Zu Tode erstarrt im Netz der ewigen Neinsager
Seite 4: Langzeitarbeitslose - Augenwischerei und geschönte Zahlen
- Zu Tode erstarrt im Netz der ewigen Neinsager
- In Deutschland gibt es heute eine besonders große Zahl von starken Vetogruppen
- Hartz IV und die Nutznießer der sozialen Misere
- Langzeitarbeitslose - Augenwischerei und geschönte Zahlen
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Arbeitslose durch niedrigere Sozialleistungen und Sanktionen, schneller wieder in Jobs zu bringen, war die Rechtfertigung für die Hartz-IV-Reform. Doch die Dauer von Erwerbslosigkeit hat sich auch nach der Reform nicht verändert.
In einer Untersuchung mit Hilfe von repräsentativen Daten des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP) verglichen Leipziger Wissenschaftler die Dauer von Arbeitslosigkeit vor und nach der Einführung von Hartz IV. Danach dauerte die Erwerbslosigkeit im alten Arbeitslosen- und Sozialhilfesystem durchschnittlich 12 Monate. Nach einem Jahr hatten 49 Prozent der Arbeitslosen wieder einen Job oder standen aus anderen Gründen - Rente, Aus- und Weiterbildung - dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. In den Folgejahren sank die Arbeitslosigkeit noch einmal um 20 und um 11 Prozentpunkte. Nach vier Jahren waren noch 13 Prozent arbeitslos.
So ähnlich fallen die Zahlen für die Zeit nach der Hartz-IV-Reform aus. Arbeitslosigkeit dauerte im Mittel 13 statt 12 Monate. Nach einem Jahr war für 50 Prozent der ALG-II-Bezieher die Arbeitslosigkeit vorbei. In den Jahren danach sank die Erwerbslosigkeit noch einmal um 20 beziehungsweise 10 Prozentpunkte. Nach vier Jahren waren 16 Prozent weiterhin arbeitslos.
Das Fazit der Wissenschaftler: Bereits die Diagnose für die Hartz-Reform war grundfalsch. Armut und Bezug von Sozialhilfe sind überhaupt kein Langzeitphänomen. Die Verweildauer im Transferleistungsbezug war vor und ist nach der Hartz-Reform "überwiegend relativ kurz".
Das Problem, um das es der Hartz-Reform zentral ging, existierte überhaupt nicht oder es ist nicht gelungen, die Arbeitslosigkeitsdauer weiter zu reduzieren. Stattdessen verweisen sie auf die Folgekosten der Reform: die Zunahme von sozialer Ungleichheit und Armut trotz Arbeit. Wenn aber dadurch gegen "gesellschaftlich breit geteilte Gerechtigkeitsvorstellungen" verstoßen worden sei, stehe den Kosten der Reform kein Nutzen gegenüber.
Um die Sparpläne der Bundesregierung einzuhalten, kürzen die Jobcenter ausgerechnet bei den halbwegs erfolgreichen Förderinstrumenten, etwa bei der Weiterbildung. Dafür fließt sehr viel mehr Geld in Maßnahmen, die den Betroffenen wenig bringen, aber viele Arbeitslose vorübergehend aus der Statistik verschwinden lassen, beispielsweise die "AktivCenter".
Theoretisch erhalten die Teilnehmer in Aktivcentern die Gelegenheit, Handlungskompetenzen aufzubauen, die eine Beschäftigungsaufnahme oder Qualifizierung erleichtern sollen. In der Praxis werden sie nach übereinstimmenden Berichten von Teilnehmern mit sinnlosen Tätigkeiten gelangweilt, damit sie über einen längeren Zeitraum nicht in der Arbeitslosenstatistik erscheinen.
Wiederum geht es - wie so oft - um Augenwischerei und geschönte Zahlen. Und das ist eigentlich eine Ungeheuerlichkeit: Für wirklich Bedürftige ist wenig Geld da, dafür aber umso mehr für das Fälschen von Statistiken, mit denen die Politik bella figura zu machen glaubt.
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde für eine Menge für Langzeitarbeitslose getan. Insgesamt 6,6 Milliarden Euro gab der Bund 2010 aus, um Hartz-IV-Empfänger fortzubilden. Es gibt den "Kommunal-Kombi" und die "Mobilitätsförderung", die "Bürgerarbeit" und die "Arbeitsgelegenheit", die "Eignungsfeststellung" und das "Einstiegsgeld". Doch Fachleute wie Jens Regg, Geschäftsführer bei der Bundesagentur für Arbeit in der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg, konstatieren ernüchtert: "Wir haben zu 80 Prozent Blödsinn finanziert."2
Auch das System der Ein-Euro-Jobs ist längst aus dem Ruder gelaufen. Ursprünglich waren die dafür gedacht, Langzeitarbeitslose unter "weicheren Umständen" wieder an den Rhythmus des Arbeitstags und die Erwartungen des Arbeitsmarkts an ein gewisses Maß an Arbeitsdisziplin gewöhnen und so die Verwertbarkeit der Arbeitskräfte für Arbeitgeber wieder herstellen. So sollten die Betroffenen Personen für eine Einstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt wieder attraktiver gemacht werden.
Doch heute gibt es rund 320.000 Ein-Euro-Jobs. Auch für die gilt, dass sie vorübergehend die amtliche Statistik aufbessern, weil sie nicht als arbeitslos geführt werden. Doch nach ein paar Monaten stehen die meisten wieder beim Jobcenter. Und auch hier gilt das eherne Prinzip der Problemlösung in entwickelten Demokratien: Der Schein ist wichtiger als das Sein, die Kosmetik wichtiger als die dahinter stehende Wirklichkeit. Das politische Handeln ist Teil des Showgeschäfts.
Die Bundesagentur für Arbeit konstatierte selbst, dass 2010 nur noch 14,3 Prozent der Ein-Euro-Jobber hinterher in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis unterkamen. 2009 hatte die Eingliederungsquote noch bei 16,8 Prozent gelegen. Der Bundesrechnungshof in einem Prüfbericht: "Messbare Integrationsfortschritte waren nicht erkennbar."
Als Hartz IV in Kraft trat, sollte es den Fürsorgestaat schlanker und effizienter machen. Doch das Gegenteil trat ein. Die Bundesagentur für Arbeit ist heute Europas größte Behörde mit fast 120.000 Beschäftigten.
Man sollte die grundsätzliche Reformunfähigkeit der Politik im Spätstadium der Demokratie nicht unterschätzen. Da steht nicht irgendein entlegenes und relativ bedeutungsloses Sachgebiet zur Diskussion, bei dem es ganz nett wäre, wenn sich daran ein wenig ändern ließe. Zur Debatte steht die Zukunftsfähigkeit dieses Landes, und die ist schon seit Jahren extrem gefährdet.
Doch im Endstadium der repräsentativen Demokratien hat sich das Klima des Umgangs der Politiker mit den Steuerzahlern verändert. Die Politiker haben die öffentlichen Hände in einem so dramatischen Maße zu Grunde gewirtschaftet, dass die breite Bevölkerung sie nur noch als anzapfbare Geldquelle interessiert und nicht etwa als Menschen, deren gemeines Wohl sie mehren sollten. So rotten sich die Politiker immer entschlossener gegen die eigene Bevölkerung zusammen.