Zurück in die fossile Zukunft?

Bild: American Public Power Association / Unsplash

Wenn es um Klimaziele geht, kommt nach dem "shutdown" das "shut up". Doch "grüne" Konjukturprogramme sind rentabler als herkömmliche Rettungsschirme

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Waldbrände, Überschwemmungen, Dürrerekorde, Hurrikanes, Wintereinbrüche im Sommer und sommerliche Winter, sie alle wiederholen sich alljährlich in stärkerem Ausmaß. Doch es reichte bisher nur zu Lippenbekenntnissen in der Bewältigung der Klimakatastrophe, um Zeit zu gewinnen, während sich tausende von Wissenschaftlern einig sind, dass dadurch nur Zeit verloren wird. Die Pandemie zeigt zudem die Anfälligkeit des globalen Wachstumsmodell auf, als auch dessen Weigerung, für eine klimafreundliche Welt zu wirtschaften.

Zwar schüren neue Rekordmengen an Solarstrom im April - zum Teil pandemie-bedingt durch die saubere Luft - in einigen europäischen Ländern wie auch der Abschied von der Kohlekraft von Österreich und Schweden, bei Klimaschützern Hoffnung. Doch sind derzeit über 1.000 Kohlekraftwerke weltweit in Planung oder bereits im Bau (vgl. Nach der Krise kommt die Kohle).

Aktuellen Schätzungen zufolge führt die Pandemie angesichts von Industrieschließungen, Rezession und einem enormen Rückgang des Straßen- und Flugverkehrs zu einem Rückgang der Treibhausgasemission um lediglich acht Prozent. "Ohne den Lockdown wäre die Gesamtmenge an CO2 in der Atmosphäre im Jahr 2020 um 0,68% gestiegen, verglichen mit dem globalen Durchschnitt von 2019. Aber mit dem Lockdown rechnen wir mit einem Anstieg um 0,60%", schreiben Klimaforscher auf Carbon Brief. Die klimafreundliche Auswirkung der Pandemie hält sich in Grenzen.

Die Welt braucht, um die globale Erwärmung milde einzudämmen, Einschnitte von 7,6 Prozent, und das jährlich. Die Vorzeichen dafür stehen trotz des aktuellen Rückgangs schlecht: Seit dem kurzfristigen Rückgang der CO2-Emissionen nach der Finanzkrise 2008 wurde jedes Jahr ein neuer Höchstwert verzeichnet. Und nun, da in China, wo die Mobilitätsbeschränkungen gelockert und die Fabriken wieder geöffnet wurden, der Motor der Wirtschaft wieder brummt, samt Wiederanstieg der Luftverschmutzung und CO2-Emissionen, steht zu befürchten, dass eine historische Chance liegen gelassen wird, die globale Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu minimieren, wenn bald die Wirtschaft in Europa und Amerika nachzieht.

Lernen aus der Finanzkrise

Wissenschaftlichen Warnungen vor der Klimakatastrophe fehlte bisher die realwirtschaftliche Konsequenz für den zu erhaltenden Wohlstand, welcher nicht zuletzt auf Fundamenten ruht, die nun krisenbedingt mit Konjunkturmaßnahmen unterstützt werden müssen. Doch nicht nur um den Klimawandel anzugehen und etwa die Ziele des Pariser Klimavertrags zu erreichen, seien "grüne" Konjunkturpakete notwendig, schreiben nun Ökonomen von der Universität Oxford, sondern auch um mehr Jobs zu schaffen als auch um Kosten zu sparen und die Rendite zu steigern.

In dem Working Paper "Werden die Konjunkturpakete der Corona-Krise den Fortschritt beim Klimawandel beschleunigen oder verlangsamen?" für das Oxford Review of Economic Policy schreiben Umweltökonom Cameron Hepburn und sein Team aus namhaften Wirtschaftswissenschaftlern wie dem Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und dem Ökonom Nicholas Stern, dass Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz sich nicht widersprechen müssen

"Die Ausrichtung der Maßnahmen über die kommenden sechs Monate wird weitgehend darüber entscheiden, ob die schlimmsten Auswirkungen der Erderwärmung vermieden werden können", schreiben die Ökonomen. "Die heute veröffentlichte Forschungsarbeit zeigt, dass klimafreundliche Politik bessere Ergebnisse für die Wirtschaft bringen kann - und für die Umwelt."

Die Belebung der Wirtschaft gehe am besten Hand in Hand mit ambitionierten Klimazielen, sollen sie nachhaltig wirkungsvoll sein. Die Ökonomen der Smith School of Enterprise and the Environment der Universität Oxford katalogisierten für diese Einsicht über 700 Konjunkturmaßnahmen der G20-Nationen, die nach der Finanzkrise im Zeitraum 2008-20 vorgeschlagen oder umgesetzt wurden.

Als "braun" stuften sie Maßnahmen ein, die die Verbindungen zwischen Wirtschaftswachstum und fossilen Brennstoffen verstärken, und zu künftigen Vermögensverlusten führen. Als "grün"gelten Maßnahmen, die den Ausstoß von klimaschädlichen Emissionen senken.

Die Wissenschaftler analysierten dann über 300 Maßnahmen der G20-Nationen (einschließlich der meisten EU-Mitgliedsstaaten), welche insgesamt Ausgaben in Höhe von über 7,3 Billionen US-Dollar (engl. trillion) für Konjunkturprogramme vorsehen. Laut ihrer Einschätzung seien 4 Prozent der Maßnahmen "grün" und hätten das Potential, die langfristigen Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren, 4 Prozent seien "braun" und werden wahrscheinlich die Treibhausgas-Emissionen erhöhen, und 92 Prozent seien "farblos", was bedeutet, dass sie den Status quo beibehalten.

Grüne Konjunkturpakete schaffen mehr Arbeitsplätze

Zudem baten die Forscher mehr als 230 Experten, etwa aus Zentralbanken und Finanzministerien, um eine Einschätzung der Auswirkung der Konjunkturprogramme auf Wirtschaft und Klima. Das Ergebnis: Klimaorientierte Konjunkturpolitik führe nicht nur kurzfristig zu Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen, sondern schaffe auch die Grundlage für langfristige Innovationen und eine klimafreundliche wirtschaftliche Entwicklung. Konkret: grüne Projekte schaffen mehr Arbeitsplätze, liefern höhere Erträge für das ausgegebene Geld und führen im Vergleich zu traditionellen Steueranreizen zu höheren langfristigen Einsparungen.

So habe sich herausgestellt, dass nach der Finanzkrise Investitionen in erneuerbare Energie empfehlenswerter waren als "herkömmliche" Maßnahmen. Laut einer zitierten Studie von Heidi Garrett-Peltier schaffe jede Ausgabe von einer Million Dollar 7,49 Vollzeitarbeitsplätze in der Infrastruktur für erneuerbare Energien schafft als auch 7,72 in der Energieeffizienz, aber nur 2,65 in fossilen Brennstoffen (Garrett-Peltier, 2017). In Deutschland arbeiten etwa 40.000 Menschen in der Herstellung und vor allem der Installation von PV- und Solarthermieanlagen, etwa doppelt so viel wie im deutschen Braunkohletagebau und den angeschlossenen Kraftwerken (vgl. Corona- und Klimakrise: Von Nachhaltigkeit keine Spur)

Die über 700 Forschungsergebnisse kombiniert mit den Einschätzungen der befragten Experten heben sich den Forschern zufolge fünf Arten von Maßnahmen als besonders sinnvoll für sowohl die Wirtschaft als auch die Klimaziele ab:

- Investitionen in erneuerbare Energien und Energie-Speicherung,
- Investitionen in die Gebäudeeffizienz für Renovierungen und Nachrüstungen, einschließlich verbesserter Isolierung, Heizung und Energiespeichersysteme in Privathaushalten,
- Investitionen in Bildung und Ausbildung, um die unmittelbare Arbeitslosigkeit aufgrund von COVID-19 und strukturelle Verschiebungen von der Dekarbonisierung anzugehen,
- Förderung einer klimafreundlichen Landwirtschaft und Regeneration von Ökosystemen, einschließlich der Wiederherstellung kohlenstoffreicher Lebensräume.

Zudem sollen Rettungsschirme für Unternehmen wie Fluggesellschaften von Verbesserungen ihrer Umweltverschmutzung abhängig gemacht werden.

"Erneuerbare Energie-Projekte können mehr Arbeitsplätze pro ausgegebenem Dollar schaffen, und im Vergleich zu einigen traditionellen Infrastrukturmaßnahmen wie dem Straßenbau können diese Arbeitsplätze besser bezahlt werden", sagt Mitautor Brian O'Callaghan. Langfristig böten öffentliche Investitionen in Erneuerbare Energien hohe Renditen, da sie die Kosten für den Übergang zu sauberen Energien senken.

Die Zeit scheint reif von der letzten Krise zu lernen und eine sozial-ökologischen Art des Wirtschaftens zu fordern. Was die Industrieländer zur Überwindung der Coronakrise und ihrer Folgen brauchen, sei nicht so sehr ein Konjunkturprogramm zur Wiederbelebung der Wirtschaft von gestern als vielmehr einen Plan für den Übergang in die Gesellschaft von morgen, heißt es in der Mai-Ausgabe der Le Monde Diplomatique.

Doch der politische Wille, der zwar die Zügel in die Hand nimmt, um die Wirtschaft mit Konjunkturpaketen ins Rollen zu bringen, scheint immun gegenüber der Forderung den auf fossile Brennstoffe fixierten, krisenanfälligen Kapitalismus, der von Krisen, Krieg und Krankheit lebt, mit Augenmaß zu zügeln. Dass 92 Prozent der weltweiten Konjunkturmaßnahmen sich daran orientieren, den Status Quo zu erhalten, zeugt davon.