Zum Elend politischer Selbstinszenierung
Plädoyer zur Verteidigung des Verteidigungsministers Guttenberg
Politik ist symbolisches Handeln. Nicht immer, aber oft genug, um uns jederzeit zu verunsichern, ob Politiker Probleme lösen oder Problemlösungen inszenieren. Primär zählen dann nicht die Inhalte, für die die Administration, die Verhältnisse, das Schicksal oder eben der liebe Gott zuständig sind. Wie einer das, was er vorfindet und zu oft nicht verändern kann, dann als gestaltbar behandelt, ist wesentlich für die Qualität des grassierenden Politikertyps. Eingesponnen in das Zwangssystem unabdingbaren Erfolgs sind sie alle. Also spricht auch der Wähler: Die schnöde Wirklichkeit muss sich dem Akt des politischen Willens unterwerfen.
Im Machbarkeitsfantasma sind sich Politiker aller Couleur gleich. Hier nun soll das Wesen der Politik liegen, so wesenlos bis unwesentlich Politik in Zeiten einer imperial agierenden Wirtschaft sein könnte. In dieser Parteien überschreitenden Herrschaftsform des Glaubens an sich an die eigene Botschaft verändern sich die Prioritäten. Das Image eines willensstarken, gut aussehenden Bescheidwissers entscheidet dann maßgeblich über die Qualität, die diesem Politiker und seiner Politik zugerechnet wird.
An dieser Front war der Verteidigungsminister bislang ganz vorne. Der alerte Guttenberg erscheint wie der coole Camel Man im Casual-Look vor seinen Militärs. Für die Jugend wird er per AC/DC-Pulli zum Rockliebhaber. Und auf dem eigenen Weg zum Polit-Rockstar wird selbst seine nicht weniger fabulöse Frau zum Fan, wenn sie in amerikanischer Manier ein T-Shirt mit seinem Konterfei trägt. Und schließlich greift er auch für die Patrioten zum bayerischen Nationalschal. Wie es halt gerade so kommt, wenn Mann so durch und durch populär und medienauthentisch sein will.
Politische Höllenfahrt des Barons?
Dieser obamagleiche Politiker ist also unbedingt wählbar. Die Fabelhaftigkeit seiner Erscheinung sollte irgendwann zur Kanzlerschaft mal reichen - so pflichtschuldigst man solchen Ehrgeiz bis zum Beweis des Gegenteils bestreitet. Der Opposition fehlen diese Strahlemänner, was spätestens hier klar macht, dass die Mobilisierung von Ressentiments zur Chefsache wird. Das ist für einen seriösen Politikbegriff ein armseliges Geschäft, selbst wenn die Vorwürfe substantiiert sind.
Guttenberg ist oder war ein ernstzunehmender Gegner im mediendemokratischen Brackwasser. Als amtlich zertifizierter Plagiator würden indes Hypotheken aufgenommen, die noch Jahre später schmerzen dürften. Der Blick auf die nun ausgerollten Synopsen von Fremdtext und Dissertation ist eine Mordsgaudi, weil das Netz seit je die Supersynopse einer alexandrinischen Bibliothek sein will. Erleben wir also jetzt den "highway to hell", die politische Höllenfahrt des Barons, die für AC/DC-Fans zwingend dazu gehört?
Wissenschaftliches Ethos heißt üblicherweise zu forschen und die Riesen (oder oft genug die Zwerge), auf deren Schultern man steht, zu benennen. Guttenberg hat das wohl nicht so genau genommen. In der ersten Runde des Schlagabtauschs bezeichnet er die Vorwürfe als "abstrus". Diese Vorausverteidigung könnte töricht gewesen sein. Aber ist er hier nicht dem approbierten Advokaten-Prinzip des Polit-Profis treu geblieben, das weder seine Erfindung noch sein Privileg ist: "Alles behaupten, was einem nützt, alles bestreiten, was einem schadet."
Nur lächeln muss man selbst
Als Guttenberg seine Dissertation schrieb, war das nicht seine zentrale Kampfzone. So eine Dissertation ist ohnehin nicht mehr als eine Krawattennadel auf Brüsten, die bis zum Karriereende noch mit zahlreichen Verdienstorden unterschiedlichster Art und Güte behängt werden. Das rechtfertigt keinen Aufwand, der einen vom Hauptgeschäft abhalten darf. Für Adelsprädikate muss man ja auch nicht arbeiten. Also sollte so ein wissenschaftliches Kleinod im stressigen Alltagsgeschäft ohne allzu viel Schweiß errungen sein – zudem es ja keiner wissenschaftlichen Karriereplanung dient.
Wenn einer regiert, kann er das nur erfolgreich tun, wenn er seine Mitarbeiter, Helfer, Referenten, "Mädchen für alles" und ggf. Leibeigene hat. Nicht nur das siebentorige Theben, Bertolt Brecht zu folgen, sondern auch der Papierkram der Jahrtausende ist ein ödes Delegationsgeschäft – nur Lächeln muss man selbst. Du hältst Reden, die du nicht geschrieben hast. Du unterzeichnest Texte, deren Inhalt du nicht oder nur teilweise versteht. Warum dann eigentlich nicht Dissertationen? Du redest ständig über Dinge, deren Folgen du nicht ermessen kannst.
Das ist kein Fehler oder Alleinstellungsmerkmal Guttenbergs, das ist das Fundament unserer so und nicht anders funktionierenden Demokratie. Ohne deine Staatssekretäre, ohne Referenten, ohne Apparat bist du ein "nullum". Am Rande bemerkt: Von Helmut Kohl geht die Rede um, dass einer seiner Referenten ihm sogar heimlich die Nervennahrung Marzipan zusteckte.
Es braucht Meriten, um als Mediendemokrat erfolgreich zu sein, was das Verhältnis von Mediendemokratie zur Meritokratie inzestuös erscheinen lässt. Da fügt sich eins zum anderen, nicht nur Titel sprudeln aus vielen Quellen. Ein Mosaik des Erfolgs setzt sich aus zahlreichen Karrieremomenten zusammen, um als der Held dazustehen, den man repräsentieren will – selbst und gerade auch dann, wenn man nur ein Würstchen wäre. Dieses Geschäft der Selbstinszenierung ist keine politische Nebensache. Wir reden von den "essentials", vom Mark der Parteiendemokratie.
Insofern hat Guttenberg nur das getan, was alle tun. Mehr oder - diesmal wohl – weniger geschickt. Der Bluff kann einen allerdings teuer zu stehen kommen, weil das schizophrene Gesetz der Medieninszenierung heißt: Du sollst jederzeit tugendsam erscheinen, auch wenn wir alle wissen, dass diese Aufgabe selbst Herkules nicht lösen könnte. Du sollst besser sein als wir, sonst wählen wir dich nicht. Dabei ist die Bereitschaft des Wählers zur Selbsttäuschung unerschöpflich. Habe Mut, dich deiner eigenen Dummheit zu bedienen: Beim Geschacher um Ministerposten gehen Wählern die Augen über, wie weit menschliches Ingenium reicht.
Guttenberg hat sich in der Wissenschaft nur geleistet, was in der Politik die Eingangsvorausetzung ist
Ob Wirtschaft, Finanzen, Arbeit, Familie oder Verteidigung - man nimmt, was man kriegen kann, weil man alles beherrscht. Das ist die lautere Wahrheit: Denn die Rhetorisierung des Ressorts ist cum grano salis immer derselbe Job. Während in allen anderen Bereichen der Gesellschaften Qualifikationen groß geschrieben werden, Bewerbungsinquisitionen durchlitten werden müssen, wird ganz oben freischwebend gehandelt. Also hat sich Guttenberg auch in der Wissenschaft nur das geleistet, was in der Politik die Eintrittsvoraussetzung ist.
Wenn der Minister an diesem Skandal scheitert, bestätigt sich die Gesellschaft nur ihre eigene Verlogenheit, die Tugend von Politikern einzufordern, während dieselbe Gesellschaft weiß, dass Tugend nicht unser primärer Betriebsstoff ist. Härter formuliert: Nicht der Politiker muss tugendsam sein, sondern allenfalls seine Politik, so wenig oft deren Inhalte anzugeben sind. Politik ist komplexes Handeln in einem bedingt durchschaubaren System. Die Qualitäten der Akteure sind nicht das herausragende Moment ausdifferenzierter Gesellschaften. Moderne gesellschaftliche Systeme erfüllen sich gerade in der Depersonalisierung politischer Angelegenheiten, was Politiker so austauschbar macht wie Zündkerzen.
Insofern wird der vorliegende Skandal zum Beleg einer animistischen Demokratie, die vom Amtsträger auf die Politik schließt und die Peripherie mit dem Zentrum verwechselt. "Ohne Moral kann Demokratie nicht überleben", ist so eine klassische, gerade wieder gehörte Klage, die letztlich übersieht, dass die gute, zumeist in der Gestalt der gut gemeinten, Moral so wohlfeil wie undefiniert ist. Gerade die Moral ist Teil des Inszenierungsgeschäfts von Politikern geworden, die sich in dieser argumentativen Nebelzone wohl zu fühlen scheinen.
Zwischen Inszenierungen und "Schummeln" liegen keine kategorialen Welten, was dazu aufrufen könnte, endlich den Unerträglichkeiten einer Image-Politik zu entsagen. Moral kann man nicht erfolgreich einfordern. Systemleistungen dagegen schon. Ob Herr Guttenberg nun als Plagiator in die Geschichte eingeht oder nicht, ist für die Frage, welche Kriege Deutschland führt, völlig gegenstandslos. Dass Herr Guttenberg austauschbar ist, gehört zum Kinderwissen einer Demokratie, die eben nicht von einmaligen Führern und anderen historischen Emanationen abhängig sein will. Man würde gerne noch spekulieren, ob auf die Dissertation nun die Desertion folgt, wenn einen nicht das klammheimliche Gefühl beschliche, dass diese Pointe auch nur plagiiert ist.