Steht die Ukraine vor einem militärischen Kollaps?

Russland rückt auf breiter Front vor. Militärisch katastrophal wirkt sich die ausbleibende Unterstützung des Westens aus. Eine Lageeinschätzung.

Nur wenige Dörfer und Felder konnten bei der Frühlingsoffensive der ukrainischen Armee erobert werden, hauptsächlich südöstlich bei Saporischschja und nördlich und südlich von Bachmut. Jetzt sieht es so aus, als würde die Ukraine alle im Sommer zurückeroberten Gebiete wieder verlieren, die russische Armee rückt in breiter Front vor.

Abgeschnitten von ausreichenden Mengen an westlichem Nachschub, kann die Armee Kiews augenscheinlich dem russischen Druck nicht mehr standhalten. Bei Bachmut ist es der russischen Armee gelungen, fast 90 Prozent der ukrainischen Gebietsgewinne der gescheiterten Frühlings-Offensive wieder zurückzuerobern.

Folgen der Fehleinschätzungen der westlichen Unterstützer

Wie es gerade aussieht, rächt sich jetzt, dass der Westen, in fahrlässiger Unterschätzung der Stärke der russischen Armee, die ukrainische Armee zu Offensivoperationen gedrängt hat, obwohl die ukrainische Armee nicht das Potenzial hatte, russisch besetztes Territorium nachhaltig zu erobern und dauerhaft zu halten.

Die Kämpfe verlagern sich zurzeit hauptsächlich in den Raum Bachmut, wo die russischen Angreifer mehrere hundert Meter in die Verteidigungsstellungen der ukrainischen Verteidiger eindringen konnten.

Der signifikanteste Erfolg ist der russischen Armee südlich von Bachmut mit der Eroberung der stark befestigten Anhöhe nördlich von Klischtschijwka gelungen. Diese ermöglicht es den russischen Truppen, in das bei der ukrainischen Gegenoffensive heftig umkämpfte Dorf einzusehen.

Die Möglichkeit der ukrainischen Verteidiger, das Dorf gegen weitere russische Vorstöße zu halten, wird dadurch stark eingeschränkt. Die Anhöhe ist festungsmäßig ausgebaut und war die stärkste Verteidigungsstellung von Klischtschijwka. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Truppen Kiews sich vollständig aus dem Dorf zurückziehen müssen.

Russische Geländegewinne

Weiter sind Russland Geländegewinne unmittelbar westlich von Bachmut gelungen. Hier stoßen russische Truppen Richtung Ivanivske vor. Weiter nördlich konnten russischen Truppen offenbar die ukrainischen Verteidiger aus einer Verteidigungsstellung zwischen Friedhof und Motocross-Bahn an der O0506 werfen.

Die Straße O0506 spielte bei der Belagerung von Bachmut eine entscheidende Rolle. Hier gelang es Russland, den Nachschub in das belagerte Bachmut abzuschneiden, die Truppen Kiews mussten die belagerte Stadt aufgrund hoher Verluste im Mai dieses Jahres aufgeben.

In diesem Bereich sind die russischen Streitkräfte seit Anfang Dezember auf einer Länge von rund 12 Kilometern mehrere hundert Meter weit vorgedrungen. Weiter im Norden stieß die russische Armee zudem um Vesele weiter vor.

Das übergeordnete Ziel der russischen Armee ist wahrscheinlich zum einen das Erreichen des weiter westlich gelegenen Siwerskyj-Donez-Donbas-Kanals und zum anderen die Eroberung von Tischassiv Jar.

Bemerkenswert ist die relativ hohe Geschwindigkeit ihres Vorstoßes, denn in nur wenigen Tagen konnten die Ergebnisse der gescheiterten ukrainischen Offensive zunichtegemacht werden und Gebiete zurückerobert werden, die die Ukraine in monatelangen, blutigen Kämpfen erobern konnte.

In Awdijiwka gibt es nur kleinere russische Geländegewinne. Hier konnten sich russische Truppen jetzt anscheinend dauerhaft in der Mitte von Stepove festsetzen. Die Einnahme des nördlich der Kokerei AKHZ gelegenen Dorfes gilt als Voraussetzung dafür, um das riesige Industriewerk stürmen zu können.

Östlich der Kokerei ist ein Wasserwerk in die Hände der russischen Angreifer gefallen. Im Süden von Awdijiwka konnte die russische Armee den Waldstreifen südlich von Sjeverne auf voller Länge einnehmen. Dieser Waldstreifen ist nur noch 500 Meter von dem Dorf entfernt. Südwestlich von Donezk konnte sich die russische Armee vor Nowomychaljwka festsetzen.

Die Initiative auf dem Schlachtfeld

Die Initiative auf dem Schlachtfeld ist vollständig auf die russische Armee übergegangen. Auch in dem Gebiet der Dnipro-Querung bei Cherson hat die ukrainische Armee seit Wochen keine neuen Geländegewinne verzeichnen können, konnte hier aber russische Vorstöße bislang noch abwehren.

Abgeschnitten von jedweder Möglichkeit einer landbasierten logistischen Unterstützung und ohne Perspektive, die tief gestaffelten, russischen Verteidigungsanlagen überwinden zu können, drängt sich weiter der Verdacht auf, dass es sich hier um eine reine PR-Aktion handelt, um den westlichen Geldgebern eine militärische Initiative vorzugaukeln – auf Kosten der einfachen Soldaten, die ohne jeglichen militärischen Sinn in kleinen Booten über den Dnipro geworfen werden.

Gleitbomben und Panzer

Russland nutzt hier gehäuft Gleitbomben des Typs FAB-500 mit Gleitrüstsatz UMPC. Laut des ukrainischen X-Accounts "Voice of the Army" hat Russland allein im November über 1.200 Gleitbonben eingesetzt, mit einem Rekord von 120 Bomben an nur einem Tag.

Nachdem möglicherweise über 30 Leopard bereits außer Gefecht gesetzt worden sind, konnten die russischen Streitkräfte jetzt einen ersten Leopard 2A4 erbeuten. Der betagte Panzer wurde interessanterweise mit einer russischen Kontakt-Reaktivpanzerung nachgerüstet, um den Panzer besser gegen Beschuss zu sichern.

Eine Reaktivpanzerung besteht aus mit Sprengstoff gefüllten Kacheln, die bei Aufschlag einer Granate explodieren und dem Geschoss eine Stahlplatte entgegenschleudert und so die Wirkung des Geschosses minimieren kann.

Der Leopard verfügt in den Bundeswehr-Ausführungen nicht über ein solches Schutzsystem. Die neuesten Versionen haben allerdings das abstandsaktive Schutzsystem "Trophy". Dieses schützt den Panzer allerdings nicht gegen Drohnen.