Zur Situation der Medienkunst in Slowenien und Ex-Yugoslawien
Versuch eines spezifischen Diskurses
Dieser Text ist ein Versuch der Künstlerin und Theoretikerin Marina Grzinic, Ljubljana, die Basis für einen spezifischen kritischen Diskurs über Kunst und neue Medien in Osteuropa im allgemeinen und Slowenien im besonderen zu finden. Der Krieg in Bosnien-Herzegovina liefert hierzu ebenso Ansatzpunkte wie die kreative Aufbruchsstimmung in Slowenien zu Anfang der achtziger Jahre, welche so international bekannte Ergebnisse wie "Laibach", NSK oder Borghesia hervorbrachte.
Anmerkung der Redaktion:
Der folgende Text wurde als Vortrag beim V2_East Meeting im Rahmen von DEAF96 in Rotterdam gehalten und in der hier präsentierten Version den Erfordernissen der schriftlichen Publikation leicht angepaßt.
Einleitung
Vor einigen Tagen las ich, daß ein elektronischer Taschenrechner einem kapitalistischen ebenso wie einem (post)sozialistischem Regime dienen kann. Wenn man bestimmten modernen Theorien folgt, dann leben wir in der besten aller Welten. Warum sollten wir also nicht einfach über ideologiefreie technische Werkzeuge sprechen können? Ich werde versuchen, zu zeigen, daß das nicht so ist. Ich möchte hier die künstlerischen, geschichtlichen, internen und externen Unterschiede und Ähnlichkeiten in den drei Zeitabschnitten der 70ger, 80ger und 90ger Jahre auf dem Gebiet der Video- und Medienkunst diskutieren, und zwar innerhalb jenes Territoriums, das einmal als Yugoslawien bekannt war. Nicht zuletzt möchte ich am Ende dieses Vortrages, nachdem ich einige der Charakteristika des Zustands der Medien aufgezeigt habe, einige allgemeine Hypothesen aufstellen. Ich hoffe, daß diese Hypothesen als Elemente eines zukünftigen spezifischen kritischen und sozialen Diskurses dienen können, der Bestandteil einer neuen Praxis in Kunst und elektronischen Medien sein wird, Bestandteil auch einer Art von Theorie, die es uns ermöglicht, den Zustand einer oft oberflächlichen und romantischen Berichterstattung zu überwinden, der in Bezug auf die Bedingungen der Medienkunst in Osteuropa herrscht und meist nicht einmal eine spezifische Geschichte ergibt.
Interpretationen, die nur in die Richtung der Erklärung nationaler oder ethnischer Besonderheiten gehen, verfehlen oder verhehlen absichtlich die Machtstrukturen hinter dieser voreingenommenen westlichen kulturellen Untersuchung (oder sollte ich sagen "Tourismus") der osteuropäischen Medienterritorien. Dieser Tourismus behauptet, wie Jean Fisher in seiner Definition westlicher Untersuchungspraktiken in nichtwestlichen Territorien erläutert, die Unterscheidung in westeuropäische - osteuropäische Kunstpraktiken und verschleiert die ökonomischen und politischen Machtbeziehungen. So können wir, wenn wir Fisher folgen, nicht von Gleichheit sprechen, da der diskursive und ökonomische Nutzen in den Händen des Westens bleibt.
Wir sollten hingegen in einen philosophischeren Dialog treten, wenn wir die tiefen Strukturen der "Ost"-europäischen Beziehungen zur Realität zur Frage erheben und die große Bedeutung der Medien und der visuellen Sprachen in einer derartigen Untersuchung. Um es noch deutlicher zu sagen, was ist eigentlich der Anstoß oder das Interesse der meisten Fälle von westlichem kulturellem Tourismus in Gestalt von "Untersuchungen" auf dem Gebiet der osteuropäischen Kultur? Ist es eine Prüfung des "Ostens" über Einhaltung der Menschenrechte und der Prinzipien der Unabhängigkeit, Gleichheit und Menschenwürde, so wie sie im Westen entwickelt wurden, oder, präziser, inwieweit diese Rechte im "Osten" erhalten und praktiziert werden?
Doch wir müssen uns fragen, ob diese Prinzipien der Autonomie, der Freiheit, des Humanismus ein besonderes Interesse des Westens in Bezug auf den Rest der Welt zum Ausdruck bringen, und, was noch wichtiger ist, ob diese Prinzipien heute noch gültig sind. Ich frage mich immer wieder, ob wir uns immer noch eine Zukunft vorstellen können, die sich an diese Prinzipien anlehnt, ohne den Krieg in Bosnien-Herzegovina mit in die Überlegungen einzubeziehen. Dieser Krieg hat die Glaubwürdigkeit aller grundlegenden, zivilen und legislativen Beziehungen in der Welt in der wir leben in Frage gestellt, nicht nur das Paradigma der Zukunft, sondern auch die grundlegende Annahme des "Humanismus" und die Rhetorik von Freiheit und Menschenrechten in der industrialisierten Welt.
Neben allem anderen bringt dieser Krieg eine Menge an neuen Beiträgen zur Theorie der Massenmedien, der alten und neuen Kommunikationstechnologien, zur Kunst der bewegten Bilder. Aus diesem Grund stellt der Krieg nicht nur die Rolle von gedruckter und elektronisch ausgestrahlter Information im Rahmen neuer Kriegsstrategien in Frage (indem die Differenz zwischen den Kriegen vor und nach Beginn des Fernsehzeitalters hervorgehoben wird), sondern auch die Methoden der Rekonfiguration von Kommunikations- und Informationstechnologien in einer technologisch entwickelten Umgebung (der Krieg in Bosnien/Herzegovina fand/findet in Europa statt). Dies kann, zynisch gesprochen, der erste Beitrag des Ex-Yugoslavischen Territoriums zu einer Konzeptualisierung des Medienverständnisses und -gebrauchs im Westen sein (Tschetschenien und Kurdistan soll dabei nicht vergessen sein).
Wie Heinz Kimmerle sagte, leben wir nicht nach dem Ende der Moderne, sondern in ihrem Enden.
Charakteristika der Bedingungen von Video- und elektronischen Medien auf dem Territorium von Ex-Yugoslawien
Es bleibt immer noch das Dilemma, wie Jean Fisher sagte, wie man seiner Weltsicht Ausdruck verleihen kann, mit all den widersprüchlichen kulturellen Verfaltungen aus denen sie besteht, ohne die kulturellen und historischen Besonderheiten des eigenen Hintergrunds zu betrügen, und ohne sich in den Zeichennetzen zu verfangen, die als eine Art exotischer Gebrauchsgüter nur zu leicht konsumierbar geworden sind. Vielleicht sollten wir von "kulturellem Ausdruck" nicht nur hinsichtlich der darüberschwebenden Ebene der Zeichen sprechen, sondern auch in Begriffen von Konzepten und Tiefenstrukturen:In anbetracht eines Werks beides berücksichtigen, die internen und externen Pfade, die seinen Zustand markieren und das, was seine verschiedenen ästhetischen Medienstrategien ausmacht.
Die achtziger Jahre auf dem Gebiet Yugoslaviens waren eine Zeit, in der sich eine neue Gewaltenteilung in der Manipulation der zeitgenössischen Realität etablierte. Den Werken, die aus der Sicht des "Auges" und für das "Auge" gemacht wurden, wurde mehr und mehr der Vorzug gegeben, mit anderen Worten, jenen Werken, die das Auge als Ausgangspunkt und Ziel haben. Dieser "Okkularzentrismus" zeigt sich an politischen, ebenso wie kulturellen und künstlerischen Ereignissen. Die gesamte Dekade hindurch konnten wir die fortschreitende Desintegration des aufmerksamen Auges der Authorität beobachten. Wir werden das besser verstehen, wenn wir eines der am meisten breitgetretenen Gerichtsverfahren in Slowenien wieder in Erinnerung rufen, bekannt als das Verfahren "der Vier", in dem es um vier Personen geht, die im Verdacht standen, 1988 geheime Armeedokumente gestohlen zu haben. Dieses Gerichtsverfahren kann als im exemplarischen Sinn "visuell" beschrieben werden: Die Anklageschrift gegen "die Vier" fand sich in keiner offiziellen Veröffentlichung, "die Vier" wurden nicht wegen Mißbrauch des Dokuments angeklagt, sondern allein für die Einsichtnahme in ein geheimes Armeedokument. In dieser ganzen Affäre spielten visuelle Medien und ihre High-Tech-Spielereien die entscheidende Rolle.
Deshalb können wir uns mit Video und elektronischer Medienkunst in Slowenien in den siebziger und neunziger Jahren nicht beschäftigen, ohne uns auf die achtziger Jahre zu beziehen. Zum einen sind sie bereits wieder vergangen, zum anderen aber, und das ist wichtiger, haben sie einen Kontext und Referenzen hinterlassen, die sich schicksalhaft in unsere Körper und Erinnerung eingeschrieben haben.
Die achtziger Jahre erlebten die Schaffung der wichtigsten Konzepte in der Kunst und im Kulturleben Sloweniens, und das Emporkommen einer neuen Generation (post)moderner und (post)sozialistischer Maler, Bildhauer, Fotografen, Modeschöpfer, Videokünstler, etc., die eine eindrucksvolle Zahl an Kunstprojekten lancierten. In den Achtzigern erlebte das Medium Video eine Renaissance in Slowenien. Das heißt nicht, daß wir von einer Geburt der Videokunst im gesamten Yugoslawien sprechen können. Es gab kein "Yugoslawisches Video" als solches, nur, seit den Achtzigern, Videoproduktionen, die aus individuellen Videowerkstätten in den urbanen Zentren der jugoslawischen Republiken stammten, z.B. aus Ljubljana, Zagreb, Belgrad, Skopje und Sarajevo. Die Unterschiede in den Produktionen dieser Zentren wurden von Kathy Rae Huffmans Präsentation 1989 im ARTISTS SPACE in New York unter dem Titel "Deconstruction, Quotation & Subversion" vorgestellt. Sie bezog sich auf "Videoproduktionen aus Yugoslawien", nicht "Yugoslawische Videoproduktionen". Folgerichtig ist dann der Übergang vom "Video aus Yugoslawien" zum "Video aus Slowenien", der beinahe über Nacht erfolgte, kein allzu schwieriger Schritt mehr. Desweiteren war in den Achtzigern die Videoproduktion in Slowenien so radikal verschieden von den Produkten lokaler Filmemacher, daß die Zuordnung "Slowenisches Video" in keiner Weise ein national vereinheitlichtes ästhetisches oder stilistisches Kriterium bezeichnet, sondern daß diese Zuordnung nahezu mit Besessenheit die kulturellen Werke eines Osteuropa im Niedergang regional zu "färben" versucht.
Das Ende der siebziger Jahre in Slowenien, gemeinhin als das "Ende der autoritären Regime" bezeichnet, markierte eine Wasserscheide für das, was bis dahin eine Leerstelle in der Kunst gewesen war. Das fiel zusammen mit dem Wachsen einer neuen Jugend-"Subkultur", Punk, der eine nicht kompromittierte und kritische Energie mit sich brachte, die sich fortan beweisen und das kreative Schaffen in den achtziger Jahren aufladen sollte. Punk Kultur und ihre künstlerischen Nebenprodukte lieferten die kreative Energie für eine Verschiebung der Schwerpunkte in der Kunst überhaupt. Punk konstituierte und legitimierte einen Raum für neue Kunstproduktion und garantierte einen relevanten Status für diverse Praktiken. Die verschiedensten gesellschaftlichen Prozesse wurden ermutigt und die Akzeptanz "abweichender" gesellschaftlicher und künstlerischer Realitäten erhöhte sich. Die verschiedensten neuen sozialen Bewegungen entstanden während der achtziger Jahre z.B. aus dem "Coming Out" männlicher Homosexueller und, etwas später, von Lesbierinnen. Ein "schwules Leben" erschien auf der subkulturellen Szene. Diese Erfahrung, daß Ljubljana nicht zuletzt auch auf die Landkarte "urbaner Zentren" gesetzt wurde, weil es eine Schwulen-Kultur hatte, bestätigte sich noch mit deren Wachsen und Ausdifferenzierung in den Neunzigern.
Die Anfänge der Renaissance im slownischen Video stehen in enger Verbindung zu dem Entstehen dieser subkulturellen Bewegungen in der Alternativ- und Jugendkultur. In diesem speziellen Licht sollten wir die Wiedergeburt des slowenischen Videos und von Videokunst sehen und verstehen. Video konnte sich in diesem Kontext sehr schnell ausbreiten, als ein Medium, das der Radikalität des Standpunktes der neuen Generation angemessen ist. Die Videoproduktion in den achtziger Jahren fand ein Zentrum in der Arbeit des "Studentischen Kunst und Kulturzentrums" (SKUC) und der "Studentenvereinigung für Kunst und Kultur" (SKD Forum). 1982 errichteten diese beiden Zentren zusammen eine Videoabteilung, welche die Basis für das spätere "SKUC Forum für unabhängige Videoproduktionen" bildete.
Nichtprofessionelles Video-equipment (VHS), seine einfache Handhabbarkeit, die Möglichkeit zur extrem schnellen Produktion und Reproduktion - die Wiederholbarkeit und Verfügbarkeit der Informationen - , all das machte Video zu einem der populärsten und radikalsten Medien der Generation der achtziger Jahre. Zugang zu Videoequipment wurde für sich genommen zum Status-symbol.
Die achtziger Jahre waren auch eine Wasserscheide für die Produktion in den bereichen Video und Medienkunst: Die Beziehung zwischen Video und Fernsehen veränderte sich, Musikvideos erlangten eine neue und spezielle Bedeutung, neue Viodeotechnologien wurden mit einer neuen Videoikonografie verbunden und neue Theorien zur Wahrnehmung von Videobildern entstanden. Im Endergebnis unterschied sich die Videokunst der Achtziger deutlich von der der Siebziger.
Was die Kunst betrifft, so entstand Ende der Siebziger eine Leere. Mit großem Erstaunen stellen wir heute fest, daß alles, was von Filmtheorie und Kritik als herber Mangel beklagt wird (Kritik, soziales Engagement, neue politische Themen, Experimente mit der Sprache des Films, mit visuellen Sprachen überhaupt, mit dem projizierten Bild, etc.) , in der Zeit der frühen achtziger Jahre in einem rivalisierenden Medium vorhanden war, im Video. Es war der neue Stil, den die Jugend favorisierte, der Stil von Punk und Subkultur, der unserer künstlerischen Welt neue Infusionen von Radikalität, Energie und Kritik verabreichte und damit neue ästhetische Werte etablierte. Die Etablierung eines neuen Stils des visuellen "Schreibens" in den neunziger Jahren ging durch eine Phase der bewußten visuellen Rekonfiguration einer "originär" sozialistischen und alternativen kulturellen Textur und Struktur, die in unzählbare explosive Kontraste mündete und in Serien "technischer Fehler", wie ich sie nenne, das Äußere und Innere, das Sexuelle und das Geistige, Ordnung und Unordnung, Konzeptuelles und Politisches, ursprüngliche und recycelte Räume und Zeitabläufe zusammen warf.
Trotz eines Produktionslochs, das, insbesondere seit dem Krieg 1991 gegen die Panzer der jugoslawischen Armee, in zunehmendem Ausmaß das Wachsen der Videoproduktion beeinträchtigt, und trotz der wirtschaftlichen Probleme in der Nachunabhängigkeitsphase (Slowenien wurde 1991 ein unabhängiger Staat) können wir sagen, daß Videokunst innerhalb der Kunstlandschaft Sloweniens ein eigenes Paradigma formt, dank des Reichtums an Strategien zur Visualisierung und Erzählung. Dieses Paradigma der Videokunst kann auch als eine neue Ökonomie des Sehens verstanden werden.
Die Strategien der Visualisierung betreffen insbesondere zwei Gebiete:
1.) das des Körpers in Verbindung zu Sexualität und zum "sozialen Körper" von Film und Fernsehmedien, und 2.) Geschichte und Politik.
Körper, Sexualität und der soziale Körper der Medien Film und Fernsehen
In den Achtzigern wurden wir Zeugen der Übersexualisierung des Mediums Video. Dies war nicht nur ein Reflex auf die Unterdrückung der Sexualität im Sozialismus sondern auch einer des Abrückens, der Distanznahme zu den medialen Schwestern Fernsehen und Film. Dieser Prozeß war einer der Externalisierung der Warnehmung von Sexualität, erlernt und übernommen von der Underground Film Tradition, gebildet durch Leute wie Fassbinder, Rosa von Praunheim, Warhol, etc., gezeigt in den Underground-Programmkinos von Ljubljana in den Achtzigern. Dieser Distanzierungsprozeß nahm die Form freizügigst dargestellter Pornografie und Geschlechterverwirrung (gender-bender) an, mit vorzüglich schwulen, lesbischen und transvestitischen sexuellen Haltungen. Dieser Prozeß kann einfach folgendermaßen erklärt werden: Die sexuellen Stereotypen und auch die Prototypen der Ausübung von Bürgerrechten wurden im und durch den Underground nicht nur konsumiert, sondern in Privatwohnungen und Schlafzimmern auch umgehendst vor einer VHS Kamera praktiziert.
Auf der anderen Seite existieren auch Videoarbeiten aus den frühen achtziger Jahren, die auf präzise Art die Produkte der Nationalen Fernsehstationen kopierten, auf welche die Kriterien der Selektion, Adaption und Montage angewandt wurden. Die Maskerade der Wiederaneignung gestattete nicht nur Antworten auf die einfache Frage der künstlerischen Identität zu finden, sondern auch in einen Verhandlungsprozeß mit multiplen Realitäten zu treten und kontinuierlich zweideutige und unausgewogene Situationen zu schaffen. Dadurch konnte sich ein spezifischer Synkretismus entwickeln, eine Annäherung weit entfernter Begriffe, die plötzlich in der Lage waren, die Positionen zu wechseln oder auch die Beziehungen, je nach den Umständen, unscharfe und veränderliche Grenzen aufweisend, so daß es keine absolute Grenze zwischen dem Selbst und dem Anderen mehr gibt, sondern das eine teilweise im anderen präsent ist.
Man könnte argumentieren, daß durch einen Prozeß einer elektronischen und digitalen "Verkrustung" eine neue genaue Bestimmung für Film und dokumentarisches Material verwirklicht wird. In einem übergeordneten Sinn beruht die Zukunft von Film und dokumentarischem Material auf der Sichtweise, die von den neuen Referenzpunkten des Videos aufgeworfen wurden. Am Ende des Jahrhunderts und in den sogenannnten postsozialistischen Ländern, hat sich Video in einen besonderen "Sehmechanismus" verwandelt, ein "Viewer", der uns das Lesen von Geschichte ermöglicht, die Durchsicht durch die Bilder und eine mögliche Wahrnehmung der Zukunft.
Die Strategien der Visualisierung reflektieren die Territorien der Geschichte in Bezug auf Politik
Die sozialistische Gesellschaftsordnung funktionierte in Jugoslawien und Slowenien auf Basis eines schmerzhaften Rekurs auf psychotische Diskurse, die versuchten, die Nebeneffekte der fortwährenden Interpretation und Produktion zu neutralisieren, die darauf zielten, Geschichte zu verstecken, zu maskieren und neu zu benennen. Mehr denn eine Sehnsucht nach der Vergangenheit repräsentieren die jüngsten politischen und sozialen Veränderungen eine Sehnsucht nach Vereinnahmung und Neuanpassung der Geschichte. In der slowenischen "Nachkriegszeit" nach 1991 hatte die Geschichte begonnen, eine Starrolle in Kunst und Kultur zu spielen, nicht als Mittel der Wiederbesitzergreifung von Geschichte aus den Händen des Sozialismus, so deformiert diese auch war, sondern um die blind um sich schlagenden Kräfte des Nationalismus und Rassismus in die Schranken zu weisen, die aus den Ruinen des Kriegs steigen können und dies auch taten.
Der Effekt dieser Phase der Slowenischen Geschichte "auf Video" war der Ruf nach einem inneren Multikulturalismus mit internationaler Resonanz. Durch den Video-Prozeß der Wiederaneignung, des Recyclings verschiedener "Geschichten" und Kulturen, wurde ein multikultureller Zustand konstruiert. Das Ergebnis solcher Prozeduren ist die Entwicklung von Bildwelten, die sich weder auf die Gegenwart, noch auf die Vergangenheit beziehen, sondern auf eine mögliche Zeit, irgendwo zwischen Gewißheit und Potentialität. Das Videobild zeigt eine hartnäckige Suche nach dem verdichteten Punkt, der zugleich die Vergangenheit und die Zukunft enthält. Deshalb können wir sagen, daß Video eine alternative Geschichte schreibt, welche die Namen und Gesichter von vergessenen oder abgestorbenen Kulturen zeigt. Es definiert ihren Platz in einem zeitgenössischen Konstrukt von Machtbeziehungen neu, was wiederum seine Auswirkungen auf den Status von Video selbst hat.
Das Kunstvideo in Slowenien wiedererstellte und wiedererschuf Ebenen von Geschichte und zeitgenössischer Kreativität in Kunst und Kultur, sowie gesellschaftlicher Aktivitäten, deren Darstellungen ansonsten als unzureichend kritisiert werden, so z.B. im kommerziellen und teilweise auch Underground-Film. Kritik, soziales Engagement, Variationen über politische Themen auf der einen Seite, Experimente mit der Semiotik, dem Material und der Technologie andererseits kennzeichnen den Großteil des slowenischen Videoschaffens in den Neunzigern.
Video in Slowenien war/ist auch das "Auge der Geschichte": In den letzten zehn Jahren war Video nicht nur ein Medium des Selbstausdrucks, sondern auch ein Mittel zur Dokumentation politischer Ereignisse. Dokumentarische Videoprojekte, von Amateuren mit VHS Material, von unabhängigen Film- und Videogruppen mit professionellem Material realisert, fingen die verschiedenen Phasen des politischen und sozialen Kampfes in Slowenien ein: Das Gerichtsverfahren der "Vier" 1988 - jener vier Journalisten, die angeblich geheimes Armeematerial gestohlen und gesichtet haben; der zehn Tage währende Krieg in Slowenien gegen die Armee der Jugoslawischen Republik; die Proteste gegen den Versuch, die Freiheit der Abtreibung in Slowenien abzuschaffen Ende 1991. Die Neunziger, mit der Demokratisierung des sozialen Raumes in Slowenien, sind ebenso Zeuge neuer Formen von investigativem Journalismus, die auf dokumentarisches Videomaterial zurückgreifen.
Dieses dokumentarische Videomaterial (meist unstilisiert und nicht erzählerisch) ermöglicht es uns auch, die Interpretationen der nationalen Massenmedien und des Fernsehens zu vergleichen und die Verantwortung der Medien für die spezifische von ihnen gezeigte Version der Wirklichkeit einzufordern. In diesem Kontext bietet Video eine "authentische" historische, emotionale, künstlerische, politische Perspektive, deren Themen durch die subjektive Linse des Autors erzählt und gestaltet werden. Unser Wissen beruht nicht nur auf dem, was wir sehen, sondern auch auf dem, was wir sichtbar machen können.
Zu einer Theorie
1. Osteuropa muß als Symptom (im strengen psychoanalytischen Sinn) des Westens verstanden werden, das dem Westen seine wahren inneren Grenzen zeigt. Dieser Aufsatz versucht nicht, die Sehnsucht westlicher Leser nach Reminiszenzen wie "wie wir den Sozialismus überlebt und dabei noch gelacht haben" (wie der Autor Slavenka Drakuliæ schrieb) auszuschlachten, sondern versucht, all diese großen Ideen hinter der westlichen Demokratie, wie Freiheit und Menschenrechte, in Bezug zum Krieg in Bosnien-Herzegovina und zum Fall des kommunistischen Systems zu setzen. Es ist ein Nachdenken unter dem Ausgangspunkt dessen, was uns der Krieg in Bosnien und Herzegovina gelehrt hat. Dasselbe kann auf das Gebiet der neuen Medien im Osten angewandt werden, mit dem sich der Westen nun zunehmend konfrontiert sieht: Brutalität, sexuelle Perversionen, entmenschlichte formale und inhaltliche Botschaften, neue kommerzielle Machtstrukturen der Medien in Osteuropa. In diesem Licht kann Video, wie ich es beschrieben habe, als Gegenteil dessen gesehen werden, was nun medial aus dem Osten kommt.
Ich schrieb im ersten Teil dieses Aufsatzes, daß das Medium Video in den Achtzigern im Osten von Sehnsucht, Obszönität, Pornographie, Politik und Geschichte angetrieben wurde. Es verlor seine Unschuld und wurde ein Verzeichnis der Zeit und der subjektiven Politik. Dasselbe geschah in Russland. Wenn wir uns die spirituelle Verfassung Russlands in den achtziger Jahren nach dem Zusammenbruch ansehen, so war diese nach Slavoj Zizek: eine Atmosphäre purer, mystischer Spiritualität, mit einer fast gewalttätigen Verweigerung von Körperlichkeit auf der einen Seite, begleitet von einer Besessenheit mit Pornografie und sexuellen Perversionen auf der anderen Seite. Die Lektion hier ist, daß die sogenannte "gesunde Sexualität", fern davon, ein natürlicher Zustand zu sein, der nur manchmal durcheinandergebracht wird, auf einem fragilen Gleichgewicht beruht, einer Kombination zweier Elemente, die sich in jedem Moment wieder in ihre Bestandteile auflösen können. Zynisch gesprochen wird sich der Westen daran gewöhnen müssen, den unperfekten Osten in sein Selbstbild aufzunehmen. Mit anderen Worten, die Perfektion braucht die Unvollkommenheit, um sich ihrer selbst vergewissern zu können (Zizek). Eine solche Befragung wurde nötig, da das Paradigma der Aufklärung in Teile zerfallen ist und auch auf Grund der veränderten Beziehungen zwischen Nationalstaaten, Bürgern und Unternehmermacht auf der einen Seite, den Auswirkungen von Kommunikation und computerisierter Technologie auf der anderen Seite.
Wie Knut Harald Asdam schrieb, ist es interessant zu sehen, daß einige der Aspekte der politischen Krise in Zusammenhang mit Postmodernismus mit der offensichtlichen Unmöglichkeit eines alternativen Funktionierens von Macht zusammenhingen, obwohl einige der poststrukturalistischen Denker wie Foucault und Deleuze/Guattari eine differenzierte Sicht auf das Funktionieren von Macht entworfen haben. Das Medium Video im Osten versucht das Konzept von Politik im engeren Sinn zu unterwandern - es enthält eine Subversion der Körperpolitik.
Foucault unterscheidet zwischen Machtbeziehungen auf der einen Seite, die im Prinzip reversibel sind, und der Beherrschung von Situationen, die einseitig ist, rigide und von Stärke gekennzeichnet. Wilhem Schmid argumentiert, daß diese Unterscheidung zwischen Machtbeziehungen und der Situiertheit von Macht sehr wichtig ist, weil es klärt, was für Individuen in der Kunst des Lebens zählt: Die Möglichkeit, eine Umkehrung von Machtbeziehungen ins Spiel zu bringen. Solange diese Umkehrung möglich ist, dann ist das Spiel der Mächte unser Anliegen und nicht bloß der Zustand der Unterdrückung. Der Marxismus hat diese Unterscheidung zwischen reiner Unterdrückung und Machtbeziehungen nie zuwege gebracht. Als Ergebnis dessen konnte er nur eine symmetrische Umkehrung von Authorität in der politischen Praxis ermöglichen, was eine neue, rigide Ordnung entstehen ließ. Bezeichnenderweise wurde, wann immer eine Geschichte der Macht geschrieben wurde, der Unterschied zwischen individueller Macht und Macht die durch den Zusammenschluß von Individuen entsteht (etwa in sozialen Bewegungen) geleugnet. Das in Anwendung auf die Situation der Videokunst in Osteuropa gebracht sollte uns zeigen, daß es nicht nur möglich ist, eine Geschichte der Videokunst zu schreiben, sondern daß das auch tatsächlich geschehen sollte, wenn wir später davon einen Nutzen haben wollen. Der Aspekt der individuellen Politik und der Politik des Mediums im Osten geht über die reine Frage des Widerstands hinaus.
3. Einige der wichtigsten topoi innerhalb der neuen Medien sind das Problem der Simulation, das des Informationsaustauschs und die Probleme, die durch die Beschleunigung des Transports von Informationen entstehen. Die extreme Schnelligkeit der Kommunikation läßt, nach Burghart Schmidt, keine Zeit, die Information zu kontrollieren oder darüber nachzudenken. Die Formen des Umgangs mit der Struktur von Videobildern und ihren politischen und sexuellen Inhalten in Osteuropa zeigen Strategien auf, die Kommunikationsströme zu verlangsamen und ihnen durch die Schaffung neuer Werte-Paradigmen Bedeutung und Perspektive zu geben.