Wolf!
Katrina und der Klimawandel - wer nicht fragt, bleibt dumm
Wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt, bleibt dumm. Wer fragt, wird aber auch nicht unbedingt schlauer. Alle Jahre wieder - ob Sturm, Hochwasser oder Hitzewelle - wird zuverlässig die Frage nach dem Klimawandel und ob er extreme Wetterereignisse begünstigt wieder hervorgekramt. In besonders emotionsgeladenen Momenten versteht sich.
Statt kühlen Kopfes und ruhigen Blutes darüber zu sprechen und zu schreiben, nutzte beispielsweise Bundesumweltminister Jürgen Trittin die zweifelhafte Gunst der Stunde, um einen Tag nachdem der Hurrikan "Katrina" Städte und Landstriche im Süd-Osten der USA verwüstet hatte, für Kyoto 2 zu werben. Und wurde dafür prompt ob seiner Gefühllosigkeit den Opfern gegenüber von dem FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorf heftig gescholten, gar indirekt zum Rücktritt aufgefordert. Ebenso setzte es Verbal-Kloppe gegen Trittin vom Nachrichtenmagazin Spiegel Online, das sich aber im Gegenzug nicht zu schade war, in den Tenor des umstrittenen Kopenhagen Konsens des dänischen Ökonomie-Professors Björn Lomborg zu verfallen. Viel Wahlkampfgeplänkel – wenig Information.
Götter und Südstaaten-Schönheiten
Während Neil Young in seiner Südstaatenballade "Like a hurricane" wohl eher im positiven Sinne besingt, wie ihn die Begegnung mit einer temperamentvollen Schönen in einer Bar von den Füßen reißt, liegt dem derzeit für tropische Wirbelstürme gebräuchlichen Wort "Hurricane" der Wortstamm "Hurican" zugrunde, Name des karibischen Gottes des Bösen. Diesen hatten die Kariben von den Mayas geerbt, deren Schöpfergott "Hurakan" seinen Odem über das chaotische Wasser blies, um den Menschen mehr bewohnbares Land zu schenken. Ihnen dieses später jedoch wieder nahm – durch Sturm und Flut.
Manch ein Südstaaten-Bewohner mag angesichts der grausigen Um- und Zustände der letzten Tage, nachdem der Hurrikan "Katrina" am 29. August über die Golfküste der USA hinweg gefegt war, wieder an einen rachsüchtigen "Hurican" glauben, der die Menschen straft und ihnen alles nimmt. Hab und Gut und oft genug auch das Leben. In New Orleans, einer Metropole des Jazz und des Voodoo, hat die in der Stadt verbliebene, weil arme Bevölkerung alle Hände voll zu tun, das nackte Überleben zu sichern. Und stellt sich vor allem Fragen wie "Leben meine Angehörigen?" "Was essen, was trinken?" "Wo schlafen und wie geht es weiter?"
"Smoking gun" entdeckt?
An anderen Orten in und außerhalb der USA wurden jedoch bereits Fragen nach Gründen, Ursachen und Verantwortungen aufgeworfen. Unter anderem auch die, ob und inwieweit die globale Erwärmung, Entstehung und Ausmaße von Wirbelsturm-Ereignissen im Atlantik befördert. Zu diesem Thema wird der MIT-Professor Kerry Emanuel dieser Tage häufig befragt, der just letzten Monat die viel beachtete Arbeit Increasing Destructiveness of Tropical Cyclones over the past 30 years in der Fachzeitschrift Nature publiziert hat.
Wie bereits sein Kollege Kevin Trenberth vom NCAR in Boulder, Colorado in einer Studie im Juni diesen Jahres (Science, vol. 308, p. 1753) herausarbeitete, konnte die Annahme, dass die globale Erwärmung eine Erhöhung der Anzahl von Hurrikans im Gepäck mitführt, bislang nicht schlüssig belegt werden. Die Forschungsergebnisse von Trenberth und Emanuel erhärten jedoch die Schlussfolgerung, dass im Zuge steigender Oberflächenwassertemperaturen (SST; in diesem Fall des Nordatlantik), die Intensität und die Dauer von Hurrikan-Ereignissen ebenfalls zunimmt.
Dieses Ergebnis vermochte sogar Chris Landsea, Hurrikan-Forscher vom NOAA in Miami zu überzeugen, der mit dem Satz. "This ist he first article that has a smoking gun between global warming and hurricane activity" zitiert wurde. Eine quasi 180° Wende des Wissenschaftlers; hatte Landsea doch noch Anfang diesen Jahres nach Zwistigkeiten mit Sectionleader Kevin Trenbreth seine Mitarbeit im entsprechenden Referat des UN-Klimabeirats IPCC aufgekündigt und sich in einem offenen Brief über die Politisierung seiner Arbeit beschwert. Trenbreth im Gegenzug behauptete dasselbe von Landsea. Nun scheint zumindest mit der Arbeit von Emanuel ein viel versprechender Ansatz gefunden, auf dem sich weiterhin aufbauen lässt.
A storm is born
Die Gründe für die Korrelation zwischen warmem Ozean-Oberflächenwasser und Hurrikan-Entwicklung liegen auf der Hand, betrachtet man die Entstehung von Wirbelstürmen eingehender. Hurrikane beziehen ihre Energie aus der Evaporation von Meerwasser. Je wärmer das Meerwasser ist, desto höher ist auch die Evaporationsrate. Wenn Meerwasser verdunstet, geht Wärme vom Ozean in die Atmosphäre über. Einen ähnlichen Effekt stellt sich beispielsweise beim Joggen ein. Die Haut fühlt sich kalt an, weil Schweiß auf der Haut verdunstet und die Wärme des Körpers an die Umgebung abgegeben wird. Bei der Entwicklung von Hurrikans verschwindet die Wärme aber nicht, sondern heizt als "latente" Wärme die Intensität von Wirbelstürmen an.
Im Zuge der Entstehung eines Hurrikans steigen Wasserteilchen mit den warmen Luftmassen auf, welche leichter als die umgebende Luft sind. Gelangt dieser "Verdunstungslift" in größere Höhen, kühlt sich das mitgeführte Wasser ab. Die Wasserteilchen kondensieren. Bei der Kondensation wird Wärme freigesetzt; genau die Menge an Wärme, die nötig war, um das Meerwasser verdunsten zu lassen. Diese "latente“ Wärme heizt die warm-humiden Luftmassen zusätzlich auf, was diese in noch höhere Atmosphärenschichten aufsteigen lässt. Weitere Kondensations- und Aufheizungsprozesse führen schließlich zu starkem Unterdruck über dem Meer.
Ein regelrechter "Staubsaugereffekt" stellt sich ein, der Luft aus allen Richtungen ansaugt. Je niedriger der Luftdruck, desto mehr Ozeanwasser kann wiederum verdunsten. Hohe Oberflächenwassertemperaturen (SST) und niedriger Luftdruck führen also zu starker Evaporation über Ozeangebieten. Und je mehr Seewasser verdunstet, desto mehr "latente" Wärme wird freigesetzt, und die im Wirbelsturm „gebundene“ Energie erhöht sich.
Natürliche und anthropogen verursachte Klimaschwankungen
Experten erwarteten tatsächlich zunächst, dass sich mit fortschreitender globaler Erwärmung und um 0,5° Celsius erhöhten SSTs auch die Anzahl der Hurrikan-Ereignisse erhöhen würde. Aber bei Betrachtung der historischen Daten, so gab Emanuel in einem Interview an, zeigte sich, dass sich die Häufigkeit von Sturmereignissen global betrachtet wenig geändert hat. Die Häufigkeit liegt stabil bei 90 Hurrikans pro Jahr +/- 10.
Laut Emanuel spiegelt die Frequenz der Hurrikane im Atlantik in den letzten Jahrzehnten natürliche Klimaschwankungen wieder; dergestalt, dass alle 20 bis 30 Jahre seit Beginn der Datenerhebung im 19. Jahrhundert, deutliche Verschiebungen in der Häufigkeit von atlantischen Hurrikans zu beobachten sind (siehe Abbildung unten). So waren die 40iger und 50iger Jahre Zeiten verstärkter Hurrikan-Aktivität, während es in den 70igern und 80igern verhältnismäßig ruhig zuging. Auch der Wiederanstieg der Kurve um das Jahr 1995 hatte laut Emanuel seine Ursache in gut dokumentierten Klimasignalen wie den verschiedenen Nordatlantischen und Nordpazifischen Oszillationen (i. e. El Nino, NAO, AMO). Diese Klimazyklen sind auch in dem von Emanuel neu errechneten Index PDI (Power dissipation index) zu beobachten. Es zeigt sich zusätzlich jedoch noch ein starker Aufwärtstrend mit Beginn Mitte der 90iger Jahre, der den Einfluss der zunehmenden globalen Erwärmung widerspiegeln könnte. Der PDI stellt laut Emanuel die Energieabgabe (und damit die Zerstörungskraft) von Hurrikans wesentlich umfassender und genauer dar, als dies Sturmfrequenz oder Intensität (Kategorieeinteilung von Saffir-Simpson) könnten.
Oszilli, Oszilla mir san leider net aloa
Halten wir also fest, dass es sich, möchte man die Rolle von Hurrikans ins globale Klimageschehen einordnen, um die Überlagerung verschiedener, Zyklen und Trends handelt. Betrachtet man ausschließlich die natürlichen Klimaschwankungen, so sind vor allem die bereits erwähnten verschiedenen atlantischen und pazifischen Oszillationen in Betracht zu ziehen, die in Frequenzen von mehreren Jahren bis zu mehreren Dekaden schwanken.
Zusätzliche Auswirkungen verursacht der auf die globale Erwärmung zurückzuführende Trend zu höheren Temperaturen des Oberflächenwassers (SST). Was selten erwähnt und noch seltener verstanden wird, ist dass sich diese verschiedenen Zyklizitäten und Trends aufsummieren. D. h., all die verschiedenen Klimakenngrößen gilt es zu einem Gesamtbild zusammen zufügen wie ein Puzzle. Das gilt sowohl für umfassende Fragen wie: "In welchen Facetten und Dimensionen wirkt sich der anthropogene Treibhausgas-Ausstoß auf das Klimageschehen der Zukunft aus?", als auch für Detailfragen wie die derzeit diskutierte: "Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Eigenschaften von tropischen Wirbelstürmen?" Dabei sind manche Trends nicht auf den ersten Blick erkennbar; auf den zweiten jedoch nicht weniger offensichtlich.
Klassenzimmer für Forscher
In der Berichterstattung zu diesem Themenkomplex klingt das häufig anders. So beruft sich etwa der österreichische Standard nicht nur auf den bekanntermaßen auf der Energie-Industrie nahe stehenden Klimatologen Patrick Michaels, sondern zeichnet sich zusätzlich durch munteres Durcheinanderwürfeln von Äpfeln und Birnen aus; beliebtes Spiel bei der Erörterung von Klimafragen. So steht beispielsweise geschrieben:
Ein Artikel in Nature argumentiert, dass die Wirbelstürme aufgrund der Klimaerwärmung zwar nicht ihre Frequenz, aber ihre Intensität verdoppelt hätten. Wenn das so wäre, kontert etwa der Klimatologe Patrick Michaels, dann wäre das ja für jeden offensichtlich und die ganze Kontroverse gegenstandslos.
Gäbe es ein Klassenzimmer für Forscher müsste Patrick Michaels für diese Aussage zeitlebens in der Ecke stehen. Ist Forschung nicht dazu da, Zusammenhänge aufzudecken, die nicht auf den ersten Blick für jedermann sichtbar sind? Und was ist bloß mit "nicht offensichtlich" gemeint? Alles was im Falle der Hurrikans über die recht einfache Darstellung von "Anzahl der Hurrikans über die Zeitachse" hinaus geht? In der Forschung häufig erst der Beginn der Arbeit, nicht das Ende der Fahnenstange. Entgegen der populistischen Annahme Patrick Michaels ist es doch u. a. Aufgabe der Forschung geeignete Parameter zu suchen, um "versteckte" Trends aus komplexen Daten herauszuarbeiten. Aber lesen wir weiter:
In der Tat, wenn man Bevölkerungswachstum und explodierenden Wohlstand in Rechnung stellt, kann von steigender Zerstörungskraft der Hurrikans wohl keine Rede sein. Nach Studien des Klimatologen Roger Pielke von der Universität Colorado, gab es von den fünf zerstörerischsten Hurrikanen des vergangenen Jahrhunderts nur einen nach 1950 - Wirbelsturm "Andrew" 1992. Und: Eine Studie der US-Behörde NOOA (National Oceanic and Atmospheric Administration) besagt, dass es in den letzten 35 Jahren weniger Kategorie-4-Stürme gegeben hat, als angesichts der langjährigen Durchschnittswerte zu erwarten gewesen wäre.
Wie schreibt doch Emanuel in seiner Arbeit:
Obwohl die Frequenz von tropischen Zyklonen eine bedeutende wissenschaftliche Fragestellung ist, ist sie an sich keine optimale Messmethode für die Bedrohung durch tropische Wirbelstürme.
Erinnern wir uns an dieser Stelle noch mal einer Grundaussage des Nature-Artikels. Die Häufigkeit der heftigen Sturmereignisse, hat nicht signifikant zugenommen, sondern bewegt sich in Zyklen von 30-70 Jahren, den natürlichen Oszillationen folgend. Wie gesehen, hat Emanuel unabhängig von der Frequenz der Hurrikan-Ereignisse, die nur indirekt einfließt, ein Maß für die Stärke von Wirbelstürmen errechnet und dargestellt, wie sich diese in den letzten 30 Jahren verändert hat. Diese Studie früheren Studien zur "Häufigkeit von Hurrikans über die Zeitachse" vergleichend gegenüber zu stellen oder gar in Konkurrenz zu diesen zu setzen, ist nicht sinnvoll, da es sich um "Äpfel und Birnen" handelt. Die Studie Emanuels streicht in dem Zusammenhang einen bislang verdeckten Trend heraus und arbeitet zu diesem Zweck mit einer "verfeinerten" Berechnung der "Energie" eines Hurrikans. Eine weitere Vertiefung der wissenschaftlichen Grundlagen findet sich hier.
Kritiker werfen ein, dass diese Zeitreihe Emanuels recht kurz ist und Hockeyschläger-Geschichten der jüngeren Vergangenheit gemahnen zur Vorsicht. Problem ist, dass regelmäßige Messdaten erst ab etwa Mitte des 20. Jahrhunderts vorliegen und auch das hauptsächlich für den Nordatlantik. Auch scheint der Anstieg der Oberflächentemperaturen zwar ein wichtiger aber nicht der einzige Parameter zu sein, der sich auf Dauer und Intensität von Hurrikans auswirkt. Weiterhin wären z. B. Gradienten in der oberen Atmosphäre oder Eigenschaften vertikaler Winde zu nennen.
"Es gibt keine 100% Naturkatastrophen"
"Meteorologen", resümiert Emanuel in einem Interview "haben vorbildliche Arbeit geleistet, die Bevölkerung rechtzeitig vor dem heraufziehenden Wirbelsturm zu warnen. Aber", so Emanuel weiter, "andere Warnungen von Meteorologen aus den vergangenen Jahren und Jahrzehnten verhallten ungehört."
A lot of people in my business had been, even in the 1980s, warning anybody who would listen -- which was very few, it turned out -- that there was going to be this upswing in hurricanes," Emanuel said. "It's not rocket science. We've been building all this stuff in Florida during this lull that lasted 20 years. We built all this stuff, and it's waiting to get creamed. There's been a fantastic amount of construction. A lot of people have built homes on the water. And nobody really listened. And now all of those predictions are exactly coming true. But it doesn't have much to do with global warming.
"Letztlich", so des Professors Meinung, "ist unabhängig vom Zutun des Klimawandels, keine grausame Natur für die Zerstörung verantwortlich, sondern Politik und Wirtschaft. Solange Städte in Hurrikan gefährdeten Regionen wachsen und wachsen, und diese Tendenzen von geringen Versicherungsprämien und Wirtschaftslobbyisten unterstützt werden, gibt es wenig, was Wissenschaftler tun können, um das Chaos zu verhindern." Kerry Emanuel ist der Ansicht, dass es so etwas wie eine 100% Naturkatastrophe nicht gibt.
"Abendrot schön Wetter Brot"
Ganz anders als ein Teil der heimischen Presse, der sich in Äußerungen über eine grausame und unberechenbare Natur ergeht. Liest man Sätze wie "Die Erde ist kein ruhiger und friedlicher Planet" fühlt man sich doch spontan an den karibischen Gott "Hurican" erinnert. Zurück zu Regentänzen und keltischem Runenwerfen, um die Furcht erregende Natur gnädig zu stimmen? Oder zu den allseits beliebten Bauernregeln; quasi angemessen, da Wetter und Klima ohnehin (zu Unrecht) meist in einen Topf geworfen werden: "Kräht der Hahn früh auf dem Mist, ändert sich’s Wetter oder es bleibt wie’s ist." Ebenso das Klima. Ändern können wir sowieso nichts. Also wozu intelligenter bauen, oder gleich woanders bauen oder gar Energie sparen? Ist doch eh alles egal; die Natur macht halt was sie will. Und wir dann eben auch. Verantwortung für unser Handeln tragen wir mitnichten. Als Reaktion auf die Ermahnung von Jürgen Trittin, man bräuchte nun Kyoto 2, gab es noch das folgende zu lesen:
Und so berechtigt die Forderung nach Klimaschutz ist (mit oder ohne Kyoto), ist ihm auf Dauer nicht damit genutzt, wenn jede Wetterkatastrophe zu seiner Begründung herhalten muss. Irgendwann nämlich wird das Publikum abwinken wenn, wie im Märchen der kleine Junge "Wolf" ruft.
Im Prinzip richtig, aber was so die Gegenfrage passiert, wenn das Publikum Wölfe zukünftig für Fabelwesen hält, oder glaubt dass Wölfe generell zahnlose Geschöpfe sind? Dasselbe vermutlich wie im Fall Emanuels und seiner Kollegen, deren "Wolf-Rufe" bezüglich des intensiven Bauens in Hurrikanregionen auch jahrelang ungehört verhallten.