Wirtschaftswissenschaftler warnen vor neuer Finanzkrise
Nobelpreisträger glauben überwiegend nicht an eine positive Zukunft des Euro
Vor fast genau zehn Jahren, am 30. August 2007, erreichten die ersten Ausläufer der großen Finanz- und Eurokrise über ein Existenzbedrohungseingeständnis der inzwischen zusammengebrochenen Industriebank IKB Deutschland. Aktuell sieht es oberflächlich betrachtet so aus, als ob diese Krise überwunden wäre: Der Euro hat sich nach Kursverlusten wieder erholt - und Medien berichten über den islamistischen Terror oder empören sich über Äußerungen des US-Präsidenten Donald Trump. Janet Yellen, die Präsidenten der amerikanischen Notenbank, meinte unlängst sogar, sie glaube nicht, "dass wir in unserem Leben noch einmal eine Finanzkrise erleben werden".
18 Wirtschaftsnobelpreisträger, die derzeit in Lindau am Bodensee tagen, sind da deutlich skeptischer. In einer Befragung durch die Tageszeitung Die Welt erklärte der schwedischsprachige Finne Bengt Holmström, der den Wirtschaftsnobelpreis im letzten Jahr gewann: "Jedesmal, wenn wir denken, dass es schon keinen Bankrun mehr geben wird, hat sich das Risiko dafür erhöht."
Systembedingt "unausweichlich"
Sein amerikanische Kollege Eric Maskin, der den Preis 2007 gewann, sieht die Verantwortung dafür auch in Washington: Lockere man dort die Zügel, werde "eine Krise wahrscheinlicher". Für den prognosefreudigeren Makroökonomen Edward C. Prescott, den Nobelpreisträger von 2004 kommt so eine Krise sogar "mit großer Sicherheit […] in nicht allzu ferner Zukunft". Der Ökonometriker Daniel McFadden, der den Wirtschaftsnobelpreisträger vor 17 Jahren verliehen bekam, sieht solche Krisen als systembedingt "unausweichlich" an, weil es für das Regulieren der "Finanzrisiken", die sich" seinen Worten nach "wie Elektrizität in einem riesigen Netzwerk" bewegen, bislang keine tauglichen Instrumente gibt.
Obwohl EZB-Präsident Mario Draghi in Lindau die Eröffnungsrede hielt, sehen die Wirtschaftsnobelpreisträger die Zukunft seiner Euro-Währung eher finster - mit einer Ausnahme: Der experimentelle Kapitalmarktforscher Vernon Smith, der vor 15 Jahren mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, glaubt, dass sich die EU-Währung "gut entwickeln könnte, weil Amerika im globalen Währungswettbewerb durch Missmanagement des Dollar herausstechen wird".
Edward C. Prescott, der sich wissenschaftlich mit dem Einhalten und Nichteinhalten von Versprechen beschäftigte, gibt sich dagegen "sehr pessimistisch" und meint: "Die Frage ist eigentlich nur, wie viel Schaden [der Euro] dem Euro-Raum vor seinem Kollaps zufügen wird". Er glaubt, dass sich die seiner Ansicht nach "überschaubaren Vorteile einer Währungsunion einfacher realisieren lassen" indem die einzelnen EU-Mitgliedsländer "ihre Souveränität über Finanzangelegenheiten behalten" und beispielsweise "ihre Währung an eine wieder einzuführende D-Mark koppeln und gegebenenfalls anpassen". Weil sich "einige Staaten nie an die Budgetregeln halten werden" müsse "im Extremfall auch eine Staatspleite möglich sein".
Entscheidender Faktor Arbeitsproduktivität
Daniel McFadden macht die Zukunft des Euro davon abhängig, ob es den EU-Ländern gelingt, die in ausreichendem Umfang die Arbeitsproduktivität zu steigern. Diese Arbeitsproduktivität, die in Deutschland Anfang der 1970er Jahre noch um ungefähr fünf Prozent pro Jahr und Erwerbstätigenstunde stieg, nahm zwischen 2005 und 2014 nur um 0,8 Prozent jährlich zu. Und in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland ist die Wirtschaftsleistung heute immer noch niedriger als vor der Finanz- und Eurokrise. Der Unternehmensberater Alexander Horn geht deshalb davon aus, dass sich die Realwirtschaft eigentlich in einer Krise befindet, die durch Niedrigzinspolitik "verschleiert wird.
Die "ultralockere Geldpolitik der EZB" führt seiner Wahrnehmung nach "nicht zu den gewünschten Effekten", denn "weder die Kosteneinsparungen für laufende Kredite noch die niedrigen Zinsen auf Neukredite machen den Unternehmen Appetit auf mehr Investitionen". Deshalb ist es seiner Meinung nach "höchste Zeit, die Krisenbewältigungsstrategien grundsätzlich zu hinterfragen" und sich der Tatsache zu stellen, dass "die auf Stabilisierung der Wirtschaft ausgerichtete Politik der letzten Jahrzehnte […] den werterzeugenden Wirtschaftsbereichen unter dem Strich mehr geschadet als geholfen" hat.
Diese "fehlgeleiteten Strategie" führte seiner Analyse nach zu "gesunkenen Investitionsquoten […] in allen westlichen Volkswirtschaften", die er für eine wichtige Ursache der niedrigeren Produktivitätssteigerungen hält. Ein Durchbrechen dieses Effekts und eine daraus resultierende "positive Produktivitätsentwicklung" würde ihm zufolge "preissenkend wirken und böte zudem eine Grundlage für Reallohnerhöhungen der Beschäftigten in diesen Wirtschaftsbereichen".