müttersterblichkeit am Beispiel des Irak-Embargos
Direkt auf Restriktionen lassen sich Todesfälle nur selten zurückführen, dann z.B., wenn durch sie lebensrettende Medikamente oder medizinische Geräte fehlen. Aber selbstverständlich führt auch allgemeiner Mangel an Medikamenten, Lebensmittel, … zum vorzeitigen Tod von Menschen, vor allem von Kindern, Alten und Kranken.
Generell geht eine Verschlechterung von Lebensverhältnissen stets mit dem Rückgang der Lebenserwartung einher und führt unweigerlich zu wachsender Zahl indirekten Todesopfern. Insbesondere steigen Kinder- und Müttersterblichkeit oft dramatisch an. Das Embargo gegen den Irak kostete dadurch, wie eine Unicef-Studie ermittelte, von 1990 bis 1998 ungefähr 500.000 Kindern das Leben. Die Gesamtzahl der Opfer des Embargos, bis es 2003 mit dem zweiten US-geführten Krieg endete, wird auf weit über eine Million geschätzt.5
Lang andauernde Wirtschaftsblockaden können somit mehr Opfer fordern als militärische, auch dann, wenn sie nicht so brutal sind wie das damalige Irak-Embargo. So forderten die US- und EU-Sanktionen gegen Venezuela nach Berechnungen von Mark Weisbrot und Jeffrey Sachs in einer Studie für das Washingtoner Centre for Economic and Policy Research (CEPR) bereits zwischen 2017 und 2018 schätzungsweise 40.000 Menschenleben.
Stiller Tod in Syrien und die dramatische Lage in Afghanistan
Auch in Syrien wirken die Wirtschaftsblockaden der USA und der EU, wie der damalige UN-Sonderberichterstatter, Idriss Jazairy bereits im Mai 2019 berichtete, schon lange verheerender als der Krieg. Ihre Opfer würden nun nur "einen stillen Tod" sterben.
Seine Nachfolgerin, Alena Douhan hat nach ihre Syrien-Reise im November letzten Jahres erneut eindringlich die Aufhebung gefordert. Sie hätten eine vernichtende Wirkung auf die syrische Zivilbevölkerung und verhinderten nach elf Jahren Krieg den Wiederaufbau des Landes und damit auch die Rückkehr von Millionen Flüchtlingen. Tausende stranden stattdessen monatlich beim Versuch nach Europa zu kommen, beispielsweise in Libyen oder ertrinken gar im Mittelmeer.
Noch katastrophaler wirken die Handels- und Finanzblockaden der USA und der EU gegen Afghanistan, die mit der Machtübernahme der Taliban nach 20 Jahren Krieg gegen das gesamte Land in Kraft traten. Zuvor waren drei Viertel der öffentlichen Ausgaben vom Westen finanziert worden.
Kollateralschäden der Sanktionspolitik
Diese Zahlungen versiegten nicht nur über Nacht, die Nato-Staaten beschlagnahmten zudem auch noch die Reserven der afghanischen Zentralbank in Höhe von über neun Milliarden US-Dollar und schnitten das Land vom globalen Finanzsystem ab.
Die Leiterin des Welternährungsprogramm (WFP) der UNO in Afghanistan berichtete, sie "habe noch nie eine Krise erlebt, die so schnell und in einem solchen Ausmaß eskaliert ist, wie die in Afghanistan". WFP-Chef David Beasley beschrieb die Lage als "Hölle auf Erden". Der transatlantische Thinktank International Crisis Group befürchtet, dass "Hunger und Elend" nun "mehr Afghanen töten als alle Bomben und Kugeln der letzten zwei Jahrzehnten".6
Hier zeigt sich besonders deutlich der Irrwitz der westlichen Sanktionspolitik. Zweifelsohne verstößt die Politik der Taliban eklatant gegen Menschenrechte, insbesondere die der Frauen. Doch leidet die gesamte Bevölkerung unter dem Zusammenbruch der Versorgung, und ganz besonders Frauen und Kinder.
Warum konfrontative Maßnahmen oft zur Verhärtung führen
Und Handels- und Finanzblockaden sind offensichtlich auch nicht geeignet, eine Änderung der Politik des Gegners zu erzwingen ‒ im Gegenteil führt das konfrontative Vorgehen i.d.R., wie Studien zeigen, zu einer Verhärtung der Haltung der angegriffenen Regierung und zu einem Verlust an Einflussmöglichkeiten von außen.
Wenn die Nato-Staaten die Menschen durch ihr Embargo hungern, frieren und sterben lassen, deren Menschenrechte sie angeblich verteidigen wollen, so sind ihre humanitären Ziele offensichtlich vorgeschoben. Tatsächlich führen sie in Afghanistan damit nur den militärisch verlorenen Krieg mit anderen Mitteln fort ‒ brutal und rücksichtslos.
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