Zukunft der Deutschen Bahn: Welche Folgen ihre Zerschlagung haben könnte
Vorstoß der Unionsparteien sorgt für geteiltes Echo. Gegner warnen vor britischen Verhältnissen, Fürsprecher hoffen auf Verkehrswende. Das sind die Hintergründe.
Angesichts der Endlosmisere bei der Deutschen Bahn (DB) plädiert die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag für eine Zerschlagung des Staatskonzerns. Ein Positionspapier, über das am Montag die Augsburger Allgemeine berichtete, sieht vor, die Sparten Netz, Bahnhöfe und Energie aus dem Unternehmensverbund herauszulösen und in einer Infrastrukturgesellschaft in Bundeshoheit zu bündeln.
In der DB-Verfügungsgewalt sollen demnach lediglich die rollenden Abteilungen verbleiben, also Nahverkehr, Fernverkehr sowie der Gütertransport. Allerdings müssten diese Bereiche zusätzlich verschlankt werden, wie der CSU-Verkehrsexperte Ulrich Lange der Zeitung mitteilte. "Die Holding der Deutschen Bahn und ihre unzähligen Beteiligungen und Tochtergesellschaften werden aufgelöst."
InfraGO in Vorbereitung
Das Konzept, das die Abgeordneten der Union Ende April beschließen wollen, ähnelt den Plänen der Ampelregierung. In ihrem Koalitionsvertrag hatten SPD, Grünen und FDP angekündigt, die Einheiten DB Netz, DB Station und Service zu einer "neuen, gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte" zusammenzulegen. Im vergangenen Februar stellte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) erste Eckpunkte des Projekts vor und terminierte den Start der neuen Sparte mit Namen "InfraGO" auf den 1. Januar 2024.
Im Unterschied zu den Konservativen wäre der Energiesektor von der Ausgliederung ausgenommen und anders als Rot-Grün-Gelb spricht sich die Union klar gegen einen Verkauf der international tätigen Logistiktochter DB Schenker aus. Diese gehöre auch weiterhin in Besitz des Bundes, "das ist gerade mit Blick auf Mitbewerber wie China von strategischer Bedeutung", heißt es in besagtem Entwurf.
Die Pläne, die Infrastruktur komplett aus dem Konzern herauszunehmen, aber DB Schenker nicht verkaufen zu wollen, kritisierte die Initiative "Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene". In einer am Montag veröffentlichten Erklärung heißt es:
Wenn dann noch – wie von CDU/CSU vorgeschlagen – Schenker nicht verkauft werden soll, hätten wir das folgende Ergebnis: Bereits 2022 machte der Anteil von Schenker an Konzern DB AG 49 Prozent des Umsatzes aus. Ohne die Infrastrukturgesellschaften wären das Auslandsgeschäft und das Nicht-Bahn-Geschäft absolut vorherrschend im DB-Konzern. Dominieren würden dann zu mehr als zwei Dritteln Schifffahrt, Luftfahrt und der Straßenverkehr – also exakt diejenigen Verkehrssektoren, die das Klima in besonderem Maß belasten.
Die augenscheinlich größte Differenz zwischen dem Vorhaben der Bundesregierung und den Plänen der Unionsparteien betrifft indes die Frage, wie die fragliche Infrastruktur-GmbH aufgestellt sein soll. Während die Ampelparteien diese unter dem DB-Dach als "integriertem Konzern" verorten wollen, wünschen sich CDU/CSU eine Gesellschaft in Bundeseigentum, die DB-unabhängig agieren könnte. "Ein großer Vorteil der neuen, schlanken Struktur wird sein, dass der Bund künftig nicht nur vorgeben kann, welche Strecken neu zu bauen oder zu modernisieren sind, sondern seine Vorgaben auch umgesetzt werden müssen", bemerkte dazu Lange.
Zerfall in CSU-Regie
Derzeit verdient die Deutsche Bahn praktisch kein Geld mit der Beförderung von Personen und Gütern, sondern vor allem mit den hohen Trassengebühren, die Konkurrenzunternehmen für die Nutzung des Netzes entrichten müssen.
Allerdings werden die Einnahmen seit Jahrzehnten nicht im erforderlichen Umfang in die Instandhaltung und Modernisierung von Schienenwegen und Bahnhöfen investiert. Oder anders: Man hat das System Bahn systematisch verrotten lassen, wobei die Politik dem Treiben praktisch tatenlos zugesehen hat – verkörpert auch durch vier Bundesminister mit CSU-Parteibuch (Peter Ramsauer, Alexander Dobrindt, Christian Schmidt, Andreas Scheuer).
Dass allein durch die propagierte "Gemeinwohlorientierung" die Weichen neu gestellt werden, erscheint deshalb längst nicht ausgemacht. Kritiker wie die vom Bündnis "Bahn für Alle" sehen darin vielmehr eine Nebelkerze, die über weiter reichende Zerschlagungs- und Privatisierungspläne hinwegtäuschen soll. Der Niedergang der Bahn wäre demnach nur ein Akt schöpferischer Zerstörung, mit dem Ziel, am Ende die Privaten den Karren aus dem Dreck ziehen zu lassen.
"Die Unionsparteien fordern einen Umbau der Bahn nach britischem Vorbild", beklagte am Montag Bündnissprecher Carl Waßmuth in einem Pressestatement. "Statt am besten Bahnsystem in Europa, dem der Schweiz, sollen wir uns am schlechtesten orientieren."
Tatsächlich hat sich die Ampel per Koalitionsvertrag ausdrücklich dazu bekannt, die Eisenbahnverkehrsunternehmen "markt- und gewinnorientiert im Wettbewerb" weiterzuführen. "Bahn für Alle" nennt es "Doppeldeutigkeit", wenn einerseits die Trennung von Netz und Fahrbetrieb gepriesen und andererseits das hohe Lied auf den Wettbewerb gesungen werde.
Gelb-grüne Privatisierer
"Gleichzeitig trennen und nicht trennen geht nicht", monierte Waßmuth. Die Unklarheit räche sich nun, indem CDU und CSU den Finger in die Wunde legen und sich "um eine inoffizielle Jamaika-Koalition in Sachen Bahn" bewerben würden, "eventuell bis hin zu einer Grundgesetzänderung".
Eigentlich präferieren FDP und Grüne eine viel radikalere Lösung bis hin zu einer Privatisierung des Staatskonzerns, was der SPD-Basis und den Gewerkschaften schwer vermittelbar ist. Die Sozialdemokraten müssten jetzt "Farbe bekennen", bekräftigte Waßmuth. "Statt die Bahn zu zerschlagen und auch den Fernverkehr der Privatisierung preiszugeben, muss endlich im Sinne des Klimaschutzes gesteuert werden."
Das entspricht der Haltung der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). "Die Eisenbahnfamilie lässt sich nicht für Wettbewerbswahn und eine falsche Verkehrspolitik zerschlagen", erklärte heute der Bundesvorsitzende Martin Burkert. Durch eine Trennung von Netz und Betrieb gingen Synergieeffekte verloren und entstünden "zahlreiche neue Schnittstellen". Struktur- und Rechtsformdebatten dürften die Eisenbahnbranche nicht auf Jahre lähmen und Ressourcen binden, "Zeit, die wir angesichts eines ungebremst fortschreitenden Klimawandels nicht haben", so der Verbandschef.
Vorbild Autobahn-GmbH
Apropos: Als Vorbild dient der Union erklärtermaßen die "Autobahn GmbH des Bundes", die seit Jahresanfang 2021 die bis dahin in Länderzuständigkeit befindliche Verwaltung der Bundesfernstraßen innehat. Planung, Bau und Erhalt obliegen damit einer zentralen Bundesbehörde, die bisher vor allem damit auffällt, Unsummen für Doppelstrukturen zu verpulvern, Rechnungen nicht zu begleichen, die Beschäftigten auszulaugen und mit dem Straßenbau gerade nicht voranzukommen.
Überdies beklagen Gegner des Konstrukts, nur deshalb installiert worden zu sein, um die Privatisierung des Straßenbaus – insbesondere in Gestalt überteuerter öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP) – zu forcieren.
Die Idee dazu stammte von der sogenannten Fratzscher-Kommission, einem von Ex-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bestellten Zirkel aus marktliberalen Ökonomen und Vertretern der Finanzbranche unter Vorsitz des Chefs des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Der Auftrag lautete seinerzeit, hochprofitable Anlagemöglichkeiten für von Niedrigzinsen gebeutelte Banken und Versicherungen "zur Stärkung von Investitionen in Deutschland" ausfindig zu machen.
Zustimmung durch GDL und Pro Bahn
Könnte das die Blaupause für die "InfraGO" sein? Die Lokführergewerkschaft GDL und der "Fahrgastverband Pro Bahn" hegen offenbar keinen Verdacht. Beide Verbände halten den Vorstoß der Union für begrüßenswert. Der Ansatz, mit einem Schnitt die Infrastruktur herauszutrennen und dafür Sorge zu tragen, dass diese stärker vom Bund geführt und kontrolliert werde, "ist richtig", befand GDL-Chef Claus Weselsky im Mitteldeutschen Rundfunk (MDR).
Allerdings warnte er vor übertriebenen Hoffnungen. "Wir dürfen nicht ins Träumen geraten. Eine Verbesserung der Verhältnisse wird erst mit Milliardeninvestitionen aus Steuergeldern spürbar."
Detlef Neuß, Bundesvorsitzender von "Pro Bahn" sagte der Welt: "Dabei kommt es uns weniger darauf an, den Konzern DB AG zu zerschlagen, sondern darauf, sowohl das Netz als auch Station und Service in eine Gesellschaftsform zu überführen, die nicht gewinn-, sondern gemeinwohlorientiert arbeitet."
Eine Abfuhr gab es dagegen vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Von "altem Wein in neuen Schläuchen", sprach am Sonntag Bundesvorstandsmitglied Stefan Körzell. Seit Jahren werde zu wenig in die Schiene investiert, dem lasse sich auch nicht mit der Zerschlagung der chronisch unterfinanzierten Bahn beikommen. Jahrelange Strukturdebatten drohten die bestehenden Probleme eher noch zu verschärfen, als sie im Sinne der Kunden zu lösen. "Es muss endlich massiv in die Schiene investiert werden, nur so gelingt der Umstieg auf die Schiene, um die Klimaziele zu erreichen. Dafür sollte die Politik jetzt sorgen."
Wissing fährt auf Brummis ab
Ob Verkehrsminister Wissing dafür der richtige Mann ist? In der Vorwoche wurden Inhalte eines Berichts an den Verkehrsausschuss im Bundestag von vor Ostern publik, in dem sein Ministerium für eine Trennung von Klima- und Verlagerungszielen eintritt. Der bis dato unstrittige Ansatz, die gesteckten Klimaziele insbesondere durch eine großangelegte Übertragung des Personen- und Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene zu realisieren, hat für Wissing keine Gültigkeit mehr. Stattdessen müssten noch mehr Autobahnen gebaut und die Entwicklung von E-Lkw beschleunigt werden.
Eine komplett gemeinwohlorientierte Deutsche Bahn, wie sie sich "Bahn für Alle" wünscht, käme da natürlich ungelegen. Und so überrascht es auch nicht, dass Wissings Staatssekretär Michael Theurer (FDP) der Union die Hand reicht. Er verstehe den Vorschlag "als Gesprächsangebot, auch im Hinblick auf eine möglicherweise notwendige Zustimmung des Bundesrats". Ähnlich äußerte sich der Grünen-Verkehrspolitiker Stefan Gelbhaar: "Schön, dass die Union den massiven Handlungsbedarf bei der Bahninfrastruktur nach über einem Jahrzehnt CSU-Verkehrsminister endlich erkennt", sagte er.
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