Globalisierung und Wirtschaftssanktionen: Wirtschaftskrieg für "regelgebundene Ordnung"

Sanktionen gegen Russland.

Sanktionen dienen vor allem den USA zur Sicherung ihrer Vormachtstellung. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Und Deutschland droht zu verlieren.

Seit einigen Jahren, verschärft seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine und der Sorge der USA vor dem Verlust ihrer wirtschaftlichen und technologischen Dominanz, wird das "Ende der Globalisierung" diagnostiziert, die Fragmentierung der Weltwirtschaft in rivalisierende Blöcke, mit Lieferketten, die sich nicht an der günstigsten Bezugsquelle, dem Standort mit den niedrigsten Lohnkosten orientieren, sondern an von den Staaten vorgegebenen Kriterien nationaler Sicherheit.

Vor allem die USA sind bestrebt, ihren wirtschaftlichen, technologischen und militärischen Vorsprung vor anderen Großmächten, vor allem Russland und der VR China, mit allen verfügbaren Mitteln der "economic and financial statecraft" zu sichern – für "statecraft" steht besser "warfare", Kriegführung. Dieser "Versicherheitlichung" der Mächterivalität kann und will sich auch die EU mit ihrer wirtschaftlichen Führungsmacht Deutschland nicht entziehen.

Die umfassenden Wirtschafts- und Finanzsanktionen der USA, der EU und einiger weiterer zum westlichen Bündnis zu rechnender Staaten gegen die bislang sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt, die Russische Föderation (RF), seit Beginn des Ukrainekrieges und die weitreichenden Beschränkungen der USA für Exporte und Investitionen im Hochtechnologiesektor gegenüber der VR China sowie für die weltweiten Geschäfte chinesischer Technologieunternehmen wie vor allem des Telekommunikationskonzerns Huawei sind nur die gewichtigsten Eingriffe in den globalen Güter- und Kapitalverkehr.

Dazu kommen eine Vielzahl einzelner Handels- und Finanzsanktionen vor allem der USA gegenüber ganzen Ländern, vor allem aber gegen Tausende von Unternehmen weltweit, darunter auch viele, die auf dem Gebiet von Verbündeten, etwa der EU, legal ihren Geschäften nachgehen.

All diese Sanktionen beziehen ihre Wirksamkeit letztlich aus der Herrschaft der USA über den US-Dollar, die mit weitem Abstand wichtigste internationale Handels-, Anlage- und Reservewährung, der sich auch die EU-Staaten mit ihrem Euro nicht entziehen können und wollen.

Eine Langfassung dieses Beitrags, Quellen und Anmerkungen finden Sie bei unserem Medienpartner Welttrends.

Ökonomen warnen vor diesem politisch gewollten Weg in eine Krise der Weltwirtschaft, mit neuerlicher Armut zahlreicher Menschen nicht nur, aber vor allem im Globalen Süden. Besonders schwer fällt es so manchem Wirtschaftskommentator in Deutschland, sich mit der Entwicklung weg von offenen Märkten hin zu Abschottung und Standortnationalismus statt globaler Verflechtung abzufinden.

Das ist kein Wunder, denn aus dem Blickwinkel des deutschen Kapitals war die Globalisierung ein Paradies, aus dem man sich jetzt vertrieben sieht.

Deutschlands Vertreibung aus dem kapitalistischen Paradies

Globalisierung, das war die schöne neue Welt der "regelgebundenen Weltordnung", in der die einzelnen Staaten durch das Regelwerk der Welthandelsorganisation (WTO) daran gehindert waren, störend in den freien Handel und Kapitalverkehr einzugreifen, die Welt des Washington Consensus, der die Privatisierung von Staatsunternehmen und staatlichen Dienstleistungen und die Beschränkung staatlicher Haushalte auf wachstumsförderliche Maßnahmen statt unproduktiver Subventionierung des Lebensunterhalts der Bevölkerung zum Leitsatz der Wirtschaftspolitik erhob.

Es war die Welt, die mit der Einverleibung der osteuropäischen Staaten in den EU-Binnenmarkt als faktischen Heimatmarkt des deutschen Kapitals diesem ungeahnte neue Handels- und Investitionsmöglichkeiten eröffnete.

Spätestens mit dem Regimewechsel im Gefolge des Maidan-Aufstands von 2014 durften deutsche Unternehmen zudem auch auf die Nutzung der vielversprechenden Ressourcen an Land und Leuten der Ukraine hoffen, die mit dem EU-Assoziierungsabkommen schon nahezu erschlossen war.

Und schließlich war es die Welt, in der sich weiter im Osten die russische Großmacht als neues Land der unbegrenzten Möglichkeiten auftat, ein riesiger Markt, eine gewaltige neue Anlagesphäre und vor allem eine nahezu unerschöpfliche Quelle unschlagbar günstiger Energie als willkommener Vorteil für den Industriestandort Deutschland – sofern auch sie sich per "Wandel durch Handel" vereinnahmen ließ.

In dieser schönen Welt konnte die deutsche Wirtschaft – die kleineren und größeren deutschen "Weltmarktführer" und sonstigen Unternehmen – frei ihren Geschäften nachgehen, darüber beträchtliche Kapitalgrößen erreichen und so auf Kosten ihrer Konkurrenten immer durchsetzungsstärker werden.

Dass Deutschland seine lange stolz zur Schau gestellte Rolle als "Exportweltmeister" irgendwann an die aufsteigende wirtschaftliche Großmacht China abtreten musste, war leicht zu verschmerzen angesichts der höchst profitablen Beteiligung deutschen Kapitals an Chinas Aufstieg.

So war es allzu verständlich, dass sich Deutschland bis zum Amtsantritt der Ampelregierung im Herbst 2021 und noch darüber hinaus eher unwillig zeigte, umfassendere Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Russland zu ergreifen, von Handelsbeschränkungen gegen China ganz zu schweigen. Seit dem Beginn des Ukrainekrieges hat sich diese Haltung grundlegend geändert.

Die Bundesregierung trägt die umfangreichen, mit den USA abgestimmten Sanktionen gegen Russland mit und führt neue Beschränkungen für den Technologieexport nach und Direktinvestitionen aus China ein.

Das ist erstaunlich und bedarf der Erklärung, denn immerhin handelt sich die Regierung damit eine schwere Wirtschaftskrise ein, die Deutschland beim Wachstum des BIP bereits jetzt auf den letzten Platz unter den G7-Industriestaaten hat zurückfallen lassen.

Die Weltmacht USA kündigt ihre eigene Ordnung

Vollzogen hat die Vertreibung aus dem Paradies der Globalisierung freilich, um im Bilde zu bleiben, jene höhere Instanz, die dieses Paradies zu ihrem Wohlgefallen eingerichtet hatte und nun feststellen musste, dass andere Staaten daraus höheren Nutzen zogen als sie selbst.

So erweist sich diese schöne, scheinbar staatsfreie neue Welt, in der die großen Unternehmen frei nach ihren Kriterien der Gewinnsteigerung weltweit operieren konnten, als Illusion, deren Wahrheit die immer schon mit amerikanischer Militär- und Sanktionsmacht etablierte Gewaltordnung ist, wie auch die Financial Times in Erinnerung ruft.1

Und schon der überzeugte Apologet US-amerikanischer Weltmacht Charles Krauthammer schrieb 1990 in seinem vielbeachteten Aufsatz über Amerikas "unipolar moment", dass auch in der neuen unipolaren Weltordnung nach Abdankung der Sowjetunion überlegene US-US-amerikanische Militärmacht weiterhin unerlässlich bleibe, um gegen mögliche aufstrebende Mächte und sonstige Störenfriede Amerikas nun vollends globales Gewaltmonopol und damit "eine offene und sichere Welt für Amerikas Wirtschaft sicherzustellen".2

Diese gewaltsam gesicherte "regelbasierte Weltordnung" nutzte in den Jahrzehnten nach 1990 allerdings nicht nur der ordnungssetzenden Weltmacht, sondern mehr noch auch anderen Mächten. Sie ermöglichte Chinas Aufstieg zu einer den USA fast gleichrangigen wirtschaftlichen Supermacht und machte auch die EU zu einem ebenbürtigen Konkurrenten der USA.

Und während die EU und ihre Führungsmächte mehr oder weniger zaghafte Schritte der Emanzipation von der atlantischen Vormacht übten, machte sich die VR China daran, mit ihren wirtschaftlichen Ressourcen ihrerseits ihren politischen Einfluss vor allem in den Ländern des Globalen Südens zu erhöhen – und damit die Dominanz der US-amerikanischen Weltmacht zu bestreiten.

Dass zudem die enge wirtschaftliche, vor allem energiewirtschaftliche Verflechtung der Russischen Föderation (RF) mit der EU die politische und finanzielle Kontrolle der USA über die Weltenergiemärkte aushöhlte, die Konkurrenzfähigkeit der europäischen Industrie auf dem Weltmarkt stärkte und der zunehmend unbotmäßigen zweiten nuklearen Supermacht beträchtliche Finanzmittel für ihre Modernisierung verschaffte, war schon Donald Trump als Präsident ein Ärgernis.

Sein Wutausbruch über Deutschland als Trittbrettfahrer US-amerikanischer Militärmacht, das die damit hergestellten stabilen weltweiten Geschäftsbedingungen ausnutzt, um US-Unternehmen niederzukonkurrieren, blieb allerdings weitgehend folgenlos. Erst sein Nachfolger Joe Biden hat mit aller Konsequenz mehr umgesetzt, als Trump je großspurig gefordert hatte.

Den Anlass dazu bot ihm die RF, als eine der beiden konkurrierenden Großmächte, die in der kapitalistischen Weltwirtschaftsordnung zu einigem Reichtum gekommen waren, und die sich kraft ihres Nuklearwaffenpotentials dem US-Gewaltmonopol, auf dem diese Ordnung beruht, verweigerte.

Ihre Entscheidung, ihr Großmachtinteresse an einem Verbleib der Ukraine in der eigenen Einflusszone militärisch gegen die prowestliche Kiewer Regierung durchzusetzen, war aus US-amerikanischer – und europäischer – Sicht ein eklatanter Verstoß gegen das für die westliche Weltordnung geltende Gewaltverbot, das Verbot, nicht im westlichen Interesse liegende Kriege zu führen.3

So reagierten die USA und ihre westlichen Verbündeten nicht nur mit Waffenlieferungen für die Ukraine, die sie so für die NATO-Staaten einen Stellvertreterkrieg gegen Russland führen ließen. Gewichtiger noch als die militärische Unterstützung der Ukraine wurde der beispiellose Wirtschaftskrieg gegen die RF durch USA und EU, dem sich die übrigen NATO-Staaten und ihre asiatisch-pazifischen Verbündeten anschlossen. Denn er hat nicht weniger zum Ziel als den vollständigen Ausschluss der bislang sechstgrößten Volkswirtschaft vom Weltmarkt.

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