Zur Aussagekraft von Massentests bei COVID-19
Das Problem zur Aussagekraft von Massentests liegt in der Prävalenz (Infektionshäufigkeit), die immer noch verhältnismäßig gering ist
Bis jetzt ist die Testpraxis auf Covid-19 in Deutschland eher restriktiv. Zugelassen wird nur, wer sowohl mit verdächtigen Symptomen als auch über soziale Kontakte mit einem erhöhten Risiko belastet erscheint. Hier wird erläutert, mit welchen Ergebnissen zu rechnen wäre, wenn Massentests auf Covid-19 oder entsprechend umfangreiche Antikörpertests durchgeführt werden sollten. In China scheinen derartige Pläne bereits auf dem Tisch zu liegen. Das Problem beginnt damit, dass "positiv getestet" nicht "positiv" bedeutet. Der Unterschied wird durch zwei Parameter spezifiziert:
Sensitivität = Wahrscheinlichkeit, als positiv getestet zu werden, falls man positiv ist.
Sensibilität = Wahrscheinlichkeit, als negativ getestet zu werden, falls man negativ ist.
Beim Test auf eine Infektion per Nasen- bzw. Rachenabstrich schätzt Alexander Dalpke, Direktor des Instituts für Virologie der Technischen Universität Dresden, diese Parameter zwischen 97 und 98%.
Beim größten europäischen Hersteller von SARS-CoV-2 Tests, findet man unterschiedliche Formulierungen, die auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen können. Konkrete Zahlen gibt der Roche-COVID 19-Blog vom 20.4.20: "Studies have demonstrated that our test is able to detect very low levels of the SARS-CoV-2 virus with 95 percent certainty, and it does not detect other respiratory pathogens. We expect, based on previous experience with similar PCR technologies to detect viruses, that the frequency of false positives and false negatives will be low."
Weiterhin findet man im Informationsblatt zum cobas® SARS-CoV-2 Test unter der Rubrik Leistungsmerkmale: "Alle positiven Ansätze ergaben positive Ergebnisse, alle negativen Ansätze ergaben negative Ergebnisse. Es traten weder falsch-positive, noch falsch-negative Ergebnisse auf."
Beide Aussagen sind miteinander vereinbar, da die Aussagekraft statistischer Tests prinzipiell durch den Stichprobenumfang mitbestimmt wird. Die Entwickler bei Roche konnten aufgrund der begrenzten Datenmenge nur Schätzwerte von 95% erhalten, obwohl in der Testreihe weder falsch-positive, noch falsch-negative Ergebnisse beobachtet wurden. Ohne zusätzliche Messreihen müssen diese Werte als gegeben akzeptiert werden. Eine Verallgemeinerung der Testergebnisse auf "nahezu 100% Sicherheit“ ist irreführend.
Für Antikörpertests, die man in der Schweiz ohne Vorbedingungen auf eigene Kosten vornehmen lassen kann, führt eine Liste die Angaben einiger Hersteller auf. Die Zahlen variieren mehrheitlich zwischen 82 und 100%. Spitzenwerte bei 100% erscheinen verdächtig, wenn es sich um Tests auf eine neue Krankheit handelt. So erhielt die Bencard AG, eine Schweizer Niederlassung der Allergy Therapeutics Ltd (UK), ihre Parameter aus einer Stichprobe von nur 63 Personen, von denen 20 mit RT- PCR positiv und der Rest negativ getestet war:
Das Problem zur Aussagekraft von Massentests liegt in der Prävalenz (Infektionshäufigkeit), die immer noch verhältnismäßig gering ist. Auf der Webseite cov19de findet man den Wert 2,087 x 10-3 (2087 Infizierte pro Million Einwohner; Stand 13.5.2020). Selbst unter Annahme einer 20fachen Dunkelziffer (Prävalenz p=0,04174) und optimistischen Güteparametern von 0,98 für Sensibilität und Sensitivität verliert die Aussage eines undifferenziert durchgeführten Tests stark an Wert.
Wie die untenstehende Rechnung zeigt, beträgt die Wahrscheinlichkeit, bei einem positiven Testergebnis tatsächlich infiziert zu sein, weniger als 70%.
Illustrieren wir das obige Schema mit einem Zahlenbeispiel. Bei einer Bevölkerung von 80 Millionen Einwohnern werden 80 x 106 x 0,04174 x 0,98= 3.336.000 Personen korrekt als infiziert getestet, während 80 x 106 x 0,95826 x 0,02 = 1.533.000 gesunde Personen fälschlicherweise als infiziert eingestuft werden. Unter den als infiziert Getesteten ist die Wahrscheinlichkeit für eine Infektion also
Beträgt die Prävalenz "nur" das Zehnfache der offiziell bekannten Infektionszahlen (p=0,02087), so ist 1 - p = 0,97913. Damit ist ein korrekt positives Testergebnis lediglich mit der Wahrscheinlichkeit
zu erwarten. Man kann einem positiven Testresultat also mit fast derselben Wahrscheinlichkeit vertrauen, mit der man eine Münze wirft. Für die beteiligten Unternehmen wäre die Angelegenheit allerdings äußerst lukrativ. Allein zum Antikörpertest der Hälfte der deutschen Bevölkerung belaufen sich die Kosten beim Stückpreis von 100 Euro bereits auf 4,15 Milliarden Euro.
Dr. Raj Spielmann ist Mathematiker und Autor des Buches "Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik. Mathematische Anwendungen in Natur und Gesellschaft", das im Verlag Walter De Gruyter erschienen ist.
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