Globalisierung und Wirtschaftssanktionen: Wirtschaftskrieg für "regelgebundene Ordnung"
Seite 2: Mehrfach beispielloser Wirtschaftskrieg
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Erstens durch seinen Umfang. Praktisch der gesamte Handelsaustausch westlicher Staaten mit Russland, von Industriegütern bis zu Rohstoffen und fossilen Energieträgern kommt zum Erliegen, ebenso der Personen- und Dienstleistungsverkehr, einschließlich allen Transports zu Land, Wasser und in der Luft.
Gegen den russischen Finanzsektor setzen die USA ihre Weltwährung US-Dollar als Waffe ein und machen sich zunutze, dass nahezu alle Banken weltweit in irgendeiner Weise für ihre internationalen Transaktionen auf die Verwendung des US-Dollar, also auf die Beteiligung US-amerikanischer Banken angewiesen sind. Nicht nur werden russische Banken von internationalen Kapital- und Kreditgeschäften ausgeschlossen.
Durch ihren Ausschluss vom internationalen Zahlungssystem Swift können sie mit wenigen Ausnahmen keine Transaktionen mehr mit Banken der US-Dollar- und Euro-Welt vornehmen. Die im Westen greifbaren Privatvermögen vorgeblich "Putin-naher" vermögender Unternehmer werden beschlagnahmt. Und schließlich werden sogar die Devisenreserven in Höhe von gut 300 Milliarden US-US-Dollar, die die russische Zentralbank in Form von Guthaben bei westlichen Zentralbanken unterhält, eingefroren.
Zweitens völkerrechtlich. Er ist nicht UN-mandatiert, verstößt mithin gegen diverse völkerrechtliche Verträge, allen voran das von der WTO verwaltete Welthandelsabkommen (GATT).
Die sanktionierenden Staaten legen Artikel XXI des GATT, der enge Ausnahmen von den allgemeinen Grundsätzen des GATT (Meistbegünstigung, Nichtdiskriminierung) aus Gründen der nationalen Sicherheit vorsieht, denkbar weit aus.
Schließlich ist keiner dieser Staaten angegriffen oder sonst unmittelbar in seiner Sicherheit bedroht durch die russische Kriegführung in der Ukraine. Die EU konstruiert daher einen "Angriff auf die Europäische Friedensordnung" als Grund für alle Sanktionsmaßnahmen.
Die USA brauchen ohnehin keine solche Begründung. Schließlich sind sie die ordnungs-, das heißt rechtsetzende Macht, stehen als der letztliche Garant des Völkerrechts über diesem. Daher nehmen sie sich selbstverständlich auch das Recht auf sekundäre Sanktionen gegen Unternehmen in Drittstaaten, die sich nicht an US-Sanktionsbeschlüsse halten, obwohl solche Sekundärsanktionen "eigentlich" völkerrechtswidrig sind.
Und sie definieren in aller Freiheit, was auf der weiten Welt sie als Sicherheitsbedrohung für sich ansehen. Das kann der Einsatz militärischer Gewalt einer rivalisierenden Großmacht zur Sicherung ihrer Einflusszone sein – so etwas ist nur den USA selbst erlaubt, in Lateinamerika, Südostasien oder wo auch immer – oder auch einfach nur die Machtbehauptung eines unbotmäßigen Regimes auf einer kleinen Insel wie Kuba.
Drittens durch seine beanspruchte Reichweite. Die wäre grundsätzlich global, würden die USA das Instrument der Sekundärsanktionen konsequent gegen Staaten einsetzen, die sich weigern, sich den Sanktionen anzuschließen. Davor scheut die US-Regierung zwar zurück, denn das hieße, auch China, Indien, Brasilien, Saudi-Arabien und andere weltwirtschaftliche Schwergewichte des Globalen Südens zu sanktionieren, entfaltet aber – wie die EU und ihre deutsche Führungsmacht auch – einige diplomatische Bemühungen, um immer mehr Mächte in ihr Sanktionsregime gegen Russland einzubinden.
Viertens schließlich, weil der Wirtschaftskrieg gegen die Großmacht Russland aus Sicht der Regierung Biden erklärtermaßen ein Probelauf für das noch sehr viel größere Ziel ist, nämlich für einen umfassenden Wirtschaftskrieg gegen die VR China spätestens dann, wenn diese sich entschließen sollte, sich das von ihr als abtrünnige Provinz betrachtete Taiwan, das von den USA immer weiter zu einem hoch bewaffneten Dorn im Fleisch Chinas aufgerüstet wird, gewaltsam einzuverleiben.
Um den Aufstieg Chinas zu einer den USA womöglich wirtschaftlich, technologisch, außenpolitisch und militärisch ebenbürtigen Weltmacht zu verhindern, nimmt die US-Regierung eine massive Disruption und Abschwächung der Weltwirtschaft in Kauf – und tut zugleich alles, um diese Kosten weitgehend bei anderen Staaten anfallen zu lassen.
Deutschlands und Europas Abstieg – willkommener Kollateralnutzen
So hat denn auch der Wirtschaftskrieg gegen Russland – ebenso wie perspektivisch die zunehmenden Handels- und Investitionssanktionen gegen China – aus Sicht der USA einen nicht zu unterschätzenden Kollateralnutzen: Die Kosten der Russlandsanktionen fallen ganz überwiegend in Europa an, und hier vor allem in Deutschland.
Das gilt nicht nur unmittelbar für den Verlust eines bedeutenden Marktes und Investitionsortes. Durch den Wegfall konkurrenzlos günstiger Energierohstoffe und anderer Primärmaterialien für die deutsche Industrie sieht diese sich unvermittelt massiven Kostennachteilen auf dem Weltmarkt ausgesetzt, verliert Deutschland wesentliche Standortvorteile.
Die Notwendigkeit, stattdessen zu einem vielfach höheren Preis Flüssigerdgas (LNG) aus den USA zu importieren, stärkt zudem die chronisch defizitäre amerikanische Handelsbilanz.
Was Donald Trump mit seiner Feindschaftsansage gegen den Konkurrenten Deutschland forderte, das hat Präsident Biden mit seiner von der Ampelregierung begeistert aufgegriffenen Feier "transatlantischer Partnerschaft" im Wirtschaftskrieg gegen die RF wahr gemacht. Deutschland ist als Konkurrent der USA zurückgefallen.
Die Frage ist, warum sich Deutschland so entschlossen an diesem kostspieligen "sinnlosen Wirtschaftskrieg" beteiligt.4
Die Antwort: Er hat nicht nur für die USA, sondern auch für Deutschland durchaus einen anspruchsvollen imperialistischen Sinn. Während es den USA vor allem negativ darum geht, eine rivalisierende Weltmacht weitestmöglich zu schwächen, ihr die Fähigkeit zu eigenständiger außenpolitischer und militärischer Machtprojektion unterhalb der nuklearen Schwelle zu nehmen, sind die Ziele Deutschlands und der EU "positiver".
Russland soll sich als politisch und militärisch gezähmte Macht der wirtschaftlichen Einflusszone der EU zuordnen und so deren weltwirtschaftliches Gewicht und Autonomie stärken.
Und nachdem die Politik, dieses Ziel per "Wandel durch Handel" zu erreichen, krachend gescheitert ist, geht es jetzt darum, die RF wirtschaftlich so zu schwächen, dass sie letztlich gezwungen ist, sich zu EU-Bedingungen wieder für deutsches und europäisches Kapital zu öffnen.
Dieses anspruchsvolle Ziel lässt sich Deutschland einiges kosten – zumal die Kosten ohnehin von der Bevölkerung zu tragen sind, während der von der Krise betroffenen Wirtschaft durch Haushaltsmittel zu neuen "Wachstumschancen" verholfen wird.
Ob dieses Ziel erreicht wird, ist allerdings angesichts der offenkundigen Resilienz der russischen Wirtschaft und des wachsenden weltwirtschaftlichen Gewichts jener Mächte, die sich am westlichen Wirtschaftskrieg gegen Russland nicht beteiligen, mehr als fraglich.
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