Zur wundersamen Vermehrung des Geldes – und wie es wieder verschwinden kann

Seite 2: Aufstieg und Fall des Law-Systems

Papiergeld gab es in China seit dem siebten Jahrhundert, Europa benutzte bis ins 18. Jahrhundert Gold- und Silbermünzen, deren Qualität allerdings gern manipuliert wurde. Die ersten Aktien führten die Niederländer ein, um die Vereinigte Ostindien-Compagnie (VOC) zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu finanzieren, die erste moderne Aktiengesellschaft, die mit dem beginnenden Welthandel ungeheuer profitabel wurde.

England folgte rasch mit der East India Company (EIC), die maßgeblich das britische Weltreich mit aufbaute. Frankreich und Schweden mischten ebenfalls mit, Deutschland blieb im beginnenden Fernhandel zurück und erlebte das traurige Ende der einst stolzen Hanse.

Praktisch alle Aktionäre dieser Zeit erzielten satte Gewinne, auch wenn mal eins der Schiffe unterging. Die erste große Spekulationsblase der Wirtschaftsgeschichte Europas war die Tulpenkrise oder Tulpenmanie in den Niederlanden 1636/37, bei der fast jeder, der ein wenig Geld hatte, eingestiegen war und viele ruiniert wurden.

Die größte Finanz- und Aktienkrise ereignete sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts aber in Frankreich. Am Ende der glorreichen Regierungszeit des Sonnenkönigs Ludwig XIV. stand Frankreich praktisch vor dem Staatsbankrott. Ein verschwenderischer Hofstaat und die militärischen Abenteuer hatten das Land in Schulden gestürzt, die weit über die Wirtschaftskraft hinausgingen.

Das Gold und Silber für das Standard-Zahlungsmittel Münzen war knapp geworden, die Wirtschaft stagnierte oder schrumpfte. Rechnungen wurden nicht mehr bezahlt, die notleidende Bevölkerung wurde unruhig.

John Law

Da erscheint der vermeintliche Retter aus der Not, ein schottischer Abenteurer namens John Law. Er hat das Erbe seines Vaters durchgebracht und hält sich in London mit Glücksspielen über Wasser. Der ständige Geldmangel inspiriert den mathematisch begabten jungen Lebemann zu finanzpolitischen Überlegungen, die er zu einer Theorie ausbaut, da auch England in finanziellen Nöten ist.

Ein wichtiger Bestandteil seiner Theorien ist die Ausgabe von Papiergeld, mit dem Landbesitzer Hypotheken bis zum zwanzigfachen ihrer jährlichen Einkünfte aufnehmen können. Diese Papiere seien sicherer und stabiler als die schnell an Wert verlierende Münzwährung.

Nach einem verbotenen Duell zum Tode verurteilt und später begnadigt, kann er aus dem Gefängnis ausbrechen und auf den Kontinent entkommen. Wie sein jüngerer Zeitgenosse Casanova zieht er, oft genug erfolgreich bei Glücksspielen und den Damen, von Residenz zu Residenz, kann aber keinen Fürsten von seiner Geldtheorie überzeugen.

In Venedig gewinnt er sich an den Spieltischen reich und kauft wertbeständige Gemälde. 1715 ist er in Paris und schlägt dem Herzog von Orleans, der für den minderjährigen Ludwig XV. die Regierung führt, sein Finanzsystem vor.

Der Regent lässt sich im Angesicht des drohenden Staatsbankrotts überzeugen und gestattet Law die Einrichtung einer Art von privater Zentralbank nach niederländischem Vorbild, der Banque Générale Privée, die 1718 zur Banque Royale wird. Sie tauscht das Gold- und Silbergeld der Franzosen gegen staatlich gedecktes Papiergeld ein, was den Zahlungsverkehr zunächst erleichtert.

Aber Laws Ehrgeiz geht weiter. Im selben Jahr 1718 gründet er die "Compagnie des Indes", auch Mississippi Kompagnie genannt und verkauft Aktien im Wert von 50 Livres, heute ungefähr 150 Euro, die schnell auf den zehnfachen Wert steigen. Da nun auch der Regent und der Adel einsteigen, entsteht ein Sturm auf seine Bank, der Kurs klettert zeitweise von den ursprünglichen 50 auf 2.000 Livres.

Law sorgt auch mit Hilfe der verfügbaren Medien für den Erfolg der Aktien. Von ihm angestellte Journalisten beschreiben das wirtschaftliche Potenzial der riesigen französischen Kolonie Louisiana, die erst 1803 für 15 Millionen Dollar von den jungen Vereinigten Staaten aufgekauft wird.

Aber der Kursrausch erzeugt auch Misstrauen, etwa bei dem Philosophen Voltaire, der selbst reich ist. Er wird bis heute mit der hellsichtigen Bemerkung zitiert, dass Papiergeld am Ende auf seinen tatsächlichen Wert zurückfallen muss, nämlich auf null. Ob auch er seine Aktien rechtzeitig diskret eingetauscht hat, ist umstritten.

Aber die spektakuläre Rücktauschaktion des Prinzen Louis de Conti, der im Oktober 1719 Aktien im Wert von 25 Millionen Livres umtauschen lässt und für den Abtransport der Münzen drei Fuhrwerke benötigt, zerstört das Vertrauen.

Am 17. Juli 1720 ist Law zahlungsunfähig. Im Gedränge vor der Banque Royale sterben acht Menschen, unzählige Kleinanleger und alle, die ihre Aktien auf Kredit gekauft hatten, sind ruiniert. Gewonnen haben einige Aristokraten und vorsichtige bürgerliche Finanzakrobaten sowie die Banken, die die Aktienkäufe auf Kredit finanziert hatten.

Auch das Vertrauen in die Regierung ist dahin, was mittelbar die Revolution von 1789 mit vorbereitet. Law flieht über Brüssel nach Venedig, wo er mehr schlecht als recht an den Spieltischen überlebt und 1729 an einer Lungenentzündung stirbt.

Laws Vermächtnis wird von Wirtschaftshistorikern unterschiedlich bewertet. Sein System war damals hochinnovativ und durchaus von einem Kaliber, das die Wirtschaft Frankreichs des 18. Jahrhunderts hätte voranbringen können.

Aber Spekulationsblasen gefährden unsere Geld- und Zahlungssysteme immer wieder. Renditeversprechungen locken auch dann, wenn sie eigentlich als unrealistisch erkennbar sein müssten. Alan Greenspan, der ehemalige Chef der amerikanischen Federal Reserve, unvergessen als die Sphinx der Finanzmärkte, nannte das Phänomen "irrational exuberance", einen irrationalen Überschwang.

Das hatte beim Pariser Börsenkrach von 1720 schon der rationale Voltaire im Visier. Beim Geld, meinte er, haben alle die gleiche Religion. Man kann nur hoffen, dass sich die aktuelle Banken- und Finanzkrise nach den SVB- und Credit Suisse-Pleiten einigermaßen einfangen lässt. Die Überschuldung fast aller Länder ist schon gefährlich genug.

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