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Zahlungsausfall der Ukraine droht

Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) braucht das Land weitere 15 Milliarden US-Dollar, die aber vom IWF nicht kommen dürfen

Die Nachrichten aus der Ukraine werden immer ungemütlicher. Trotz der Einigung mit Russland über die Gasschulden [1] wird es für viele Bewohner ein kalter Winter werden. Da überall Milliardenlöcher klaffen, will die neue Regierung die Energiepreise nun auf Marktniveau deutlich anheben, weil der staatliche Energiekonzern Naftogaz ein Defizit von 5,6 Milliarden Euro ausweist. Nun sollen Renten und Sozialleistungen gekürzt und Staatsfirmen privatisiert werden. Das Land fordert eine internationale Geberkonferenz, um die drohende Pleite abzuwenden. Es war schon vor dem Krieg höchst defizitär und wurde darüber zum Fass ohne Boden [2].

Der Bericht [3] der Financial Times (FT) schlägt wie eine Bombe in dem Krieg ein, den sich das Pleite-Land trotz seiner fatalen Situation in der Ostukraine leistet. Mit Bezug auf den IWF schreibt die FT, das kriegszerrüttete Land stehe vor dem Zusammenbruch und die westlichen Staaten müssten 15 Milliarden Dollar in wenigen Wochen aufbringen, um den Kollaps zu vermeiden: "The International Monetary Fund has identified a $15bn shortfall in its bailout for war-torn Ukraine and warned western governments the gap will need to be filled within weeks to avoid financial collapse."

Regierungschef Jazenjuk: "Wir brauchen eine internationale Geberkonferenz und Hilfe unserer westlichen Partner." Bild: yatsenyuk.org.ua

Diese 15 Milliarden Dollar (allein etwa 10% der jährlichen Wirtschaftsleistung) sollen auf die 17 Milliarden aufgesattelt werden, die dem Land ohnehin schon im April zugestanden wurden. Zwei Tranchen der IWF-Gelder wurden mit 3,2 Milliarden Dollar im Mai und mit 1,4 Milliarden Dollar September schon ausgezahlt. Doch zuletzt weigerte sich der IWF, die dritte Tranche nach Kiew zu überweisen. Die Finanzorganisation aus Washington forderte, die neue Regierung müsse zunächst einen glaubwürdigen Haushalt vorlegen. Denn der IWF schätzt, dass die Wirtschaft in diesem Jahr bis zu 10% schrumpfen könne, womit alle bisherigen Prognosen weit übertroffen würden.

Hält der Konflikt an oder entwickelt sich erneut zum offenen Krieg, soll nach Ansicht des IWF die Wirtschaft auch 2015 um 7,3% schrumpfen. Dazu kommen einbrechende Steuereinnahmen und höhere Finanzierungskosten, denn die Zinsen, die die Ukraine für Staatsanleihen zahlen muss, sind nun auf 15% explodiert, was die Befürchtungen eines Zahlungsausfalls verdeutlicht. Trotz des Kriegs lagen sie noch im Sommer bei schon unbezahlbaren 10%. Ohnehin haben sich die Staatschulden seit 2010 schon auf 70 Milliarden Dollar vervierfacht.

Die Ausgaben steigen aber weiter, da auch die Landeswährung Hyvrnia abstürzt. Sie hat zum Dollar allein in diesem Jahr mehr als 80 Prozent an Wert verloren. Und dadurch explodieren Energiepreise und nun muss sogar Kohle auf dem Weltmarkt für teure Dollars gekauft werden. Wegen des Kriegs arbeiten nur noch wenige Bergwerke im umkämpften Osten. Wegen zerstörter Straßen und Brücken kann meist aber nicht einmal die dort noch geförderte Kohle abtransportiert werden (Der kommende Winter könnte "für die einfachen Bürger ziemlich kalt werden" [4]). Insgesamt muss das Land wegen ausfallender Produktion mehr Waren teuer aus dem Ausland importieren.

Wir haben es also mit einer perfekten Ausfallsituation zu tun. Ob es bei 15 Milliarden bleibt, die der IWF nun veranschlagt, darf ohnehin noch bezweifelt werden. Denn klar ist längst, dass die Ukraine diese Summe alleine braucht, um fällige Schulden im nächsten Jahr zu refinanzieren (Wie viele Milliarden sollen es denn für die Ukraine werden? [5]). Man darf gespannt sein, wie sich Russland verhält, wo demnächst ein Kredit über drei Milliarden Dollar fällig wird. Die steigenden Zinsen treiben die Zinslast weiter in die Höhe, die ohnehin schon bisher mit 2,6 Milliarden pro Jahr veranschlagt wurde. So versteht man, wenn die FT eine mit den Vorgängen betraute Quelle mit diesen Worten zitiert: "Es wird nicht leicht werden", denn es gäbe wohl nicht so viel Geld da draußen.

Denn die Bereitschaft nimmt in Ländern wie Deutschland ab, den Krieg der Ukraine zu finanzieren. Trotz allem, so berichtet die Zeitung weiter, will der EU-Wirtschafts- und Steuerkommissar erneut Geld locker machen. Über die 1,6 Milliarden Euro hinaus, die bisher schon geflossen sind, soll ein drittes Rettungsprogramm aufgelegt werden. Die Ukraine fordert gleich weitere zwei Milliarden Euro aus Brüssel nach. Insgesamt beziffert die Regierung unter Arseni Jazenjuk, dass von den zugesagten Geldern bisher 8,2 Milliarden Dollar nach Kiew geflossen seien.

Doch seine Hände hält der ukrainische Regierungschef immer weiter auf. "Um diese komplizierte Zeit zu überstehen und einen Staatsbankrott nicht zuzulassen, brauchen wir eine internationale Geberkonferenz und Hilfe unserer westlichen Partner." Das sagte [6] er bei der Vorstellung des Regierungsprogramms am Donnerstag im Parlament in Kiew. Jazenjuk begründete [7] die Forderungen damit, die Ukraine sei ausgeplündert worden und sei nun "einer militärischen Aggression Russlands ausgesetzt". Ohne die Hilfe aus dem Ausland könne es diese Krise nicht bewältigen.

Von Krediten ist keine Rede mehr: Hilfe durch EU-Steuergelder?

Interessant ist, dass nur noch von Hilfen und von einem "Rettungsprogramm" gesprochen wird, also nicht einmal mehr von Krediten. Denn es dürfte allen klar sein, dass Kiew diese Gelder nie zurückzahlen wird. Doch man sollte einmal bei der Wortwahl kurz innehalten. Bisher wurden von der EU in Rettungsprogrammen Mitgliedsländer insbesondere Euro-Länder wie Griechenland [8], Zypern, Irland, Portugal und Spanien gestützt und stets wurde von "Krediten" gesprochen.

Eigentlich bleiben angesichts der fatalen Lage im Land nur der Zahlungsausfall und ein Schuldenschnitt. Da der von der EU und den USA nicht gewollt wird, und sich vor allem die EU in dem Konflikt in eine Sackgasse manövriert hat, wird wohl uns wohl demnächst als "alternativlos" verkauft werden, dass man die Machthaber in der Ukraine mit Milliarden der europäische Steuerzahler heraushaut. Denn vom IWF dürfte kaum noch etwas zu erwarten sein. Denn der hat eigentlich längst alle roten Linien bei der bisherigen Milliardenhilfe überschritten.

So spricht die ehemalige IWF-Mitarbeiterin Susan Schadler davon, dass der Währungsfonds längst im "ukrainischen Sumpf" [9] stecke. Die Wissenschaftlerin, die lange in einer IWF-Leitungsfunktion in Osteuropa arbeitete, zeigte die Probleme auf, die weitere Geldspritzen des IWF praktisch unmöglich machen. Längst habe der Fonds gegen die eigene Tradition verstoßen, dass kein Geld an Länder mit internen kriegerischen Konflikten fließen dürfe. Zudem seien schon jetzt mehr Mittel gewährt worden, als nach den üblichen Quoten möglich sei.

Dazu, das hatte der IWF auch im Fall Griechenland immer wieder als Druckmittel angeführt [10], müsse eigentlich sichergestellt sein, dass das entsprechende Land seinen finanziellen Verpflichtungen auch in den folgenden 12 Monaten nachkommen kann. Ein weiteres Kriterium für Finanzhilfen ist, dass der Hilfskandidat schnell seine Schulden schnell wieder eigenständig tragen müsse. Doch nichts davon kann angesichts der Lage in einer abstürzenden Ukraine als gegeben angesehen werden. Das bedeutet eigentlich, dass der IWF sogar das bisherige Programm abbrechen müsste.

Um gegenüber den Mitgliedsländern eine Argumentationsbasis zu haben, um diesen Schritt zu vermeiden, soll die ukrainische Bevölkerung massiv zur Kasse gebeten werden. Die üblichen IWF-Programme werden auch auf die Ukraine angewendet, die aber schon in Griechenland (ohne Kriegszustand) versagt haben. Jazenjuk fand am Donnerstag im Parlament dramatische Worte, um seine Bevölkerung auf neue, bisher noch völlig ungeahnte Entbehrungen einzustimmen. Es gehe im kommenden Jahr ums "Überleben", erklärte er, dann würden es "alle sozialen Schichten schwer haben". Dabei ist klar, dass es den einfachsten Menschen an die Geldbörse geht. Schon jetzt liegt die Inflation bei 19 Prozent. Trotzdem sollen [11] die Verteidigungsausgaben auf 5 Prozent des BIP hochgehoben werden. Das soll nach Jazenjuk, ähnlich wie der Bau der Mauer an der Grenze zu Russland, auch als Förderung des Wirtschaftswachstums wirken.

Bei vielen Menschen wird es demnächst vermutlich wahrlich das blanke Überleben auf dem Spiel stehen. Aber nicht wegen des Kriegs. Dramatisch wird es vor allem im Winter für viele werden, dass die Energiepreise erneut deutlich angehoben werden sollen. "Es gibt keine andere Möglichkeit, als die Tarife auf Marktniveau anzuheben", erklärte [12] Jazenjuk. Wie die Bevölkerung, die schon Probleme hat, die bisher angehobenen Energiepreise zu bezahlen, Preise auf Weltmarktniveau bezahlen soll, sagt er nicht. Er begründete diesen Schritt allerdings mit dem enormen Defizit von 5,6 Milliarden Euro beim Staatsbetrieb Naftogaz.

Doch damit nicht genug, die Renten sollen gesenkt und das Steuersystem insgesamt umgekrempelt werden. Kleine und mittlere Betriebe sollen für zwei Jahre von Steuern befreit werden und auch eine Einheitssteuer wird debattiert, um Betriebe zu entlasten. Die Ausfälle müssen an anderer Stelle kompensiert werden. Es soll eine massive Privatisierung durchgezogen werden, um Geld in die Kassen zu spülen. Renten werden eingefroren und Zusatzrenten gekürzt. Mittagessen in den Schulen soll genauso gestrichen werden, wie das für Patienten in Krankenhäuser, die teilweise privatisiert werden sollen. Wie üblich sollen auch im öffentlichen Dienst massiv Stellen abgebaut werden. 28.000 waren es in diesem Jahr, 2015 sollen weitere 10 Prozent entlassen werden, die verbleibenden Staatsangestellten sollen dafür mehr Lohn erhalten - das erschwert die Solidarität.

Es ist klar, dass diese Vorgänge nicht ohne Widerstand durchgesetzt werden können. Schon bevor diese harten Maßnahmen verkündet wurden, gab es bereits Proteste (Aufruhr in Poroschenkos Heimatstadt [13]). Schon in Griechenland kommt es angesichts dieser Maßnahmen immer wieder zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, wie zuletzt wieder Anfang dieser Woche (Athen: Von anarchistischen Luftlandetruppen und anderen Surrealitäten [14]). So kann man sich lebhaft Szenen in einem Land ausmalen, in dem es an Waffen nicht mangelt und in dem schon jetzt bewaffnete Milizen den Ton angeben.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3369031

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Merkel-will-Brueckenfinanzierung-um-das-Gas-der-Ukraine-zu-bezahlen-3368152.html
[2] https://www.heise.de/news/Red-Hat-Ansible-Engine-2-6-verspricht-verbessertes-Multicloud-Management-4116828.html
[3] http://www.ft.com/intl/cms/s/0/9a3efede-7fc5-11e4-acf3-00144feabdc0.html?siteedition=uk#axzz3Lb2uWP3s
[4] https://www.heise.de/tp/features/Der-kommende-Winter-koennte-fuer-die-einfachen-Buerger-ziemlich-kalt-werden-3367658.html
[5] https://www.heise.de/tp/features/Wie-viele-Milliarden-sollen-es-denn-fuer-die-Ukraine-werden-3364439.html
[6] http://en.interfax.com.ua/news/economic/239287.html
[7] http://www.kmu.gov.ua/control/en/publish/article?art_id=247812768&cat_id=244314975
[8] https://www.heise.de/tp/features/Neue-Griechenland-Milliarden-werden-fliessen-3368849.html
[9] http://www.nzz.ch/wirtschaft/der-imf-im-ukrainischen-sumpf-1.18442188
[10] https://www.heise.de/tp/features/Kritik-an-Bankenrettung-als-getarnte-Griechenland-Nothilfe-3390373.html
[11] http://www.kmu.gov.ua/control/en/publish/article?art_id=247805932&cat_id=244314975
[12] http://www.kmu.gov.ua/control/en/publish/article?art_id=247807118&cat_id=244314975
[13] https://www.heise.de/tp/features/Aufruhr-in-Poroschenkos-Heimatstadt-3369003.html
[14] https://www.heise.de/tp/features/Athen-Von-anarchistischen-Luftlandetruppen-und-anderen-Surrealitaeten-3368939.html