Die unerwartete Stärke der russischen Wirtschaft in Kriegszeiten
Russlands Wirtschaft wächst trotz harter Sanktionen. Der Westen ist von dieser Resilienz überrascht. Ein Ökonom findet deutliche Worte.
Knapp zwei Jahre, nachdem der Kreml seine Armee in die Ukraine einmarschieren ließ, sieht sich Russland mit harten Sanktionen konfrontiert. Erst kürzlich hat die Europäische Union ihr 12. Sanktionspaket verabschiedet – doch die russische Wirtschaft wächst weiter.
Die Rätsel der Nato-Staaten: Warum Russland standhält
In den Nato-Staaten herrscht Rätselraten, warum es bisher nicht gelungen ist, die russische Regierung in die Knie zu zwingen. Nach Ansicht des Ökonomen Wladislaw Inosemzew, Gründer des Moskauer Zentrums für postindustrielle Studien, liegt das auch daran, dass man im Westen den Märchen glaubt, die man sich über Russland selbst ausgedacht hat.
Ein Beispiel sind die Worte des verstorbenen US-Senators John McCain. Er sagte 2014, Russland sei eine Tankstelle, die sich als Land ausgibt. Das russische System sei eine Kleptokratie und die russische Wirtschaft hänge nur von Öl und Gas ab.
Die Realität der russischen Wirtschaft: Flexibel trotz Sanktionen
Inosemzew sagte der spanischen Zeitung El País, diese Vereinfachung, wie sie in McCains Worten zum Ausdruck komme, sei der Grund für das Scheitern der Sanktionen. "Der Hauptfehler westlicher Experten und Politiker bestand darin, das Märchen zu verbreiten, die gesamte russische Wirtschaft sei staatlich gelenkt."
Die Sanktionen seien unter der Annahme verhängt worden, dass die russische Wirtschaft nicht flexibel sei und deshalb schnell zusammenbrechen würde. Das sei aber ein Irrtum gewesen, denn die russische Wirtschaft sei stark marktwirtschaftlich geprägt.
Des Kremls Wirtschaftspolitik: Mehr als nur eine Kriegswirtschaft
Es sei auch ein Fehler, die russische Wirtschaft als Kriegswirtschaft zu bezeichnen, so Inosemzew. Zwar beliefen sich die russischen Militärausgaben auf 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), aber in etwa so hoch seien auch die US-amerikanischen unter Ronald Reagan von 1981 bis 1985 gewesen. "Und niemand würde sagen, dass die amerikanische Wirtschaft eine Kriegswirtschaft war."
Während in den Nato-Staaten über einen Zusammenbruch der russischen Wirtschaft spekuliert wird, wächst sie. Für 2023 rechneten die russischen Behörden mit einem BIP-Wachstum von 3,2 Prozent – deutlich mehr als die deutsche Wirtschaft. Deutschland glitt 2023 in eine Rezession.
Die Herausforderungen des Kremls: Wirtschaftswachstum und Rubelstabilität
Im Kreml ist man dennoch unzufrieden. "Drei Prozent sind eine unzureichende Wachstumsrate, sie muss höher sein, das ist allen klar, wir müssen viele Lücken schließen", räumte Kremlsprecher Dmitri Peskow kürzlich laut El País ein.
In diesem Jahr soll die russische Wirtschaft wachsen. Die russische Ratingagentur AKRA prognostiziert ein Wachstum von 0,5 bis 1,3 Prozent. Damit übertrifft die russische Wirtschaft auch die deutsche. Die Deutsche Bundesbank geht in ihrem aktuellen Monatsbericht von einem BIP-Wachstum in Deutschland von 0,4 Prozent aus.
Die Auswirkungen des Krieges auf Russlands Arbeitsmarkt
Das schwache BIP-Wachstum in Russland ist laut AKRA auch auf den Krieg zurückzuführen. Unternehmen haben Schwierigkeiten, Arbeitskräfte zu finden. Die Arbeitslosenquote beträgt nur 2,4 Prozent. Die Mobilisierung für den Krieg und die kriegsbedingte Abwanderung spielen demnach auch eine Rolle.
Zum Problem für den Kreml könnte aber ein weiterer Verfall des Rubels werden. Ein niedrigerer Rubelkurs gegenüber dem US-Dollar stützt zwar den Binnenmarkt. Doch knapp 35 Prozent der Produkte und der Ressourcen zu ihrer Herstellung würden importiert, so Inosemzew. Er fügte hinzu: "Die Grenze, bis zu welcher der Rubel fallen kann, ohne dass die Inflation steigt, ist erreicht".
Fazit: McCain lag völlig daneben
Dennoch sieht Inosemzew die Worte McCains als groben Fehler an. Denn eine Tankstelle sei etwas Unverzichtbares, an dem jeder jeden Tag vorbeikomme. Es sei ziemlich naiv gewesen, Russland mit Sanktionen einen schweren Schlag versetzen zu wollen. Jedes weitere Paket werde mehr Kontroversen hervorrufen und immer weniger Wirkung zeigen.
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