Kritik an Bankenrettung als getarnte Griechenland-Nothilfe
Die neue Scheinlösung durch das Nothilfepaket wird nur für eine monatelange gefährliche Nervosität sorgen
Statt die Initiative zu ergreifen, hechelt die EU weiter hinter dem her, was ihr von außen vorgegeben wird. So haben sich die Finanzminister am Wochenende doch nicht getroffen, um das zweite Nothilfepaket für Griechenland auf den Weg zu bringen. Die Handlungsunfähigkeit in der Union nutzt die Ratingagentur Standard & Poors (S&P) sofort, um weiter an Boden zu gewinnen. Sie droht nun auch, die freiwillige Verlängerung der Laufzeit eines Teils der griechischen Staatsanleihen als Zahlungsausfall zu werten. Er wird zudem den Druck auf Italien erhöhen. Die Kritik an der erneuten Bankenrettung, die als Griechenland-Rettung getarnt ist, wird derweil immer lauter.
"Es ist offensichtlich, dass alle in den vergangenen eineinhalb Jahren Fehler gemacht haben. Wir hecheln alle hinterher." So hat der polnische Finanzminister Jacek Rostowski am Wochenende die bisherigen Vorgänge um die Griechenland-Nothilfe bewertet. Man darf gespannt sein, ob das Land, das seit dem 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft turnusgemäß innehat, nun andere Schwerpunkte setzt. Jedenfalls hat sich die EU am Wochenende wieder einmal für das Hecheln entschieden.
Geplant war, dass die Finanzminister das Wochenende früher beenden, um sich am späten Sonntag zu treffen. Bei der Sondersitzung sollte über das zweite Nothilfepaket verhandelt werden. Doch dann segnete man schon am Abend zuvor per Telefonkonferenz nur ab, dass die EU die nächste Tranche für Griechenland aus der ersten Nothilfe über 110 Milliarden Euro frei machen wird, um das Land vor einer unmittelbar bevorstehenden Pleite zu bewahren. "Mir war es lieber, eine undramatische Konferenz zur Auszahlung der fünften Tranche aus dem Hilfsprogramm zu haben, als eine dramatische Sitzung, wo man den Eindruck gehabt hätte, dass man sich erst einer Entscheidung annähert", sagte Euro-Zonen-Chef Jean-Claude Juncker. Das ist die Belohnung der 17 Finanzminister dafür, dass Griechenland den rabiaten Sparkurs durch das Parlament gepeitscht hat.
Nun sollen 8,7 Milliarden Euro der EU und weitere 3,3 Milliarden Euro vom Internationalen Währungsfonds (IWF) fließen, um die Zahlungsunfähigkeit des Landes abzuwenden. Mehr nicht. Eigentlich dürfte aber der IWF, wie er stets gedroht hat, seinen Anteil nicht frei machen, schließlich wurden keine Beschlüsse zur zweiten Nothilfe getroffen. Also ist die Finanzierung des Landes nicht für mindestens ein Jahr gesichert und demnach dürfte der IWF nach seinen Statuten auch kein Geld auszahlen.
Es zeigt sich, dass der IWF nur eine neue Drohkulisse aufgebaut hat, um ausreichend Druck auf die Parlamentarier zu machen, den Sparplänen zuzustimmen und Plan B abzuwenden. Das war absehbar, nachdem der IWF schon dem Land ein positives Zeugnis ausgestellt hat, obwohl es mit 120 Milliarden nun wohl sogar noch mehr Geld braucht, als schon mit dem ersten Paket gezahlt werden.
Zeichen für Spanien stehen schlecht
Dass die Debatte über das zweite Paket nun um mehrere Wochen verschoben wurde, könnte bald wieder zu hektische Aktivitäten führen. So war der Zinsunterschied (Spread) von spanischen Staatsanleihen im Vergleich zu Bundesanleihen deutlich gefallen, nachdem in Griechenland das neue Sparpaket das Parlament passierte. Doch am Montag wuchs der sogenannte Risikoaufschlag für das Land wieder, das als nächster Absturzkandidat gilt, nachdem klar geworden war, dass am Wochenende eben nichts klar geworden ist. So könnte Spanien, das kürzlich schon so hohe Zinsen bieten musste, wie Portugal drei Wochen vor seinem Absturz, bald das nächste Opfer der Brüsseler Hilflosigkeit werden.
Die Zeichen für Spanien stehen schlecht, denn es kann auch nicht erwartet werden, dass die Finanzminister beim nächsten regulären Treffen am 11. Juli zu einer Einigung kommen. Dann, außer es kommt zu dramatischen Situationen mitten im Sommer, würde sogar erst im Herbst entschieden. Dabei dreht sich die Debatte weiter um die Beteiligung der privaten Gläubiger an der Nothilfe. Den Vorschlag zu einer sehr zaghaften Beteiligung, wie sie von Finanzminister Wolfgang Schäuble kam, wurde von Kanzlerin Angela Merkel schon beerdigt, nachdem die Ratingagenturen starken Druck gemacht hatten.
Banken verdienen, auch wenn sie sich an der Griechenland-Rettung beteiligen
Standard & Poor's (S&P) hatte gedroht, jede verbindliche freiwillige Beteiligung privater Gläubiger als Zahlungsausfall zu werten. Doch nun hat S&P nachgelegt, auch das Modell aus Frankreich soll verhindert werden. Denn es schien, dass man sich auf einen Vorschlag hätte einigen können, der vorsieht, dass sich Banken, Rentenfonds und Versicherer verpflichten, 70% ihres derzeitigen Bestandes griechischer Staatsanleihen gegen Papiere mit einer Laufzeit von 30 Jahren einzutauschen. Einbezogen in diesen sogenannten "Rollover" sollten Papiere werden, deren Fälligkeit zwischen Juli 2011 und Juni 2014 liegt.
Es sieht also so aus, als ob S&P schlicht jede Beteiligung von privaten Gläubigern verhindern will. Denn, so hat die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vorgerechnet, zündet das komplizierte Pariser Modell vor allem Nebelkerzen für die Öffentlichkeit: "Die Beteiligung der Banken sieht größer aus, als sie ist." So sollen deutsche Banken vordergründig mit 3,2 Milliarden Euro beteiligt werden. "Davon stammen allerdings 1,2 Milliarden von Banken, die sowieso schon in Staatshand sind, wie die Abwicklungsanstalt der Pleitebank HRE." Die Hypo Real Estate (HRE) ist der größte "private" Gläubiger Griechenlands. 7,4 Milliarden wurden von der verstaatlichten Bank in die FMS Wertmanagement (Abwicklungsanstalt der HRE-Gruppe), also in eine "Bad Bank", ausgelagert.
Die verbleibenden 2 Milliarden Euro sollen nach dem Vorschlag die Banken zurückerhalten, bevor sie in neue griechische Anleihen investieren. Reinvestiert werden sollen davon aber nur 70% und das "sind nur noch 1,4 Milliarden Euro für die Griechen". Doch davon müssten gleich 30% in eine Finanzierungsgesellschaft überwiesen werden. Mit etwa 420 Millionen Euro sollen sichere Anleihen als Sicherheit für diese Anleihen gekauft werden. Es bleibt also real nicht einmal ein Milliarde zur Finanzierung Griechenlands übrig. Zudem würden die Banken dafür noch deutlich höhere Zinsen kassieren, als sie für die zwischen 2011 und 2014 auslaufenden Bonds erhalten. "Ein Opfer ist das für die Banken nicht", stellt auch die FAZ fest.
Ratingagentur verlangt Rundum-Sorglos-Paket
Doch auch diese Lösung, so schreibt S&P, würde "nach unseren Kriterien wahrscheinlich einem Zahlungsausfall" gleichkommen. Die Ratingagentur besteht offensichtlich auf ein Rundum-Sorglos-Paket, wo nicht ein Euro für die Gläubiger in Gefahr gerät. Die Agentur moniert, dass "weniger Wert als die ursprünglichen Wertpapiere" geboten werde, also die Anleger am Ende weniger Geld erhielten, als sie sich von den Papieren ursprünglich erhofft hatten.
So macht die Financial Times Deutschland (FTD) in einem Kommentar darauf aufmerksam, dass der Pariser Vorschlag ohnehin kein bisschen geeignet ist, eine Pleite künftig zu verhindern: "Im Gegenteil, es könnte einen Zahlungsausfall sogar noch beschleunigen." Die Zeitung stellt korrekt fest, dass der Vorschlag darauf hinausläuft, "dass die Schuldenlast Griechenlands kein bisschen sinkt". Denn sicher sei, dass die Banken nach 30 Jahren genau den Betrag zurückerhielten, "den sie den Griechen jetzt leihen - und das selbst dann, wenn es in der Zwischenzeit zu einem Schuldenerlass kommt". Abenteuerlich ist allerdings, wie die FTD sich mit einer richtigen Argumentation hinter die Rating-Agenturen zu stellen versucht. Denn die wollen praktisch sogar die geringste Gläubigerbeteiligung verhindern. Würde die Forderung nach Verringerung der Schuldenlast konsequent zu Ende gedacht, dann bliebe als Lösung nur ein harter Schuldenschnitt. Denn nur darüber kann das Land überhaupt eine Chance erhalten, wieder auf die Beine zu kommen.
Verrückte Politik
Was derzeit mit der zweiten Nothilfe geplant wird, wogegen die Ratingagenturen nichts einzuwenden haben, ist, dass erneut viele Milliarden als neue Schulden auf den griechischen Schuldenberg gepackt werden. Wer aber auf der einen Seite argumentiert, dass ein großer Teil der griechischen Probleme die hohen Schulden des Landes sind, dann aber als scheinbare Lösung immer neue Schulden draufpackt, der gießt wohl auch Benzin ins Feuer, wenn sein Haus in Flammen steht. Schließlich wird die Zinslast immer höher und immer absurder und härter muss sich das Land das Geld vom Mund absparen, um den Schuldendienst zu leisten. Diese verrückte Politik führt aber nicht nur in die Rezession, denn da steckt das Land schon tief, sondern sogar in die Depression.
Die Ansteckungsgefahr liegt bei den Banken, nicht bei den Ländern
So weist auch die wirtschaftsliberale Neue Züricher Zeitung (NZZ) deutlich darauf hin, dass schlicht Realitäten nicht akzeptiert werden: "In Marktkreisen macht man sich keine Illusionen über den wahren Charakter der Rettungsbemühungen." Denn nur vordergründig gehe es darum, den Staatsbankrott Griechenlands und eine Ansteckung anderer Euro-Länder zu verhindern. Die Zeitung bezieht sich unter anderem auf eine Analyse der US-Bank JP Morgan, wonach die jüngste Entwicklung auf der Fiktion basiere, Griechenland könne seine Schulden zurückzahlen. Die NZZ spricht Klartext: "Die Bemühungen seien vor allem auf einen weiteren Transfer von Geldern europäischer Steuerzahler und des IWF an Banken und auf einen Zeitgewinn ausgerichtet."
Es kann nicht oft genug bekräftigt werden, dass man sich mit teuren 120 Milliarden Euro nur etwas Zeit erkaufen will (Keine Einigung zur Griechenland-Nothilfe 2.0). Die gesamte Zeche sollen dann vor allem die europäischen Steuerzahler zahlen, denn in der Zwischenzeit ziehen sich Banken, Rentenfonds und Versicherungen weiter aus Griechenland zurück. Zu den Nothilfepaketen kommen noch die Milliarden an griechischen Staatsanleihen hinzu, die ebenfalls schon durch den Aufkauf von Anleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) beim Steuerzahler abgeliefert werden.
Der geplante neue Bailout sei nichts anderes, "als ein Rückfall in die Verhandlungsphase und man sich wieder weiter von der Akzeptanz des Unvermeidlichen - der Unmöglichkeit einer vollen Rückzahlung der Schulden - entfernt habe". Die Zeitung zitiert den US-Kommentator und Vermögensverwalter Barry Ritholtz. Auch er weist darauf hin, dass nicht Griechenland oder das griechische Volk gerettet werden sollen, sondern internationale Banken. Es finde, wie in den USA, eine Sozialisierung der Verluste und eine Privatisierung der Gewinne statt. Nicht Griechenland habe sich finanziell und wirtschaftlich verantwortungslos verhalten, sondern nach Ritholtz hätten sich die geldgebenden Banken fahrlässig und inkompetent erwiesen. Folglich sollten sie - und nicht Steuerzahler - die Konsequenzen tragen.
Die Zeitung schlägt den Entscheidungsträgern vor, den Bankrott Griechenlands zu akzeptieren. Man sollte sich dann auf die Konsequenzen des Zahlungsausfalls konzentrieren, denn ein direktes Vorgehen sei der indirekten Unterstützung der Banken und Versicherer vorzuziehen. In dem schmerzhaften Prozess würden aber zudem die schwachen Glieder der Finanzierungskette auffallen. Statt einer Ansteckungsgefahr zwischen Ländern liege die echte Ansteckungsgefahr- als Folge der hohen Vernetzung - bei den Finanzinstituten.
Angriffsziel Italien?
Doch die Ansteckung kann, wie schon in Portugal auch herbeigeführt werden. Das Drehbuch für den Abschuss wurde vor vielen Monaten geschrieben. Und man darf davon ausgehen, dass Portugal nur der Hebel für den wirklichen Angriff auf den Euro war. Denn dafür müssen große Länder wie Spanien und Italien gekippt werden. Ist es etwa ein Zufall, dass nun nach Spanien immer stärker auch Italien ins Blickfeld gerät, dessen Zinsen ebenfalls immer weiter steigen?
So hat S&P nun seine angedrohte Herabstufung der Kreditwürdigkeit für Italien bekräftigt, obwohl die Regierung einen Sparplan und Reformmaßnahmen angekündigt hat. Derzeit bewertet die Agentur den europäischen Schuldenmeister noch mit der fünftbesten Note "A+". S&P spricht aber richtigerweise das schwache Wirtschaftswachstum als Problem an, das ein substanzielles Risiko für den Konsolidierungsplan der Regierung sei. Die Tatsache, dass das Italien in der Stagnation dümpelt, ist in diesem Fall aber nicht drastischen Sparplänen zuzuschreiben.
Auch das neue Sparpaket, mit einem Volumen von rund 47 Milliarden Euro, sieht wirkliches Sparen erst nach den vorgesehenen Wahlen 2013 vor. Bis dahin fallen die Maßnahmen eher moderat aus. 1,8 Milliarden sollen noch im laufenden Jahr gespart werden und 2012 sollen es dann 5,5 Milliarden werden. Vor allem soll das über einen Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst geschehen. Angesichts der enormen Verschuldung von fast 2 Billionen Euro dürften aber schon diese Einsparungen nicht ausreichen, um auch nur die schon jetzt gestiegene Zinslast finanzieren zu können.
Deshalb ist erstaunlich, dass S&P sogar zu der Einschätzung kommt, dass das Sparpaket glaubwürdig sei. Denn es ist kaum zu erwarten, dass Italien es mit diesen Maßnahmen angesichts eines sehr schwachen Wachstums schafft, bis 2014 einen ausgeglichenen Haushalt zu haben. Schließlich hält sogar S&P die Prognose der Regierung für zu optimistisch, dass die Wirtschaft zwischen 2011 und 2014 um 1,3% wachsen wird. Wird aber ab 2013 wirklich gespart, würde das Wachstum zusätzlich belastet werden. Die Zinslast dürfte schon über die festgefahrene Debatte um Griechenland weiter auf hohem Niveau bleiben oder sogar noch ansteigen. Setzt S&P die angedrohte Abstufung um, dürften die Zinsen sogar deutlich steigen. Dann wird es angesichts einer Verschuldung, die Ende 2010 schon fast 120% der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes ausgemacht hat, schnell sehr eng für Italien und damit auch für den Euro.