Zentralbanken mit steigender Inflationstoleranz
Seite 3: Kaputte realwirtschaftliche Inflationsbremse
- Zentralbanken mit steigender Inflationstoleranz
- Zweitrundeneffekte und Verteilungskämpfe
- Kaputte realwirtschaftliche Inflationsbremse
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Die Inflationsproblematik wird für die Zentralbanken noch dadurch verschärft, dass die realwirtschaftliche Inflationsbremse zerstört ist.
Denn in einer gesunden Volkswirtschaft erreichen die Unternehmen aufgrund des technologischen Fortschritts Produktivitätsverbesserungen, die kontinuierlich kostendämpfend wirken. So können sie Kostensteigerungen auf lange Sicht und über die vielstufigen Wertschöpfungsketten ausgleichen.
Da jedoch in allen entwickelten Volkswirtschaften nach einem jahrzehntelangen Abwärtstrend nun eine Stagnation der Arbeitsproduktivität eingetreten ist, können sich die Unternehmen nicht mehr durch Produktivitätsverbesserungen vor Einkommensverlusten schützen, die sich infolge steigender Kosten ergeben.
Um ihre Profitabilität zu erhalten, müssen sie daher versuchen steigende Kosten auf andere abzuwälzen. So bleibt das wirtschaftliche Gefüge extrem anfällig für inflationäre Impulse. Immer wieder aufflammende Verteilungskämpfe in Form von inflationären Zweitrundeneffekten sind daher zu erwarten.
Geldpolitik in der Sackgasse
Die Zentralbanken der entwickelten Volkswirtschaften stecken daher tief in der Tinte und mit ihnen die Staaten und ihre Bürger.
Denn durch ihre Geldpolitik, die seit Jahrzehnten auf die Verhinderung und Dämpfung wirtschaftlicher Krisen ausgerichtet ist – und damit den Untergang der unproduktivsten Unternehmen dauerhaft verhindert hat –, haben sie zur Herausbildung einer Zombiewirtschaft beigetragen, in der auch die große Masse der besser aufgestellten Unternehmen nur noch marginale Produktivitätsfortschritte erreicht.
Dieses wirtschaftliche Gefüge, in dem die Unternehmen im Verhältnis zu ihrer Wertschöpfung immer weniger in neue Maschinen und Anlagen investieren, ist seit der Finanzkrise 2008 so fragil geworden, dass es seitdem immer extremerer geldpolitischer – und seit einigen Jahren zudem enormer fiskalischer – Mittel bedarf, um nicht in dauerhaft negativem Wachstum zu verharren.
Europa, aber auch die USA und Japan, sind inzwischen auf die massive Ausweitung von Staatsschulden angewiesen, um zumindest ein minimales Wachstum zu erzeugen und Wohlstandsverluste zu kaschieren.
Von der Finanzkrise 2008 bis unmittelbar vor dem Beginn der Corona-Krise im Jahr 2019 sahen die Staaten der Eurozone in immer stärkerem Umfang gezwungen, ihre dysfunktionalen Volkswirtschaften fiskalisch zu stimulieren.
In diesem Zeitraum mussten die Staaten der Eurozone ihre jährlichen Haushaltsdefizite auf durchschnittlich etwa 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) ausweiten und konnten doch nur ein reales Wachstum von durchschnittlich etwa 0,5 Prozent des BIP pro Jahr erreichen.
Auch in Deutschland beruht wirtschaftliches Wachstum inzwischen praktisch vollkommen auf schuldenfinanzierten staatlichen Ausgaben.
In dieser prekären wirtschaftlichen und fiskalischen Lage ist es den Zentralbanken – trotz der vielen markigen Worte mit denen sie ihre Entschlossenheit zur Inflationsbekämpfung beteuern und die dennoch nur dazu dienen die Inflationserwartungen zu dämpfen – nicht möglich, eine restriktive Zinspolitik zu verfolgen.
Sie müssen, so wie sie es seit Jahrzehnten tun, auch jetzt wieder alles dafür tun, um eine anstehende Rezession zu mildern und den Staaten den dafür notwendigen fiskalischen Spielraum verschaffen.
Indem sie eine Rezession vereiteln, können sie verhindern, dass die Staatsausgaben zur Rettung der Wirtschaft und Sozialsysteme noch weiter ausufern. Andernfalls droht eine wirtschaftliche Abwärtsspirale, in der insbesondere die Staaten der Eurozone, wie schon während der Eurokrise 2012, überfordert sein könnten.
Um also Schlimmeres zu vermeiden, muss die EZB versuchen den Notenbankzins im Verhältnis zu Inflation niedrig zu halten, so dass sie jedenfalls den Staaten eine Verschuldung zu negativen Realzinsen bieten kann. Sie kann die Inflation nicht wirksam bekämpfen und muss bauen, dass sie von selbst auf einem Niveau bleibt, das sie als tolerierbar verkaufen kann.
Die Zentralbanken, insbesondere aber die EZB, können also nur hoffen, dass die Inflation nicht infolge von Zweitrundeneffekten aus dem Ruder läuft. Andernfalls könnten sie, um die Nachfrage zu dämpfen, doch zu Zinsschritten gezwungen sein, die eine tiefe Rezession auslösen würden. Dann könnte der nun beginnende Seiltanz zwischen Inflationstoleranz und dauerhafter wirtschaftlicher sowie fiskalischer Stimulierung in einem Absturz enden.
Mehr von Alexander Horn lesen Sie in seinem aktuellen Buch "Die Zombiewirtschaft – Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden" sind mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.