Wirtschaftssanktionen: Ein fragwürdiges Mittel, das Leben kostet

Seite 3: Moderne Kriegsführung

Dass bei Wirtschaftsblockaden auch Todesopfer bewusst in Kauf genommen werden, belegt die berühmt-berüchtigte Antwort der damaligen UN-Botschafterin und späteren Außenministerin der USA, Madeleine Albright 1996, auf die Frage der investigativen Journalistin Leslie Stahl, ob die halbe Million Kinder, die Studien zufolge durch das Irak-Embargo starben, "den Preis wert waren" ‒ den Preis für das offizielle Ziel, sicherzustellen, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen mehr hat.

Albright zweifelte die Zahl nicht an und antwortete "Ich glaube, das ist eine sehr schwere Entscheidung, aber der Preis – wir glauben, es ist den Preis wert." Sie versuchte sich später herauszureden, indem sie faktenwidrig Saddam Hussein für die enorme Zahl von Opfer des Embargos verantwortlich machte, deren tatsächliche Ziele die Verhinderung des erneuten Erstarkens der unbotmäßige einstige Regionalmacht und ‒ wie im "Iraq Liberation Act" von 1998 explizit ausgeführt ‒ der Sturz Saddam Hussein waren.7

Ihre Antwort offenbart keineswegs nur die besondere Skrupellosigkeit einer einzelnen US-Politikerin. So wurde sie dennoch auf grünen Parteitagen gefeiert und von Annalena Baerbock zu ihrem Vorbild erklärt.

Tatsächlich sind schädliche Auswirkungen auf die Bevölkerung der angegriffenen Länder generell kein bedauerlicher Kollateralschaden, sondern gehören – entgegen allen Beteuerungen – zum Kalkül.

Schließlich soll die Verschlechterung der Lebensbedingungen zu öffentlichem Druck auf die Regierung führen, den Forderungen der blockierenden Mächte nachzugeben, oder wie z.B. im Fall von Kuba, Syrien und Iran die Menschen zum Aufstand nötigen. Alle Bürger der betroffenen Länder werden so als Geiseln genommen.

Der einstige Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrates für Lateinamerika, Alfred De Zayas, brachte die grundsätzliche Problematik der vom Westen betriebenen Sanktionspolitik sehr gut auf den Punkt: Grundsätzlich seien Wirtschaftssanktionen vergleichbar mit "mittelalterlichen Belagerungen von Städten", die zur Kapitulation gezwungen werden sollten.

Sanktionen im 21. Jahrhundert: Moderne Kriegsführung

Die Sanktionen des 21. Jahrhunderts versuchen aber nicht nur eine Stadt, sondern souveräne Länder in die Knie zu zwingen." Im Unterschied zum Mittelalter würden die Blockaden des 21. Jahrhunderts "von der Manipulation der öffentlichen Meinung durch 'Fake News', einer aggressiven PR-Arbeit sowie einer Pseudo-Menschenrechtsrhetorik begleitet werden, um den Eindruck zu erwecken, dass das 'Ziel' der Menschenrechte kriminelle Mittel rechtfertigt."8

Es ist letztlich eine Form moderner Kriegsführung und mittlerweile auch die am häufigsten angewandte. Da sie unblutig daherkommt, ist es leichter, dafür öffentliche Unterstützung zu bekommen oder, wenn nicht, sie auch so ‒ ohne größere Aufmerksamkeit zu wecken ‒ weitgehend unangefochten einzusetzen.

Die breit gefächerten Angriffe auf gegnerische Länder werden im Westen mittlerweile flankiert von einer Ideologie, die die westlichen "Werte" und Regeln als Maß für jede Gesellschaft setzt und die Staaten der Welt in Gut und Böse einteilt.

Sanktionen und die Illusion der "regelbasierten Ordnung"

Statt Völkerrecht soll nun eine "regelbasierte Ordnung" gelten ‒ mit selbst festgelegten Regeln und durchgesetzt durch ein immer ausgedehnteres Sanktionssystem.9

Ihre Ziele haben Wirtschaftsblockaden jedoch selten erreicht ‒ sieht man vom generellen Bestreben ab, gegnerische Länder zu schwächen und in ihrer Entwicklung zu hemmen sowie andere Regierungen vor Unbotmäßigkeit abzuschrecken. Eine grundlegende Änderung der Politik der angegriffenen Länder konnte jedoch selten durchgesetzt werden.

Stattdessen wurde die Position der herrschenden Eliten i.d.R. eher gefestigt als geschwächt. Da die Zwangsmaßnahmen als Angriff von außen angesehen werden, rückt die Mehrheit der Bevölkerung enger mit der politischen Führung des Landes zusammen, es kommt zu dem in Krisen typischen "Rally-’round-the-Flag-Effekt" dem "Scharen um die Flagge".

Gleichzeitig erhöht sich dadurch auch in Länder wie dem Iran der Druck auf oppositionelle Kräfte, die leicht der Subversion und Unterstützung des Feindes beschuldigt werden können. D.h. statt durch Sanktionen eine Demokratisierung zu erzwingen, wie es offiziell oft angestrebt wird, beschränken sie im Gegenteil die Möglichkeiten fortschrittlicher Kräfte, demokratische oder soziale Verbesserungen durchzusetzen, drastisch.

Auseinandersetzung in UNO und Menschenrechtsrat

Die von den USA und der EU betriebenen Wirtschaftsblockaden werden international seit langem scharf kritisiert, insbesondere wegen ihrer teils verheerenden humanitären Auswirkungen. Die Auseinandersetzung darüber wird vor allem auch seit Jahrzehnten im Rahmen der UNO und UN-Organisationen geführt. Davon drang aber kaum etwas in die westliche Öffentlichkeit.

Erst in diesem Jahr erhielt eine Resolution des Menschenrechtsrats etwas breitere Aufmerksamkeit, die eigenmächtige Zwangsmaßnahmen als Verstoß gegen Völkerrecht, Menschenrechte und das Recht auf Entwicklung verurteilt.

Sie ist jedoch keineswegs ein Novum. Seit der Gründung des Rates 2007 wird von der Bewegung der Blockfreien Staaten jedes Jahr eine solche Resolution gegen "die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf die Wahrung der Menschenrechte" eingebracht und mit wachsender Mehrheit verabschiedet.

Internationale Resolutionen gegen einseitige Zwangsmaßnahmen

In diese Resolutionen wird stets betont, dass nach den internationalen Pakten über "bürgerliche und politische Rechte" und "wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" ein Volk auf keinen Fall seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden darf.

Sie wenden sich gegen die "schädlichen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf das Recht auf Leben, das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit und medizinischer Versorgung" wie auch auf das Recht auf Freiheit von Hunger, auf einen angemessenen Lebensstandard und das Recht auf Entwicklung."

Schließlich verurteilen sie auch scharf, dass sie sogar die humanitäre Hilfe in Ländern, die von Natur- und anderen Katastrophen betroffen sind, behindern, indem sie u.a. Finanztransfers an die dort tätigen humanitären Organisationen blockieren.

Abstimmungen und Resolutionen in UN-Gremien

Dieses Jahr stimmten 33 Mitgliedsstaaten für deren Ächtung, darunter auch Argentinien, Indien, Marokko, Pakistan und Südafrika. Die 13 Gegenstimmen kamen von den USA, den im Rat vertretenen EU-Staaten, Georgien und der Ukraine.

Die Mehrheitsverhältnisse in der UN-Generalversammlung sind ähnlich. Hier werden schon länger regelmäßig zwei Resolutionen gegen eigenmächtige Zwangsmaßnahmen verabschiedet, die inhaltlich dem des Menschenrechtsrats sehr ähneln. Die erste wurde bereits im Dezember 1983 verabschiedet, gegen "wirtschaftliche Maßnahmen als Mittel des politischen und wirtschaftlichen Zwangs gegen Entwicklungsländer".

Die Rolle der UNO und der Bewegung der Blockfreien Staaten

Sie verurteilte mit Verweis auf die UNO-Charta, diverse internationale Pakte und Abkommen, die Praxis hoch entwickelter westlicher Länder, ihre dominierende Stellung in der Weltwirtschaft auszunutzen, um Entwicklungsländern ihren Willen aufzuzwingen.

In Folgeresolutionen, die seit 1987 alle zwei Jahre von der "Gruppe der 77" (G77) und China eingebracht werden, wurde zudem die internationale Gemeinschaft aufgefordert, dringend wirksame Maßnahmen gegen diese Praxis zu ergreifen.

Seit 1996 wird jedes Jahr eine weitere Resolution mit dem Titel "Menschenrechte und einseitige Zwangsmaßnahmen" verabschiedet, die von der Bewegung der Blockfreien Staaten eingebracht wird und sich stärker auf die humanitären Folgen der westlichen Sanktionspraxis konzentrieren.

Gegen Erpressung ‒ für souveräne Gleichheit

Diese Resolutionen stützen sich alle auf den Grundsatz der Nichteinmischung, der in früheren Resolutionen der UN-Generalversammlung fixiert wurde und als zentraler Bestandteil des Selbstverständnisses der UNO und auch des internationalen Rechts gilt. Diesen zufolge darf kein Staat wirtschaftliche, politische oder sonstige Maßnahmen anwenden, um einen anderen Staat zur Unterordnung zu nötigen.

Die Resolutionen gegen eigenmächtige Zwangsmaßnahmen wurden in der Folge noch präzisiert und ausgeweitet.10 Die letzte, am 15. Dezember 2022 von der Generalversammlung verabschiedete führt in ihrer auf mittlerweile 34 Punkte angewachsenen Liste eine breite Palette von Rechtsverstößen und schädlicher Auswirkungen auf.

Betont wurden stets schon die negativen Folgen für Kinder und die medizinische Versorgung. Mittlerweile werden sie auch als "größtes Hindernis" für die Verwirklichung des "Rechts auf Entwicklung und der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung" verurteilt. Schließlich drängen sie die UN-Mitglieder zu wirksamen Gegenmaßnahmen und bekräftigen "das Engagement für die internationale Zusammenarbeit und den Multilateralismus".

Falsche Vorwände und die Frage der Völkerrechtsbindung

Die letzte verurteilt zudem auch "die Aufnahme von Mitgliedstaaten in einseitige Listen unter falschen Vorwänden (…), einschließlich falscher Behauptungen über die Unterstützung des Terrorismus". Dies ist bekanntlich ein von den USA häufig gebrauchter Vorwand.11 Sie wurde mit 123 Ja- gegen 53 Nein-Stimmen angenommen.

Dem Nein der Nato- und EU-Staaten und ihren engen Verbündeten Australien, Israel, Japan, Neuseeland, Schweiz und Südkorea schlossen sich aus dem Süden nur Kleinstaaten wie Marshall-Inseln, Mikronesien oder Palau an, die völlig vom Westen abhängig sind.12

Resolutionen der Generalversammlung sind bekanntlich völkerrechtlich nicht bindend, im Unterschied zu denen des Sicherheitsrats. Durch ihren starken appellativischen Charakter haben sie aber durchaus erhebliches Gewicht und können in Völkergewohnheitsrecht übergehen.

Nach Ansicht einer Reihe von Experten, wie dem ehemaligen UN-Sonderberichterstatter Idriss Jazairy, könnte dies angesichts der Vielzahl der seit vielen Jahren verabschiedeten Resolutionen der UN-Vollversammlung bzgl. Ächtung von unilateralen Zwangsmaßnahmen bereits der Fall sein.

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