Merkel knickt vor Ratingagenturen ein
Nur noch freiwillig und unverbindlich sollen private Gläubiger in die zweite Griechenland-Nothilfe eingebunden werden
Panikartige Reaktionen an den Finanzmärkten, Drohungen der Ratingagenturen und massiver politischer Druck aus Europa haben die Bundeskanzlerin dazu gebracht, die Vorschläge ihres Finanzministers zu beerdigen. Beim deutsch-französischen Gipfel in Berlin hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel heute mit dem französischen Staatspräsident Nicolas Sarkozy auf einen "Kompromiss" für die zweite Griechenland-Nothilfe geeinigt, wie allseits vermeldet wird. Doch tatsächlich ist das kein Kompromiss. Merkel ist erneut umgefallen.
Aus dem Gipfeltreffen in Berlin ging Sarkozy als klarer Sieger hervor. Denn die Bundesregierung ist mit ihrem Versuch gescheitert, Banken, Versicherer und Rentenfonds freiwillig aber verbindlich in die zweite Nothilfe für Griechenland wenigstens ein wenig einzubinden. Wie die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB) hatte sich auch Paris gegen den Vorstoß von Finanzminister Wolfgang Schäuble gestemmt, weil auch Frankreichs Banken viel Geld in Griechenland stecken haben.
Die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) hatte vor der letzten Krisensitzung der Finanzminister am Dienstag in Brüssel zunächst die Kreditwürdigkeit des Landes auf "CCC" herabgestuft, also auf die schlechteste Stufe weltweit (Keine Einigung zur Griechenland-Nothilfe 2.0). Kurz danach hatte S&P den Druck weiter erhöht und gedroht, auch die Bonität von drei französischen Großbanken wegen des Engagements in Griechenland herabzustufen.
Der Druck hat gewirkt und man hat in Berlin den "Kompromiss" angenommen, den Fitch vorgegeben hatte. Denn diese Ratingagentur hatte derweil erklärt, sie werde die freiwillige Beteiligung privater Gläubiger nicht als Zahlungsausfall werten, denn sogar die wollte S&P noch verhindern. Nun soll es nur noch unverbindliche freiwillige Beteiligung geben. Schäuble wollte eigentlich, dass private Gläubiger verbindlich die Laufzeit ihrer Griechenland-Anleihen auf sieben Jahre verlängern, um etwas Stabilität für das Land zu erhalten. Den Schuldenschnitt, den viele Experten für nötig halten, damit das Land wieder auf die Beine kommen kann, ist wieder von der Tagesordnung gestrichen worden.
Für Spanien und Portugal wird es gefährlich
Dass Merkel nun einknickt und ihren Finanzminister bloßstellt, hat mit dem Druck der Finanzmärkte und dem Widerstand in Europa zu tun. Es kam wegen des Streits zu panikartigen Reaktionen an den Kapitalmärkten. Die Zinsen für Staatsanleihen von Peripherländern sind explodiert. Auch Spanien und Italien gerieten stärker in den gefährlichen Strudel. Schon am Montag wurden zehnjährige spanische Staatsanleihen mit 260 Basispunkten über der Bundesanleihe am Sekundärmarkt gehandelt. Am Donnerstag stieg dieser Zinsunterschied (Spread) sogar mit 290 Punkten auf ein Jahreshoch. Das Allzeithoch von 300 Punkten (3%) zur Bundesanleihe vom November 2010 kam nahe, als auch Irland Nothilfe beantragen musste. Anleihen für Portugal, Irland und Griechenland stiegen derweil auf neue Rekordwerte. Portugiesische Anleihen haben erstmals die Zinsmarke von 11 Prozent gerissen. Ein deutliches Warnsignal für Spanien war, dass bei einer Versteigerung von Anleihen mit einer Laufzeit von 15 Jahren am Donnerstag erstmals mehr als 6 Prozent Rendite geboten werden musste. José Luis Martínez Campuzano von der Citibank sprach von einer "Paniksituation" an der Madrider Börse. Das hatte auch damit zu tun, dass nur gut 2,8 Milliarden Euro eingenommen wurden, obwohl es 3,5 Milliarden sein sollten.
Für Spanien ist der nahende Absturz auf die Tagesordnung gerückt, den Experten schon lange vorhersagen. Aus Abstürzen Griechenlands, Irlands und Portugals ist längst bekannt, dass die Schwelle für einen Nothilfeantrag bei einem Zinssatz von 7 Prozent liegt. Dieser Marke kommt Spanien nun immer näher. Stürzt Spanien, reicht der Umfang des bisherigen Rettungsschirms in Höhe von 750 Milliarden Euro kaum aus, auch wenn der inzwischen in der Portugal-Krise schon ausgeweitet wurde.
Sogar für das große Italien, mit fast zwei Billionen Euro der europäische Schuldenmeister, wird es immer gefährlicher (Nun rücken Italien und Belgien ins Visier). Denn auch für das Land stiegen nicht nur die Kosten für sogenannte Kreditausfallversicherungen (CDS), auch die Rendite für zehnjährige Anleihen sind nun schon auf fast 5 Prozent gestiegen, womit die Zinslasten auch dieses Land zu erdrücken beginnen. Italien hat nach Griechenland die höchsten Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftleistung und eine Pleite Italiens hätte gravierende Folgen für die Euro-Zone.
Schnellere Hilfe, aber dennoch wird damit nur teuer Zeit gekauft
So wundert man sich nicht, dass sich diese Länder (dazu das enorm verschuldete Belgien), vor dem deutsch-französischen Gipfel gegen eine Verschleppung der Griechenland-Entscheidung aussprachen. Auch Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker war entsetzt über den Plan Deutschlands, die Beschlüsse zu verschieben. "Ich bin nicht der Meinung, dass wir zulassen sollten, dass die Entscheidungen bis in den September hinein verschoben werden", sagte Juncker im Interview. Das ist nun vom Tisch. Merkel erklärte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Sarkozy: "Wir wollen möglichst schnell eine Lösung finden." Ein Zahlungsausfall Griechenlands müsse verhindert werden, versuchte sie die Finanzmärkte zu beruhigen, vor denen sie eingeknickt ist.
Der Kompromiss bildet die Grundlage für die Beratungen der Finanzminister der Euro-Gruppe am Sonntag, die eine tragfähige Lösung ausarbeiten sollen, welche die 27 europäischen Staats- und Regierungschefs kommende Woche in Brüssel beschließen können. Bis zu 120 Milliarden dürften erneut fließen, um Griechenland bis 2014 vor der Pleite zu retten. Dabei hatte man doch gerade dem Land ein so gutes Zeugnis ausgestellt.
Die unverbindliche freiwillige Beteiligung wird es den Banken ermöglichen, sich gegen alle bisherigen Zusicherungen weiter aus Griechenland zurückziehen, bevor der unabdingbare Schuldenschnitt kommt. Denn im Mai 2010 war vereinbart worden, dass sie Kreditlinien und Anleihen in Griechenland aufrecht erhalten. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hat in ihren Quartalsberichten immer wieder aufgezeigt, dass sich Banken 2010 aber immer weiter aus Griechenland und anderen Krisenländern zurückgezogen haben.
Über die neuen Nothilfe-Milliarden wird aber nur teuer Zeit erkauft. Derweil werden über die Nothilfen, und auch über die umstrittenen Aufkäufe durch die EZB, die Lasten für den unabwendbaren Schuldenschnitt weiter auf die Steuerzahler abgewälzt.
Dass Griechenland durch immer neue Schulden wieder auf die Beine kommt, sollte niemand erwarten. Auch immer neue Sparprogramme und Privatisierungen können die Kosten für steigende Zinslasten nicht mehr ausgleichen, womit das Land immer nur noch tiefer in die Rezession gedrückt wird. Da Merkel Schäuble nun bei der Gläubigerbeteiligung abgewatscht hat, könnte sie gleich weiter machen. Die Bundesregierung müsste die unsinnige Forderung aufgeben, dass mit frischen Milliarden die Spar- und Privatisierungsprogramme weiter verschärft werden sollen (Wenn "Verrückte" in Europa regieren). Denn so wird das Land nur zu einem immer größeren Fass ohne Boden verwandelt.