Mit dem Absturz Portugals drängt die Euro-Krise auf Tagesordnung des EU-Gipfels
Der sozialistische Ministerpräsident Socrates hat seinen Rücktritt nach Ablehnung des vierten Sparpakets eingereicht und damit steht der Gang unter den Rettungsschirm an
Das Drehbuch wurde schon vor 15 Monaten geschrieben. Als das Krisenjahr 2009 zu Ende ging und das Krisenjahr 2010 begann, starteten auch die Ratingagenturen ihre Stimmungsmache gegen Portugal. Moody's preschte damals vor, sprach von Portugal in einem Atemzug mit Griechenland und prophezeite beiden Ländern einen "langsamen Tod". In Griechenland ging es schnell, nach nur gut vier Monaten musste eilig ein Rettungsschirm unter dem Land aufgespannt werden (Die hektische Eile nach der langen Weile). In Portugal dauerte es fast ein Jahr länger. Der heutige EU-Gipfel kann sich nun erneut eilig mit dem Gang Portugals unter den Rettungsschirm befassen und damit muss erneut vor den wichtigen Wahlen für die CDU am Sonntag, über dessen Ausweitung debattiert werden, was die Bundeskanzlerin stets zu verhindern suchte (Ist die Europäische Zentralbank pleite?).
Nun ist Portugal reif für den Rettungsschirm. Die ständigen und meist unbegründeten Abstufungen der Kreditwürdigkeit führten erwartungsgemäß zu den Zinserhöhungen und damit war es recht einfach, den baldigen Absturz des Landes vorherzusagen, weil Brüssel, Berlin und Paris ihm nicht frühzeitig einen Riegel vorgeschoben haben. Angeführt wird für die Probleme aber gerne die Fehlinformation, wonach Portugal eine "hohe Verschuldung" aufweise. Viele Journalisten haben sich in all den Monaten nicht einmal die Mühe gemacht, sich auf die Seiten der europäischen Statistikbehörde Eurostat zu klicken. Denn dort wird deutlich, dass in der letzten Mitteilung die Staatsverschuldung Portugals unter dem EU-Durchschnitt lag. Sie lag noch unter der Frankreichs und nur leicht über der deutschen Staatsverschuldung.
Verwechselt wird die Staatsverschuldung mit dem 2009 relativ hohen Haushaltsdefizit, das zunächst als Grund für die Abstufung der Bonitätsnote angeführt wurde. Doch gegenüber Griechenland (-15,4%), Irland (-14,4%), Großbritannien (-11,4%), Spanien (-11,1%) oder Lettland (-10,2%) sah Portugal mit einem Defizit im Krisenjahr 2009 von 9,3% gar nicht so schlecht aus und lag auf einem Niveau mit Litauen (-9,2%), Rumänien (-8,6%) und nahe der Slowakei (-7,9%), Frankreich (-7,5%) und Polen (-7,2%). Schaut man sich die Staatsverschuldung an, dann liegt Griechenland an der Spitze, doch dahinter folgen Italien, Belgien, Ungarn und Frankreich.
Vor allem Belgien muss sich mit seiner politischen Dauerkrise nun warm anziehen, ebenso Spanien, das zwar eine geringere Staatsverschuldung als Portugal hat, aber eine extrem hohe Gesamtverschuldung, zählt man Haushalte und Firmen hinzu. Dazu kommen die extremen strukturellen spanischen Probleme im Bankensektor, die höchste Arbeitslosigkeit in der EU und ein abgestürzter Immobilien- und Bausektor, auf dem ein großer Teil der Wirtschaftsleistung beruhte. Portugal, so darf man annehmen, ist als kleines Land nur abgeschossen worden, weil der Angriff auf den Euro sich nun die größere Ziele sucht. Die Angriffe auf Belgien und Spanien, als viertgrößtes Euroland, werden sich ebenso verstärken wie zunehmen das Dauerkrisenland Italien ins Zielfernrohr rücken wird.
Sparkurs führt zu neuen Sparpaketen
Doch Ministerpräsident Jose Socrates hat entgegen aller Warnungen von angesehenen Ökonomen wie Wirtschaftsnobelpreisträgern Paul Krugman oder Joseph Stiglitz seinen ursprünglichen ausgeglichenen Sparkurs aufgegeben. Er knickte vor den Ratingagenturen, Brüssel, Berlin und Paris ein und begann damit das Land zurück in die Rezession zu sparen. Und so fiel auf, dass nun die Ratingagenturen plötzlich die Argumentation veränderten und die dauerhaft schlechten Wachstumsaussichten als Begründung für weitere Abstufungen anführten. Klar ist, dass mit der wieder schrumpfenden Wirtschaftsleistung in Portugal Steuerausfälle einhergehen. Die steigende Arbeitslosigkeit führt dagegen zu höheren Sozialkosten und dazu kommt die ständig steigende Zinslast. So führte der Sparkurs, den Brüssel dem Land aufgezwungen hat, zu immer neuen Sparpaketen.
Den vierten Sparplan der sozialistischen Minderheitsregierung in nur einem Jahr hat nun erwartungsgemäß gestern die gesamte Opposition abgelehnt. Da Socrates noch am späten Mittwoch gegenüber Präsident Anibal Cavaco Silva seinen Rücktritt erklärt hat, stehen nun Neuwahlen in Portugal und der unausweichliche Gang unter den Rettungsschirm an. Denn zur portugiesischen Finanzkrise kommt jetzt die politische Krise hinzu. Man darf davon ausgehen, dass auf dem EU-Gipfel in Brüssel, der heute beginnt, nun eilig über die Konditionen verhandelt wird, zu denen Portugal aufgefangen wird. Fällig wird auch erneut die Debatte um die Ausweitung des "temporären Rettungsschirms" (EFSF), schließlich wird sich die sich ausweitende Euro-Krise kaum bis 2013 strecken lassen, zu dem der Krisenmechanismus zum Normalzustand mutieren soll (Wie ein Krisenmechanismus zum Normalzustand mutiert).
Die Bundeskanzlerin hat sich erwartungsgemäß, wie vor der Griechenland-Krise kurz vor den Wahlen in Nordrhein Westfahlen, mit ihrer Hinhaltepolitik erneut ein Eigentor vor den für die CDU so bedeutsamen Wahlen in Baden-Württemberg geschossen. Das kommt zum unglaubwürdigen Schwenk in der Atompolitik noch hinzu. Ausgerechnet vor dem Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs zur Euro-Krise und vor diesen Wahlen steht also die Euro-Krise wieder auf der Tagesordnung. Eigentlich sollte ja am Nachmittag über den neuen Krisenfonds (ESM) und um Strafen für Defizitsünder verhandelt werden, doch nun steht wieder eilige Krisenlösung an. So wird auch die Debatte über die Aufstockung des EFSF erneut aufbranden. Das hat nicht nur mit der Portugal-Rettung zu tun, sondern auch damit, dass die Europäische Zentralbank (EZB) fordert, wonach sowohl der EFSF als auch der zukünftige ESM die Möglichkeit erhalten sollen, Staatsanleihen von Pleitekandidaten anzukaufen. Denn die EZB will die Rolle einer Bad Bank loswerden und den Tabubruch beenden.
Irland will sich nicht erpressen lassen
Zudem will auch Irland das Seil durchtrennen, dass dem Land mit hohen Zinsen gegeben wurde, um sich eigenhändig aufzuhängen, wie auf der Insel über die EU-Rettung geätzt wird. Schließlich wird Irland, das seine Banken für britische und deutsche Institute und Rentenversicherungen vor der Pleite gerettet hat, dafür mit einem Zinssatz von 5,8% bestraft. Der liegt sogar noch 0,6 Prozentpunkte über dem Satz, den Griechenland bezahlen muss. Die neue Regierung in Dublin fordert logischerweise einen Abschlag, denn ein so hoher Zinssatz macht eine Konsolidierung sehr schwer oder unmöglich.
Frankreich und Deutschland wollen Irland aber dazu bringen, einen Deal zu machen. Niedrigere Zinsen soll es nur geben, wenn Irland im Tausch die Unternehmenssteuern anhebt. Irland verzerre mit niedrigen Steuern den Wettbewerb der Länder untereinander, weil es nur 12,5% Körperschaftssteuer verlange. In Deutschland beträgt der Satz offiziell 15%. Allerdings läge der reale Steuersatz in vielen Ländern sogar noch deutlich darunter. Das habe eine Studie ergeben, welche die Beratungsfirma Pricewaterhouse Cooper für die Weltbank erstellt hat. So liege der reale Steuersatz in Frankreich nur bei 8,2% und in Belgien und Holland sogar noch darunter, worauf man in Dublin jetzt gerne verweist.
So ist die Haltung Frankreichs vordergründig erstaunlich. In offensichtlich Unkenntnis dessen, was die abgewählte konservative irische Regierung der Bevölkerung schon an Sparmaßnahmen zur Bankenrettung zugemutet hat, fordert der französische Präsident Nicholas Sarkozy populistisch nun Opfer von Irland und meint damit auch die Körperschaftssteuer. Um seine Unkenntnis zu unterstreichen, lobte Sarkozy plötzlich Griechenland. Dabei wurde Irlands drastischer Sparkurs den Griechen stets als Beispiel vorgehalten. Auch die Bundeskanzlerin forderte Gegenleistungen für niedrigere Zinsen. Sie behauptet aber, man übe keinen Druck auf Irland aus. "Ich glaube, es ist redlich bzw. fair, wie Sie sagen, wenn wir sagen, dass wir die Zinssenkung erst in Aussicht stellen können, wenn eine Gegenleistung erbracht ist."
Irlands neuer Premierminister, Enda Kenny, sieht das anders und er will sich aus Paris und Berlin nicht erpressen lassen. Er erinnert daran, dass die EU dem Land Steuersouveränität ausdrücklich vor dem zweiten Referendum zum Staatspakt garantiert habe. Eine Erhöhung der Körperschaftssteuer käme einem gravierenden Vertrauensbruch gleich. Er weiß, dass Wachstum auf der Insel nach dem harten Sparkurs nur über den Export erzeugt werden kann. Damit hängt das Land von den vielen multinationalen Unternehmen ab, die wegen niedriger Steuern nach Irland gegangen sind. Da sich in der Frage auch Oppositionsführer Micheál Martin bedingungslos hinter den Premierminister stellt, will die neue Regierung in Brüssel hart bleiben.
Auch Merkels Wettbewerbspakt, mit dem sie die Löhne sogar von der Inflationsentwicklung abkoppeln will, stößt auf Widerstand. So fährt der spanische Regierungspräsident ohne ein entsprechendes Zugeständnis seiner Gewerkschaften nach Brüssel, obwohl die sogar die Kröte einer Erhöhung des Renteneintrittsalters geschluckt haben. Dass also beim EU-Gipfel große Sprünge gemacht werden, sollte man angesichts dieser Situation nicht erwarten.