Der Ukraine-Krieg und das Dilemma der eingefrorenen russischen Guthaben
Der Westen strebt danach, russische Vermögen zu beschlagnahmen. Rechtliche Bedenken und Furcht vor globalen Auswirkungen lassen ihn noch zögern.
In einer Welt, in der geopolitische Spannungen und wirtschaftliche Interessen häufig aufeinanderprallen, steht ein Thema nach wie vor im Mittelpunkt: die Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte.
Diese Debatte wurde durch den Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine ausgelöst. Inzwischen hat das Thema eine neue Brisanz: Den westlichen Unterstützern der Ukraine fällt es zunehmend schwer, das kriegsgebeutelte Land aus eigener Tasche zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund sind die eingefrorenen Guthaben der russischen Zentralbank in Höhe von 260 Milliarden Euro eine willkommene Alternative.
Globale Finanzrisiken: Die Folgen der Beschlagnahmung
Die westlichen Staaten haben sich bislang nicht auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt. Viele Fragen sind offen. Und es steht nicht weniger als das globale Finanzsystem auf dem Spiel. Ein möglicher Diebstahl russischer Vermögenswerte könnte dem US-Dollar und dem Euro schweren Schaden zufügen.
Rechtliche Dilemmata: Die Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte
Die Idee, eingefrorene russische Vermögenswerte zur Unterstützung der Ukraine zu beschlagnahmen, ist nicht nur ein politisches, sondern auch ein rechtliches Dilemma.
Die souveräne Immunität, ein Grundsatz des Völkerrechts, schützt normalerweise das Vermögen eines Staates vor solchen Maßnahmen. Die Gerichte eines Staates dürfen also nicht über die Handlungen eines anderen Staates urteilen. Auch das Vermögen eines Staates darf nicht zur Vollstreckung von Urteilen herangezogen werden.
Uneinigkeit unter westlichen Staaten
An diesem Punkt gehen die Interessen der westlichen Staaten inzwischen auseinander. Die USA und Großbritannien befürworten die Idee, russisches Vermögen zu beschlagnahmen. EU-Länder wie Frankreich und Deutschland zögern. Sie diskutieren seit Monaten über alternative Maßnahmen, um die Ukraine mit russischem Geld zu unterstützen.
Neue Rechtsgrundlagen: Internationale Anwälte und die Beschlagnahmung
Die Financial Times berichtete kürzlich, dass internationale Anwälte eine rechtliche Grundlage für die Beschlagnahmung russischer Staatsreserven erarbeitet hätten. Die Gruppe unter der Leitung von Philip Zelikow, einem ehemaligen hochrangigen US-Diplomaten, argumentiert, dass dies eine gerechtfertigte "Gegenmaßnahme" gegen Moskaus grobe Verletzung des Völkerrechts sei.
Sie beziehen sich in ihrer Argumentation auf den Irak. Nachdem die irakische Armee 1990 in Kuwait einmarschiert war, dann aber von einer US-geführten Koalition geschlagen wurde, wurden dem Land Entschädigungszahlungen auferlegt. Diese wurde zum Teil aus irakischen Reserven bezahlt.
Diese Argumentation ist nicht unumstritten, findet aber inzwischen in Washington und London Unterstützung. Dennoch sei bisher nicht abzusehen, dass auf dieser "rechtlichen Grundlage" gehandelt werde, zumal dies die Position des US-Dollars und des Euros untergraben könnte, so die Financial Times.
Die Zukunft des globalen Finanzsystems: Risiken und Möglichkeiten
Die Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte könnte nicht nur die Beziehungen zu anderen Großmächten wie China beeinflussen. Das globale Finanzsystem könnte einen schweren Schlag erleiden.
Auch andere Länder könnten es dann für akzeptabel halten, Streitigkeiten durch die Beschlagnahme von Reserven beizulegen. Viele Länder des Globalen Südens könnten dies auch als ein weiteres Beispiel dafür ansehen, wie vermögende Länder die Regeln ihren eigenen Interessen anpassen, schreibt die FT.
Schließlich könnte das westliche Engagement in der Ukraine ebenfalls dadurch an Glaubwürdigkeit verlieren. Denn es wurde etwa von den USA oder Deutschland damit begründet, dass eine regelbasierte internationale Ordnung verteidigt werden müsse.
Die EU-Strategie: Eingefrorene Gelder in einem Fonds für die Ukraine
Die Europäische Union will deshalb einen anderen Weg gehen: Die russischen Gelder bleiben eingefroren, werden aber nicht beschlagnahmt, sondern in einem Fonds angelegt. Aus dessen Erträgen wird dann die Ukraine unterstützt. So bleiben die Eigentumsrechte gewahrt.
Einen entsprechenden Plan hatte die EU-Kommission Mitte Dezember vorgelegt. Ob er tatsächlich angenommen wird, ist allerdings fraglich, da alle EU-Länder zustimmen müssten.
Auch die Recht- und Zweckmäßigkeit dieses Plans ist nicht ohne Weiteres zu bejahen. Die Europäische Zentralbank hat sich zumindest besorgt darüber geäußert. So warnte sie davor, die Erlöse aus den eingefrorenen Vermögen zu verwenden. Schließlich könnte dies zu einer Instabilität des Euro führen.
Deutschlands Rolle: Nutzung eingefrorener russischer Gelder
Weniger zurückhaltend ist die deutsche Bundesregierung. Sie strebt an, einen Teil der eingefrorenen russischen Gelder in die deutsche Staatskasse fließen zu lassen. Kurz vor Weihnachten hatte der Generalbundesanwalt angekündigt, einen Antrag auf Beschlagnahme von rund 720 Millionen Euro zu stellen, die einem russischen Finanzinstitut gehören.
Justizminister Marco Buschmann (FDP) zeigte sich von der Rechtmäßigkeit des Verfahrens überzeugt. Auf X, früher: Twitter, schrieb er:
Wir werden nicht zulassen, dass sich russische Gelder, mit denen der illegale Angriffskrieg gegen die Ukraine finanziert wird, unbehelligt auf deutschen Konten befinden. Die liberale Demokratie wehrt sich an der Seite der Angegriffenen und setzt der Gewalt das Recht entgegen.
Was mit dem Geld geschehen soll, wenn das Oberlandesgericht Frankfurt dem Antrag entsprechen sollte, ist bisher nicht bekannt. Einem Bericht von Politico zufolge hat die Bundesregierung noch keinen Plan, was mit dem Geld geschehen soll.
Es droht ein globaler Finanzkonflikt
Die russische Regierung hat wiederholt vor einer Beschlagnahme russischer Vermögenswerte gewarnt, weil diese gegen alle Grundsätze der freien Marktwirtschaft verstößt. Sollte russisches Eigentum in westlichen Staaten nicht mehr geschützt sein, dann sind es westliche Werte in Russland ebenfalls nicht mehr. Laut Reuters könnte dem Westen ein Schaden von rund 300 Milliarden US-Dollar entstehen.
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