Wo bleibt das "CyberSyn" in Venezuela?
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Bleibt ehemaligen Unterstützern des bolivarianischen Prozesses nur, Abbitte zu leisten?
Der Machtkampf um Venezuela geht weiter. Je länger die Doppelherrschaft andauert, desto größer wird die Gefahr eines militärischen Eingreifens der Nachbarländer gemeinsam mit den USA. Dagegen haben in den letzten Tagen in vielen Ländern, auch in Deutschland, Menschen unter der Parole "Hände weg von Venezuela" demonstriert. Es ist allerdings eine unklare Parole, weil sie unterstellt, ein ganzes Land würde auf der Seite Maduros stehen.
Dabei wird ausgeblendet, dass es in Venezuela einen Konflikt in der Gesellschaft gibt zwischen der Oberschicht und Teilen der Mittelschicht, die den Umsturz wollen, und Teilen der Unterklasse, die hinter Chavez standen und in wesentlich abgeschwächter Form auch hinter Maduro stehen. Der von Chavez im Wesentlichen angestoßene bolivarianische Prozess war dadurch geprägt, dass die lange von der Macht ausgeschlossene Unterklasse einbezogen wurde.
Das betraf die soziale Integration durch Maßnahmen der Bildung, durch Gesundheits- und Wohnungsprogramme und auch durch eine Form von Räten in den Stadtteilen, den Barrios. Dieser bolivarianische Prozess und nicht abstrakt ein "Land Venezuela" sind durch die Umsturzversuche bedroht. Die Solidarisierung wird durch die unzweifelhaften Fehler der Regierung erschwert.
Die Rolle von Chavez und Madurdo
Man könnte es schon als einen Fehler von Chavez sehen, mit Maduro einen Nachfolger ernannt zu haben, der wohl mit dem Amt überfordert ist. Dabei hatte die Wahl von Maduro sicher nachvollziehbare politische Gründe. Der an Krebs erkrankte Chavez hoffte anscheinend lange auf eine Heilung und erst wenige Wochen vor seinen Tod ernannte er mit Maduro einen Mann, der in der radikalen Linken Venezuelas aktiv war, schon lange bevor Chavez auf der politischen Bildfläche erschienen war.
Er sollte wohl den Linkskurs garantieren, den Chavez erst in den letzten 10 Jahren seines Lebens eingeleitet hat. Erst dann bezog er sich auf den Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Dadurch wurde auch der in Mexiko lehrende Sozialwissenschaftler Heinz Dieterich bekannt, dessen Buch über den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" damit beworben wurde, dass Chavez und Fidel Castro das Werk gelesen haben.
Seit damals wird immer behauptet, Dieterich sei einst der engste Berater von Chavez gewesen. Obwohl das nicht gestimmt hat, wurde diese Falschbehauptung auch in den letzen Tagen wiederholt, als Dieterich prophezeite, dass Maduro bald gestürzt würde.
Allerdings prophezeit Dieterich den Sturz Maduros schon länger. So richtig seine Kritik an Maduro als doch eher durch linke Kleingruppen sozialisierter Kader sein mag, so fragwürdig ist der Gestus als selbsternannter engster Berater Chavez, wie er in deutschsprachigen Medien gerne angekündigt wird. Dort wird auch häufig nur Dieterichs vehemente Kritik an Maduro zitiert. Weniger bekannt ist hier, dass er auch vehemente Kritik am Oppositionskandidaten Guaido und seinem Programm äußert.
Müssen ehemalige Bewunderer des bolivarianischen Prozesses Abbitte leisten?
Vor 13 Jahren hatte der Journalist Christoph Twickel mit seiner Chavez-Biographie auch zu einem differenzierteren Bild des Mannes mit beigetragen, der die Politik auf dem amerikanischen Kontinent für mehr als ein Jahrzehnt beeinflusste. Twickel zeigte vor allem, auf welche politischen Strömungen sich Chavez schon in jungen Jahren stützte und dass es durchaus eine Kontinuität im Denken und Handeln bei ihm gab.
Auch Twickel meldete sich in der Taz zur aktuellen Entwicklung in Venezuela zu Wort: Dort kritisierte er sowohl die Politik von Maduro wie die seines Gegenspielers und erklärte, dass die durchaus virulente Korruption nicht das zentrale Problem in Venezuela sei.
Anfang der nuller Jahre versuchte das damalige antichavistische Management des größten venezolanischen Erdölkonzerns PDVSA mit einem monatelangen Streik, die Regierung zu stürzen - dass die Chavisten damals die Opposition im Erdölkonzern niederrangen und die Kontrolle über das Unternehmen bekamen, interpretierten wir, die wir die "Bolivarische Revolution" mit Sympathie verfolgten, als Sieg auf dem Weg zu einer Ölgesellschaft, die für Wohlstand sorgen sollte, statt ihre Gewinne ins Ausland zu schaffen und nur einer Elite zugutekommen zu lassen.
In Wahrheit war es ein Pyrrhussieg. Rund 18.000 Beschäftigte verließen damals den Konzern, darunter viele hochspezialisierte Kräfte - ein Braindrain, von dem sich der Staatskonzern nie erholt hat. Schon unter Chávez verschlossen die verantwortlichen Politiker die Augen vor dem Niedergang der Ölindustrie, Kritiker in den eigenen Reihen stellte man kalt. Steigende Ölpreise überkompensierten damals die sinkenden Förderquoten und machten es möglich, Sozial- und Bildungsprogramme sowie Infrastrukturmaßnahmen zu finanzieren.
Christoph Twickel, Taz
Am Ende des Artikels fordert Twickel die Unterstützer des bolivarianischen Prozesses auf anzuerkennen, "dass man zwei Jahrzehnte lang solidarisch mit einer angeblichen Revolution war, die tatsächlich das Projekt einer verantwortungslosen Elite gewesen ist, die die Ressourcen des Landes ruiniert hat, um sich an der Macht zu halten".
Wie passt dieser Befund zur vorherigen Analyse über die Folgen der Entlassung des PDVSA-Managements? Schließlich hat Twickel selbst geschrieben, dass die nicht grundlos erfolgt ist. Das Management war ein Staat im Staat und versuchte 2002/2003 mit einem Unternehmerstreik die Chavez-Regierung zu stürzen. Die Entlassung des Managements war die Bedingung für den Reformprozess. Will Twickel also behaupten, man hätte das unterlassen und so die Politik der alten Herrschaft fortsetzen sollen?
Die von Twickel beschriebenen Probleme, die entstehen, wenn man die alte Managerschicht entlässt, treten bei grundlegenden gesellschaftlichen Umwälzungen immer auf. So gab es in der frühen Sowjetunion die Diskussion, wie man mit den alten Fachleuten umgehen soll, die nach der Revolution mit den alten Grundsätzen weiterarbeiten wollten.
Man gab diesen Technikern in einigen Branchen Privilegien und setzte ihnen Kader zur Kontrolle vor die Nase, was die Bürokratisierung förderte. Grundsätzlich müssten Techniker durch neu geschulte Kräfte aus der Arbeiterschaft ersetzt werden. Das braucht Zeit.
So gilt für Venezuela heute, was der 1973 gestürzte sozialistische Präsident Salvador Allende in Chile über die Situation seines Landes sagte. Man leide darunter, dass man alle negativen Erscheinungen der alten Gesellschaft habe, aber die positiven Erscheinungen der neuen Gesellschaft sich noch nicht entfalten konnten. Das ist die Zeit, in der die Kräfte, die zur alten Gesellschaft zurückwollen, besonders massiv auftreten. Das war ab 1973 in Chile so und das ist seit einiger Zeit in Venezuela nicht anders.