Wolfsburg hat ein neues Ausflugsziel

Dient das Expo-Projekt "Autostadt" von VW als Einstieg in den E-Commerce?

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Expo-Projekte sind Bestandteile der Weltausstellung in Hannover. Die Autostadt von VW jedoch präsentiert sich unabhängig vom Geschehen in Hannover und stellt sich als Expo rund um das Automobil vor. Neben Produktshows aller Tochterunternehmen ist ein Freizeitpark entstanden, der des Deutschen Lieblingskind, das Auto, erlebbar macht und Einblicke in seine Entstehung gewährt. So ganz nebenbei können bis zu 1.000 Neuwagenkunden ihr Fahrzeug direkt vor Ort abholen. Doch welche Absichten stecken hinter der Millionen-Investition? Wird hier der Einstieg in den E-Commerce vorbreitet?

Autostadt im Panoramablickwinkel, Foto: Gerald Joerns

Zeitgleich mit der Expo-Eröffnung am 1. Juni wurde in Wolfsburg das Expo-Projekt "Autostadt" eingeweiht, aber im Gegensatz zur Weltausstellung in Hannover schließen dort nicht am 31. Oktober die Pforten. Das 850 Millionen teure Projekt möchte auch in Zukunft bis zu 3.000 Besucher täglich auf dem 25 ha großen Areal empfangen. Volkswagen versteht seine Autostadt zwar nicht ausschließlich als Prestigeobjekt für VW, aber die Geschichte der Autoentwicklung wird doch eng mit Volkswagen verknüpft zelebriert. Wenn man die Autostadt besuchen möchte und man nicht gerade sein neues Auto abholt, kostet der Eintritt für Erwachsene 24 DM pro Tag, für Kinder 12 DM. Der Autostadt-Fan kann auch eine Familienjahreskarte für 147 DM erwerben.

Was ist die Autostadt?

Die Autostadt versteht sich als neue Service- und Kommunikationsplattform des Unternehmens. Den Kunden soll nicht nur sein neues Auto erwarten, sondern gleichzeitig ist eine Mischung aus Info- und Entertainment angesagt. In der mächtigen Halle des "KonzernForums" wird der Besucher schon mit imposanten Ausstellungsstücken empfangen. Nach der Erkundung einer multimedial aufbereiteten Selbstdarstellung geht es weiter ins "AutoLab", wo man Einblicke in technische Finessen der Autoentwicklung erhalten kann. Ohne obligatorisches 360 Grad-Kino-Erlebnis geht's hier auch nicht mehr. Auch tapfer muss man bleiben, denn ein Beetle wird per Laserstahl in zwei Teile geschnitten, um einen Blick auf die sonst nicht so offensichtlichen Details freizugeben. In einem Shop kann man diverse Merchandisingprodukte erwerben. Abgerundet wird das Konzept des KonzernForums durch eine umfangreiche Mövenpick-Gastronomie.

Beetle wird zerschnitten und wieder verschweißt, Foto: Gerald Joerns

Ohne Werbung geht es nicht: Pavillons der Konzernmarken Zum Volkswagenunternehmen gehören inzwischen viele unterschiedliche Marken wie Audi, Bentley, Lamborghini, Seat, Skoda, Volkswagen und Volkswagen Nutzfahrzeuge. Selbst ein Rolls Royce ist noch zu sehen, aber die Marke geht bekanntlich zu BMW. Neu hinzugekommen und deshalb noch nicht mit einem eigenen Gebäude vertreten ist der LKW-Hersteller Scania.

Vorgestellt werden die einzelnen Tochterunternehmen in individuellen Pavillons. Der Lamborghini wird zum Beispiel in einem schwarzen Kubus präsentiert. Dort erwartet den Besucher ein Lamborghini Diablo, der in dem schwarzen Raum wie ein Insekt schräg an der Wand "klebt". Man könnte meinen, der Luxuswagen solle vor den Besuchern geschützt werden, denn zusätzlich ist er von einem Käfig umgeben. Während einer aggressiven Akustik- und Light-Show wird der symbolische Charakter dieser Inszenierung deutlich, denn wie sein Wappentier, der Stier, soll der kraftstrotzende Sportwagen in seiner ganzen Wildheit dargestellt werden und die Gitter dienen zum "Schutz" der Besucher.

Aggressive Show präsentiert den Lamborghini, Foto: Gerald Joerns

Das Zeit-Haus

Im Zeit-Haus ist eine sehenswerte Ausstellung zur Geschichte der Mobilität untergebracht. Vom Drei-Rad von Benz aus dem Jahr 1886 über den ersten "Laurin & Klement Voiturette A" bis hin zum Horchmodell ist auch die Urgeschichte des Autos berücksichtigt worden. Die Einführung der Fließbandmontage wird mit einem T-Mobil von Ford gewürdigt. Das Haus ist im Stil eines großen gläsernen Setzkastens konzipiert worden, so dass Automobilgeschichte für jedermann durchschaubar bleibt. Die Autostadt soll in Zukunft auch Schulkassen magisch anziehen, denn im Setzkasten wird ein komplettes Stockwerk als "WerkStadt" eingerichtet werden. Hier können sich die Schüler Bereiche wie Strömungslehre, Aerodynamik oder Mechanik in praktischen Beispielen selbst erarbeiten. Im Originalton heißt es hierzu: "Dabei sollte das Oberthema stets Faszination der Technik lauten, damit sich das Verständnis für die Stärken und Schwächen der Technik wecken lässt - ein Verständnis, das mit dazu beitragen wird, dass man zukünftig den Ängsten vor der Technik aufgeschlossener begegnet". Doch muss es nicht auch die Verantwortung aufzeigen? Insbesondere die Automobiltechnik gilt immer noch als großer Faktor der Umweltzerstörung.

Autotürme und Kunden-Center

Noch werden durchschnittlich 120 Fahrzeuge pro Tag im Kunden-Center der Autostadt ausgeliefert, was aber aus logistischen Gründen zur Zeit fast nur VW-Mitarbeitern vorbehalten ist. Angestrebt werden 1.000 Auslieferungen pro Tag, die ihr Neufahrzeug innerhalb von einer Stunde erhalten. Doch wer gedacht hat, als Selbstabholer könne man damit die oft nicht unerheblichen Überführungskosten einsparen, muss enttäuscht werden. Nach Auskunft eines Pressesprechers darf keine Konkurrenz zu dem bestehenden Vertriebsnetz aufgebaut werden. Beratung und Verkauf soll den Autohändlern vorbehalten bleiben. Das bedeutet, dass der Direktabholer nur den emotionalen Vorteil des Besuchs der Autostadt hat: Das neue Auto wird gekoppelt an einen Erlebnistag. Inklusive Anfahrt sollen sich die Kosten im gleichen Rahmen bewegen wie die bisherigen Überführungskosten.

E-Commerce? Wenn man den Äußerungen der Pressestelle trauen kann, soll die Autostadt keine Vorstufe zum Einstieg in ein VW-E-Commerce-Angebot sein. Kenner gehen allerdings davon aus, dass Volkswagen und deren Unternehmensbereiche innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes einen E-Commerce-Bereich zur Direktvermarktung aufbauen werden. Zwar ist es ein komplizierter Prozess, alle Modellvarianten im Internet darzustellen, aber auch Smart oder Opel zeigen Auto-Konfigurationen, so dass zumindest schon einmal ein individueller Wunschzettel entstehen kann. Noch allerdings kann man die Vertriebshändler nicht einfach übergehen und muss den Gebietsschutz beachten. Doch Branchenkenner wissen, dass demnächst die ersten Vertriebsverträge auslaufen und neu verhandelt werden müssen.

Das könnte das Startzeichen für eine Direktvermarktung per Internet sein. Immerhin möchte man mit diesem Zentrum neue Zielgruppen gewinnen und zählt das Projekt zu den wichtigsten Marketing- und Vertriebsmaßnahmen, auch wenn im Moment die Bindung Hersteller, Händler und Kunde noch betont wird. Zur Zeit können bei Volkswagen nur wenige Nutzer einen Wagen direkt per Internet bestellen, aber das Konzept der Autostadt mit derzeit bis zu 1.000 möglichen Abholern von Neufahrzeugen zeigt einen deutlichen Weg zum E-Commerce auf. Noch sind es nur zwei Auslieferungstürme mit jeweils 400 Standplätzen, doch finden sich auf dem Gelände schon die Fundamente zu zwei weiteren. In der vollen Ausbaustufe von sechs Türmen könnten pro Tag bis zu 3.000 Fahrzeuge direkt an den Kunden übergeben werden.