Zwei Jahre auf Bewährung

Proteste gegen neues Arbeitsgesetz für Berufsanfänger in Frankreich, die zwei Jahre ohne Begründung gefeuert werden können

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zwischen 200.000 und 400.000 Menschen haben in mehr als 187 Städten Frankreichs gegen die Einführung des umstrittenen "Contrat première embauche" (CPE) demonstriert. Der neue Berufsanfängervertrag soll es Arbeitgebern erlauben, Jugendliche zwei Jahre „auf Bewährung“ zu beschäftigen, in denen sie ohne Angabe von Gründen jederzeit gefeuert werden können. Die Gewerkschaften sehen darin einen Vorstoß, um den Kündigungsschutz aufzuweichen. Die Debatte im Parlament, die gestern begonnen hat, wird bis zum Wochenende fortgesetzt und dann soll das Gesetz verabschiedet werden.

Wieder einmal will die Regierung im Eilverfahren ein Gesetzesprojekt durchdrücken, das weit reichende Auswirkungen haben könnte (Freier Tausch statt Knast in Frankreich?). Das Kernstück des Projekts des konservativen Premierministers Dominique de Villepin ist, den Kündigungsschutz für Jugendliche unter 26 Jahre für zwei Jahre aufzuheben. Sie könnten dann ohne Angabe von Gründen gefeuert werden. Das würde vom Staat noch erleichtert, der die Abfindung von bis zu zwei Monatslöhnen bezahlen würde.

So will Villepin angeblich die überdurchschnittlich hohe Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen. Die ist in Frankreich mit gut 22 Prozent im europäischen Vergleich sehr hoch. Ein Einstiegsvertrag sei besser als gar kein Vertrag oder ein befristeter, meint Villepin. Der CPE sei ein „großer Fortschritt“, weil er nach den zwei Probejahren in einen unbefristeten Vertrag münde. Das bedeute mehr „Chancengleichheit“, sagte Villepin mit Blick auf die Unruhen in vielen Vorstädten des Landes im vergangenen November.

Er wandte sich gegen die Linke, die „unbeweglich“ verharren wolle, doch die Gesellschaft müsse vorankommen. Als Beispiel dafür nannte er auch Spanien. Doch ausgerechnet in dem Nachbarland, wo Festverträge für Jugendliche praktisch nicht mehr existieren, ist die Jugendarbeitslosigkeit so hoch wie in Frankreich. Trotzdem wollen auch die spanischen Sozialisten die Kündigungen vereinfachen und „Probezeiten“ ausweiten (Spanien in der Reformkrise).

Doch im Parlament stellt sich auch die Zentrumsbürgerliche UDF gegen das Projekt der UMP. Mit den Sozialisten, Grünen und Kommunisten will auch sie eine harte Opposition gegen das CPE betreiben. Insgesamt wurden 440 Einwendungen gegen das Gesetz vorgebracht. Gestern wurde deshalb zunächst die Tagesordnung geändert, damit man auch am Freitag, Samstag und eventuell sogar am Sonntag noch debattieren kann.

Nach Ansicht der Gewerkschaften und Studentenorganisationen sollen nun „Einwegjobs“ und „handzahme“ Arbeitnehmer geschaffen werden, die sich alles gefallen lassen müssen. Sie hatten mobilisiert, um gegen die Einführung der „hire and fire“-Verträge vorzugehen. Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass Arbeitgeber kaum neue Stellen schafften, sondern diese Verträge für ohnehin geplante Jobs benützten. Die linksliberale Tageszeitung Liberation gibt in einem Editorial deren Position wieder, wonach es sich bei dem Gesetz um ein „Trojanisches Pferd“ handele, mit dem der starke Kündigungsschutz in Frankreich insgesamt aufgehebelt werden soll.

Wie bei der Bewertung des Gesetzes gehen auch die Einschätzungen über die Proteste weit auseinander. So zählte die Polizei 218.000, die Veranstalter kamen auf 400.000 Demonstranten. Die konservative Zeitung Figaro spricht von einem Fehlschlag, während die liberale Le Monde einen verhaltenen Protest sieht Die Organisatoren zeigen sich aber zufrieden, auch wenn man weit hinter den Protesten im Oktober zurückgeblieben sei, als eine Million Menschen für Beschäftigung und höhere Löhne demonstrierten.

François Chérèque, Chef der sozialdemokratischen Gewerkschaft CFDT, wies auf die Tatsache hin, dass die Eildebatte genau in den Ferien begonnen wurde, womit die „Mobilisierung der Jugend erschwert“ wurde. Es sei aber eine „deutliche Warnung für die Regierung“ ausgesprochen worden. Positiver beurteilt die Force Ouvriere (FO) den Protest: „Wir haben eine Bewegung ins Rollen gebracht, die nicht so schnell enden wird", sagte deren Generalsekretär Claude Mailly.

Jedenfalls erfreuen sich die CPE-Gegner nach Umfragen großer Sympathie in der Bevölkerung. Nach Angaben der BVA-Meinungsforscher halten 67 % die Proteste für „gerechtfertigt“, und 60 % sind gegen das Gesetz. Das kann nicht verwundern, denn die Franzosen hatten auch die so genannte EU-Verfassung abgelehnt, weil sie darüber einen Abbau elementarer Rechte befürchteten (Das NON triumphiert).

Die Regierung ist trotz des angeblichen Scheiterns der Proteste unsicher. Villepin will das Gesetz notfalls nach Artikel 49 der Verfassung durchdrücken, wie er mehrfach angedeutet hat. Komme es zu einer Blockade im Parlament, könnte er das CPE so auch ohne Abstimmung machen. Dann wäre zwar ein Misstrauensantrag fällig, den die Sozialisten schon angekündigt haben, doch der würde wiederum an der Mehrheit der konservativen UMP scheitern. Der Beliebtheit der Regierung wird ein solches Vorgehen wohl kaum dienen. Nach neuesten Umfragen liegt die Linke in der Wahlabsicht erstmals vorne.