Zitier mich oder vergiss es!
Seite 2: Planwirtschaftliche Fehlentwicklungen in der Wissenschaft
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Die allgemeinere Moral von der Geschichte ist meiner Meinung nach aber, wie die Kontrolle von Output-Kennzahlen und der Wettbewerbsdruck Menschen korrumpiert: Wie in einer Planwirtschaft, die beispielsweise die Produktion von einer Million Schrauben vorschreibt, wird dann zwar vielleicht die gewünschte Menge geliefert - ob aber die Schrauben dann auch passen und hinreichend Lasten tragen, ist eine andere Frage. Insofern kommt auch in der Wissenschaft durch die Fetischisierung der Quantität eben vor allem das heraus: Masse statt Klasse.
In der neuen Nature wurde nun gar der Vorschlag diskutiert, Forscherinnen und Forschern eine Wortobergrenze aufzuerlegen (Wortobergrenze für Wissenschaftler?). So könne man die Leute dazu bringen, wieder mehr auf Qualität als Quantität zu setzen.
Anstatt das strukturelle Problem zu lösen, das uns Wissenschaftspolitik und -Management vorsetzen, wird so dem Individuum wieder eine zusätzliche Pflicht aufgebürdet: Wähle deine Worte bedachtsam, denn sie sind in deiner Laufbahn begrenzt. Meiner Meinung nach würden dann aber am Anfang der Karriere, wenn der Leistungsdruck am höchsten ist, immer noch zu viele Worte publiziert, und hätten diejenigen, die es auf eine feste Stelle schaffen, eine gute Ausrede, um auf dem Golfplatz zu stehen, statt im Labor oder in der Universität: "Sorry, ich habe meine Wortobergrenze erreicht."
Druck vom Kessel nehmen
Ich bin persönlich der Meinung, dass viele Kolleginnen und Kollegen nach bestem Wissen und Gewissen arbeiten - aber dass die heutige Struktur des wissenschaftlichen Publikations- und Bewertungswesens nicht darauf ausgelegt ist, das Beste in den Menschen zu wecken, liegt auf der Hand. Daher wird es auch wenig bringen, immer längere Verhaltenskodizes oder Ethikrichtlinien zu verabschieden. Schlaue Leute unter Erfolgsdruck finden dann eben andere "kreative Lösungen" für das Problem.
So könnte man auch fragen, ob (ausufernde) Selbstzitationen - also das Zitieren der eigenen Arbeiten - tadelnswerte Praktiken sind, die sowohl Impact Factor als auch h-Index in die Höhe treiben; dabei sind mir noch Kollegen aus einer älteren Generation begegnet, für die eine Selbstzitation unter ihrer Würde war. Mit diesem Maßstab hätte man heutzutage einen Wettbewerbsnachteil.
Über kurz oder lang wird man nicht darum herumkommen, Druck vom Kessel zu nehmen, was auch zu besseren Arbeitsbedingungen führen würde (Worum geht es in der Wissenschaft?); oder man wird sich eben daran gewöhnen müssen, dass es in der Wissenschaft faule Schrauben gibt.
Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.