Yellowcakegate
Was kommt nach Bush? Die Frage mag verfrüht erscheinen angesichts der immer noch guten Umfrageergebnisse, aber er hat es sich mit der CIA verscherzt - und das ist noch keinem US-Präsidenten bekommen
John F. Kennedy wurde nicht erschossen, weil er sich mit der Mafia oder den Gewerkschaften angelegt hatte, sondern weil er die von den Geheimdiensten jahrelang vorbereitete Schweinebucht-Invasion scheitern ließ, keinen militärischen Großangriff auf Kuba starten wollte und die geplante "Operation Northwood" stoppte, die zur Lieferung eines Kriegsgrunds u.a. die Versenkung eines amerikanischen Passagierschiffs durch "kubanische Terroristen" vorsah.
Richard Nixon wurde nicht aus dem Amt gejagt, weil zwei tolle Investigativjournalisten so gut recherchiert hatten, sondern weil er mit dem Aufbau einer ihm unterstehenden "Drug Enforcement Agency" (DEA) der CIA ihre lukrativste Einnahmequelle, die "Kontrolle" (sprich: verdeckte Durchführung) des internationalen Drogenhandels wegnehmen wollte. Eine Wiederwahl wurde ihm noch gestattet - während man versuchte, die Schlüsselpositionen der DEA mit CIA-Leuten zu bestücken -, um dann den Watergate-Einbruch auffliegen zu lassen und die entscheidenden Infos zwei unverdächtigen Reportern zu stecken.
Nur die Spitze des Eisbergs
Nun hat aber doch CIA-Chef Tenet letzte Woche sein "mea culpa" gehaucht und die gelogenen "16 Worte" über Saddams uranhaltigen "Yellowcake"-Kauf auf seine Kappe genommen - ist dann nicht alles in Ordnung ? Keineswegs, denn die heiße Debatte um diese 16 Worte in Bushs Rede an die Nation und die Frage, wer für sie verantwortlich ist, sind nur ein mediales Ablenkungsmanöver.
Entscheidend ist, dass das erfundene Argument einer bedrohlichen Nuklearkapazität des Irak von der Bush-Regierung schon vor einem halben Jahr benutzt wurde, um vom Kongress ein Votum für den Krieg zu bekommen - und dass die Niger-Geschichte schon damals weder von der CIA noch von den Geheimdiensten des Verteidigungsministeriums (DIA) oder des State Departments (INR) bestätigt werden konnte. Dafür wohl aber von einer ArtSonder-Geheimdienst, einem "Büro für Spezialpläne" (Office for Special Plans, OSP), in dem im Auftrag von Cheney, Rumsfeld und Wolfowitz zeitweise über 100 frisch angeheuerte "Experten" damit befasst waren, die Erkenntnisse der offiziellen Dienste so zu manipulieren, dass sie zum Kriegsstrategie des Weißen Hauses passten.
"Sie sammelten Daten und pickten sich heraus, was passte. Die ganze Sache war bizarr. Der Verteidigungsminister hat diese große Defence Intelligence Agency, aber die umging er." - Ein ehemaliger Mitarbeiter im Nachrichtendienst des State Department gegenüber dem "Guardian"
Genauso wie die CIA und die anderen Geheimdienste, um sich stattdessen von einem privaten Think-Tank - bestückt mit Falken des ultrakonservativen "Project for a New American Century" - "Geheimdiensterkenntnisse" nach Maß fabrizieren zu lassen. Dass die gesamten US-Medien bis hinunter zum Propagandasender "Fox News" in den letzten Wochen umgeschwenkt sind und nicht mehr aufhören kritische Fragen stellen, hat damit zu tun, dass die 16 Worte in Bushs Rede ganz offensichtlich nur die alleroberste Spitze des Eisbergs sind.
Wie ernst die Lage ist, zeigt der offene Brief der "Veteran Intelligence Professionals" an Bush, in dem sie wegen dieser Vorfälle die umgehende Absetzung Vize-Präsident Cheneys fordern. Da Militärs und Geheimdienste der Loyalität verpflichtet sind und ihren Unmut gegenüber der Regierung öffentlich nicht kundtun können, sind in Krisenfällen solche verdienten Ehemaligen-Vereinigungen oft ihr Sprachrohr - und was die CIA-Senioren in ihrem Papier und in zwei lesenswerten Interviews (und hier) vom Stapel lassen, deutet das ganze Ausmaß der Verwerfungen zwischen dem Weißen Haus und der CIA an.
Und so scheint es kein Zufall, dass die große Wulitzer-Orgel der Massenmedien jetzt angesprungen ist. Sie wird von den Diensten mit Munition versorgt, und es steht zu erwarten, dass es nach dem Durchsickern des Yellowcake-Fakes zu weiteren Lecks kommen wird. Nicht nur seitens der CIA, sondern auch des britischen MI 6, wo die Empörung nach dem mysteriösen Tod des Waffeninspektors David Kelley ebenfalls überkocht.
Den Giftküchen der Spindoktoren, die das Lügengebräu züchteten, mit denen Bush und Blair ihre Völker zum Krieg trieben, droht nun der Kammerjäger - öffentliche Hygiene, Ausmisten der Propagandaställe, ist angesagt. Doch Bush und seine Berater scheinen das noch nicht erkannt zu habe und setzen ihr blamegame mit der CIA am Wochenende fort, mit dem ungewöhnlichen Schritt, Auszüge aus einem geheimen CIA-Dossier zum Irak zu veröffentlichen. Dort seien die nuklearen Anstrengungen Saddams sehr wohl bejaht und der Widerspruch der Dienste gegen die Urankäufe nur in einer Fußnote verpackt gewesen - die aber hätten W. und Condy dummerweise übersehen: "Sie lesen nicht die Fußnoten in einem 90-seitigen Dokument."
Uuuuh, das klingt nicht gar nicht gut und wird dem zum Idiotenhaufen degradierten mächtigsten Geheimdienst der Welt überhaupt nicht gefallen. So dürfte es nicht überraschen, wenn in den nächsten Tagen bekannt würde, dass es außer dieser "Fußnote" noch Weiteres gab, das im Weißen Haus geflissentlich übersehen und ungehört blieb - weil man sich statt auf "seriöse" Berichte auf die des ominösen "Büros für Spezialpläne" verließ.
Dass dieser Schattengeheimdienst mit einem Pendant bei der israelischen Regierung korrespondiert haben soll, der Präsident Scharon, am Mossad vorbei, mit kriegsfördernden "Erkenntnissen" versorgte, gibt dem Ganzen eine weitere pikante Note - die ebenfalls gefälschte Behauptung, bestimmte im Irak gefundene Aluminiumrohre seien zur Nuklearwaffenproduktion bestimmt, soll auf diesem Weg Eingang in das amerikanische Bedrohungsszenario gefunden haben.
Wie geht es weiter?
Prognosen sind immer schwierig, vor allem, so Mark Twain, "wenn sie die Zunkuft betreffen". Insofern gilt es vorsichtig zu sein, doch die Zeichen, dass die Bush-Regierung mit Yellowcakegate in eine Watergate 2- Falle getappt ist, scheinen deutlich.
Offenbar hat der Aufsichtsrat beschlossen, den Geschäftsführer Bush loszuwerden, der mit Patriot Act, Homeland Security, Total Information Awareness und der Doktrin vom präemptiven Krieg die Struktur des Unternehmens USA völlig umgekrempelt und seine Schuldigkeit getan hat. Ihn jetzt als Lügner Nixon-artig aus dem Amt zu jagen, "Glaubwürdigkeit" wiederherzustellen, Sauberkeit zu simulieren,- ideale Bedingungen für einen neuen "demokratischen" Kandidaten.
Die einzige Schwierigkeit wird sein, diese "Selbstreinigung" auf die Irak-Lügen zu begrenzen und den viel größeren Hammer - die 9/11-Lügen (Gut versichert gegen Terror?), die die obige Umstrukturierung erst möglich machten - weiter unter dem Teppich zu halten. Kein Grund zum Jubeln also, zumal, was den Nachfolger betrifft, nach wie vor die Mahnung Gore Vidals gilt: "Wir haben ein Einparteiensystem mit zwei rechten Flügeln."