"Zeremonienmeister des Terrors"

Das deutsche Außenministerium will "mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln" die Taliban-Propaganda bekämpfen

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Mit Falschmeldungen versuchten die Taliban über die deutschen Geiseln in Afghanistan die Bundesregierung unter Druck zu setzen. Das Auswärtige Amt will nun im "Medienkrieg" selbst offensiv werden. Außenamtssprecher Martin Jäger nannte die Taliban am Donnerstag "Zeremonienmeister des Terrors" und warnte vor Propaganda, mit der die Rebellen gezielt versuchten, Verunsicherung zu schaffen. "Dem müssen wir mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln begegnen." Der Kampf wird nicht leicht werden - auch Jäger räumte ein, die Taliban seien Medienprofis geworden.

Die Rebellen schaffen es oft mit geringen Mitteln, international die Schlagzeilen zu erobern - wie in der Bundesrepublik, als ihr Sprecher Kari Jussif Ahmadi mit Anrufen bei Nachrichtenagenturen die Falschmeldung lancierte, die beiden verschleppten deutschen Ingenieure seien von den Aufständischen erschossen worden. "Man muss sich vorstellen: Da sitzt ein Mann mit Bart und Mobiltelefon im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet und schafft es, mit wenigen Anrufen am Samstagvormittag ganz Deutschland in Aufregung zu versetzen", empörte sich Jäger im ARD-Morgenmagazin.

Genau so allerdings funktioniert der Propaganda-Apparat der Taliban. Satellitentelefon und Handy sind für Ahmadi - neben der Homepage, auf der die Rebellen "Nachrichten" vom Schlachtfeld und andere Propaganda veröffentlichen - die wichtigsten Arbeitsmittel. Ein festes Büro hat er aus nahe liegenden Gründen nicht. Ahmadi ist für Journalisten per SMS-Kurznachricht mit Bitte um Rückruf erreichbar oder meldet sich eigenständig. Meist sind seine Telefone ausgeschaltet, um eine Ortung durch Militärs zu erschweren.

Die Afghanistan-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, Citha Maass, hält die Äußerungen des Auswärtigen Amts für übertrieben. Die Einschätzung, dass die Taliban in Deutschland einen „Krieg der Worte“ um die öffentliche Meinung führen, komme ihr "etwas zu hoch vor", sagte sie dem Deutschlandradio. Zudem würden alle Kriegsfraktionen die Medien nutzen. Die Taliban hätten zwar in Afghanistan Einfluss, aber kaum in Deutschland: "In Deutschland werden Informationen über westliche Medien verbreitet. Und da haben die Taliban oder Al Qaida einen geringen Einfluss.“ Überdies würde sie von seriösen Journalisten erwarten, dass sie Informationen überprüfen oder mit einer Bewertung versehen, sie aber nicht "einfach live übertragen". (fr/tp)

Zwei von Ahmadis Vorgängern sind trotz Vorsichtsmaßnahmen der Rebellen gefangen genommen worden. Das hinderte die Taliban nicht daran, bei ihrer Medienarbeit immer professioneller zu werden. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001 herrschte lange Zeit Funkstille. Erst im Jahr 2004 begann der damalige Sprecher Abdul Latif Hakimi, Telefoninterviews zu geben. Im Jahr 2005 strahlte eine mobile Station die "Stimme der Scharia", den alten Taliban-Radiosender, zumindest vorübergehend wieder aus. Dann entdeckten die Rebellen das Internet. Im März wurde ihre von der pakistanischen Islamisten-Hochburg Peshawar aus betriebene Homepage "Stimme des Dschihad" gesperrt, die Taliban wichen auf Alternativadressen aus.

Seit Monatsbeginn ist die alte Internetseite wieder in Betrieb. Die dort verbreiteten Meldungen sind meist ebenso zweifelhaft wie Ahmadis Aussagen zur Entführung der Deutschen. Opferzahlen bei den internationalen Truppen sind auf der Homepage häufig überzogen und die der eigenen Kämpfer zu niedrig, angebliche Fakten sind verdreht oder ganz falsch. Manchmal aber stimmen die Angaben doch - ohne den meist schwer zu führenden Beweis des Gegenteils ist das kaum zu prüfen. Die Taliban wissen diese Unsicherheit zu nutzen, um sich Gehör zu verschaffen, und sie agieren dabei geschickt.

Als schon sehr wahrscheinlich war, dass die überlebende deutsche Geisel sich nicht in der Gewalt der Rebellen befand, meldete sich Ahmadi trotzdem per Telefon. Er betonte, der Mann sei immer noch in der Hand der Taliban, ihm gehe es schlecht. Und er wandte sich mit seiner Forderung nach einem Truppenabzug erstmals ausdrücklich an den Bundestag, der im Herbst über eine Fortsetzung der Mandate abstimmt. In den meisten Staaten entscheidet die Regierung, nicht das Parlament, über einen Einsatz der Streitkräfte. Zumindest die Führungsriege der Taliban ist also gut informiert.

Das haben schon andere Regierungen als die deutsche zu spüren bekommen. Ziel der Taliban ist es, die öffentliche Meinung im Westen so lange zu beeinflussen, bis einer der Truppensteller aus Afghanistan abzieht - und so womöglich einen Domino-Effekt auslöst. Paris sah sich im April durch die Geiselnahme von zwei Franzosen während des Präsidentschaftswahlkampfs genötigt, zumindest einen langfristigen Einsatz in Frage zu stellen. Noch vor den Franzosen hatten die Taliban im März den italienischen Journalisten Daniele Mastrogiacomo verschleppt. Kurz darauf stand die Entscheidung der Abgeordnetenkammer in Rom über eine Verlängerung des in Italien umstrittenen Afghanistan-Engagements an.

Mastrogiacomo kam frei, die Italiener sind weiter in Afghanistan. Aber Regierungschef Romano Prodi übte so lange Druck auf den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai aus, bis der einem Handel zustimmte. Fünf Taliban-Anführer wurden im Tausche gegen Mastrogiacomo aus afghanischer Haft entlassen. Einer davon ist der neue Militärchef der Rebellen, Mansur Dadullah. In einem vom britischen Sender Channel 4 ausgestrahlten Interview ruft er nun zu massenhaften Geiselnahmen auf: "Ich befehle all meinen Mudschaheddin, Ausländer jeglicher Nationalität zu entführen, wo immer sie sie finden mögen." (dpa)