Wollen wir wirklich die maximale Katastrophe?
Seite 3: Chinesische Manöver und Methanbombe
- Wollen wir wirklich die maximale Katastrophe?
- Wo bleibt der fürsorgende Staat für die Bürger:innen?
- Chinesische Manöver und Methanbombe
- Auf einer Seite lesen
Zu der weiter eskalierenden sozioökonomischen Krise kommt die sich zuspitzende geopolitische Konfrontation des Westens unter Führung der USA mit Russland und China. Der Ukraine-Kriegs droht wie im Fall Afghanistan zu einem schwelenden Dauerkrieg zu mutieren, wenn Diplomatie weiter unter Tabu gestellt wird. Gleichzeitig fluten Waffen in das Land, ohne irgendeine Perspektive auf Verhandlungen.
Nach dem Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in Taiwan und der Ankündigung von US-Präsident Joe Biden, Waffen im Wert von über einer Milliarde US-Dollar nach Taipeh zu liefern, nehmen zugleich die Spannungen mit Beijing mehr und mehr zu. China hat bereits den Druck auf Taiwan erhöht und militärische Manöver rund um die Inselrepublik angekündigt. All das ist brandgefährlich und steigert das Risiko einer atomaren Auseinandersetzung inklusiver nuklearer Endlösung.
Die Sanktionen gegen Russland treiben zugleich die Preise für fossile Energien weiter in die Höhe, was einen Run auf Öl und Gas nach sich zieht, den die Staaten zusätzlich befördern, während sie die Erneuerbaren Energien weiter stiefmütterlich behandeln. Das wiederum verstärkt eine dritte Krise, die Klimakrise.
Die Folgen der Erderhitzung sind selbst für Hardcore-Klimawandelleugner und -verdränger kaum mehr zu übersehen. Dieses Jahr waren es Mega-Hitzewellen und -Dürren inklusive Waldbrände von den USA über Europa und den Iran bis Indien und China. In Ostafrika wütete die längste Dürre seit Jahrzehnten, am Horn von Afrika kam es wegen der Trockenheit zur Hungersnot. Dazu kommen historische Überschwemmungen in Bangladesch und Pakistan. Wie Attributionsforscher:innen feststellen, werden solche Extremwetterereignisse in Häufigkeit und Stärke im Zuge der Klimakrise weiter zunehmen. All das erzeugt jetzt schon Zerstörung, Leid, Tod.
Wer glaubt oder sich beruhigen möchte damit, dass die Welt im Zuge der Erderhitzung einfach ein wenig wärmer und ungemütlicher wird, woran wir uns dann schon anpassen werden (wobei die Menschen im globalen Süden dazu gar nicht in der Lage sind), dem sei gesagt: Es ist erst der Anfang. Wenn bestimmte Kipppunkte im Erdsystem erreicht werden, und einige könnten bereits erreicht sein, dann wird die Welt buchstäblich in einen Zug gesetzt Richtung Kollaps – und das ohne Rückfahrschein.
Um nur auf zwei aktuelle, besorgniserregende Entwicklungen hinzuweisen. Forscher haben nun schockiert feststellen müssen, dass die Konzentration des sehr aggressiven Treibhausgas Methan in der Atmosphäre deutlich schneller ansteigt als erwartet und immer neue Rekordniveaus erreicht. Sie gehen davon aus, dass vor allem Feuchtgebiete und auftauende Permafrostböden dafür verantwortlich sind. Dort sind riesige Methanmengen gespeichert, umgerechnet 1500 Milliarden Tonnen an Kohlenstoff, die im Zuge der globalen Erwärmung nun beginnen, langsam zu entweichen.
Wissenschaftler sprechen von einem "schlafenden Riesen" oder einer "Methanbombe". Sie könnte eine gefährliche Rückkopplungsschleife in Gang setzen, bei der ein sich erhitzender Planet auf natürliche Weise mehr Methan freisetzt und die Temperaturen weiter in die Höhe treibt, was wiederum die Methanfreisetzung verstärkt.
Eine beängstigende Aussicht, die Wissenschaftler nachts nicht schlafen lässt. Durwood Zaelke, Präsident des Institute for Governance & Sustainable Development und Befürworter strengerer Maßnahmen zur Reduzierung der Methanemissionen, stellt fest:
Wenn man sich vorstellt, dass die Emissionen fossiler Brennstoffe die Welt langsam zum Kochen bringen, dann ist Methan eine Fackel, die uns heute zum Kochen bringt. Die Befürchtung ist, dass es eine sich selbst verstärkende Rückkopplung auslöst. Wenn wir zulassen, dass sich die Erde so stark erwärmt, dass sie beginnt, sich selbst weiter zu erhitzen, werden wir diesen Kampf verlieren.
Die zweite schlechte Nachricht in Sachen Klimakrise: Jüngste Forschungen über die Arktis deuten darauf hin, dass sie sich nicht, wie bisher angenommen, zwei- bis dreimal so schnell erwärmt wie der Rest des Planeten, sondern viermal so schnell. Zugleich zeigt der ostantarktische Eisschild Anzeichen von Instabilität (er birgt den größten Teil des Gletschereises der Erde – der Meeresspiegel würde um 52 Meter ansteigen, wenn der gesamte Eisschild in den kommenden Jahrtausenden schmelzen würde).
Wenn die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius begrenzt werden kann, so die Forscher, könnte der riesige ostantarktische Eisschild stabil bleiben. Darüber hinaus würde das Schmelzen den Meeresspiegel sehr wahrscheinlich um viele Meter ansteigen lassen.
Auf die Regierungen in den Industriestaaten haben all die wissenschaftlichen Horrormeldungen – wie in der Vergangenheit – bisher keine feststellbaren Auswirkungen, jenseits rhetorischer Bekundungen. Es gibt weder eine ernsthafte Diskussion über Gegenmaßnahmen, noch ein Anzeichen dafür, dass die Staaten ihren Kurs ändern wollen. Sollten die Klimapläne der Regierungen aber nicht bald verschärft werden, ist die Obergrenze von zwei Grad nicht mehr zu halten.
Die Mathematik der Emissionen ist unerbittlich: Die Industriestaaten müssen für die Einhaltung der wissenschaftlich eindringlich empfohlenen Obergrenze ab jetzt jedes Jahr ihre Treibhausgase um 15 Prozent senken, um bis spätestens 2035 zu dekarbonisieren. Für die Entwicklungsländer muss 2050 Schluss sein mit Kohle, Gas und Öl. Doch, wie gesagt, Schweigen im Walde. Keine Regierung plant das. Die maximale Katastrophe könnte allein in Hinsicht auf Klimaschutz in diesem Jahrzehnt besiegelt werden.
Alle drei Kriseneskalationen – die sozioökonomische, die geopolitische und klimatische – sind miteinander verbunden und können sich wechselseitig verstärken. So erhöht soziale Ungleichheit Gleichgültigkeit gegenüber Umweltschutz und macht Menschen anfällig für nationalistische Abschirmung und Kriegsgerassel. Kriege und Konfrontationen zwischen Großmächten sowie Umweltzerstörungen haben wiederum destruktive Effekte auf die wirtschaftliche und soziale Stabilität der Länder.
Daher sollten und müssen letztlich auch alle drei Krisen gleichzeitig angegangen und abgemildert werden, um die Gefahr der maximalen Katastrophe zu bannen. Lösungen wie ein Green New Deal oder diplomatische Konfliktentschärfungen liegen auf dem Tisch. Die Frage ist, ob sie ergriffen werden. Den Regierungen zu vertrauen, dass sie das schon irgendwann freiwillig tun werden, wäre naiv bis töricht, auf die Gattung Mensch bezogen selbstmörderisch.