Zweifel an bewaffneter Wahlhilfe

Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist wieder in der Kritik Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung interessiert sich nicht dafür

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Am 19. August geht einer der aufwändigsten Wahlkämpfe der Geschichte zu Ende. Ca. 91.000 ausländische Soldaten sollen in Afghanistan dafür sorgen, dass die Präsidentenwahlen am 20. August überhaupt stattfinden können. Doch der Erfolg ist keineswegs sicher. Denn die Taliban und andere islamistischen Gruppen haben nicht nur einen Wahlboykott angekündigt, sondern wollen mit Anschlägen die Wahlen behindern. In einem Teil der Provinzen dürften sie Erfolg haben. Doch auch bei einem relativ reibungslosen Wahlablauf bleiben viele Fragen über den demokratischen Charakter. Menschenrechtler werfen den gegenwärtigen Präsidenten Karsai vor, seine Wiederwahl auch mit undemokratischen Mitteln sichern zu wollen. Die stationierten Truppen haben weder Mittel noch Auftrag, das zu verhindern.

Selbst Frauengruppen wie die Rawa oder die ehemalige Abgeordnete Malalai Joya zweifeln am Sinn dieser internationalen bewaffneten Wahlhilfe. Joya, die ihren Parlamentssitz verloren hat, weil sie die Islamisten nicht nur im Lager der Taliban, sondern auch der Karsai-Regierung scharf angriff, sieht mittlerweile einen schnellen Abzug als das kleinere Übel.

„Was wir uns als erstes von den USA, Europa und Deutschland wünschen, ist ein Ende des Terrors. Wir reden hier über einen Krieg, der in erster Linie zivile Leben kostet. Dafür sind nicht nur die Taliban, sondern auch die USA zuständig“, erklärte die Politikerin in einem Interview.

Abzugspläne in der Diskussion

Auch in Deutschland wurde in den letzten Tagen wieder verstärkt über Abzugspläne der Bundeswehr aus Afghanistan diskutiert. Zu den Anhängern seines schnellen Abzugs ist auch der ehemalige christdemokratische Verteidigungsminister Volker Rühe gestoßen, der nach dem Ausscheiden aus dem Amt öfter kritische Töne zum Bundeswehrengagement angeschlagen hatte. In der Bildzeitung bezeichnete Rühe jetzt den Bundeswehreinsatz als Desaster und forderte einen Abzug aus Afghanistan in 2 Jahren. Er bezieht sich dabei auf ähnliche Diskussionen in den USA.

Rühe ist mit seiner Meinung nicht allein. Im Gegenteil: Gerade in konservativen Kreisen wird die Forderung nach einer Exit-Strategie lauter. So nennt der Vize-Admiral a.D. Ulrich Weisser den Afghanistan-Einsatz in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau vor allem für die Soldaten für eine Zumutung. Auch er bezieht sich auf Debatten in den USA:

Der zeitliche Horizont für ein Ende des Afghanistan-Einsatzes gewinnt dadurch aktuelle politische Bedeutung und Gewicht, dass in Washington überlegt wird, Präsident Barack Obama 2012 im Wahlkampf für eine Wiederwahl nicht mit dem Thema Afghanistan zu belasten; außerdem sprechen Haushaltsprobleme der USA für eine zeitnahe Lösung.

Ulrich Weisser

Desinteresse in der Bevölkerung

Weisser zeigt sich verwundert, dass das Thema Afghanistan im Bundestagswahlkampf eine solch geringe Rolle spielt. Damit steht er nicht allein. Auch Bettina Gaus, die Parlamentskorrespondentin der Taz, bemängelte das Desinteresse der Mehrheit der Bevölkerung an den deutschen Militäreinsätzen.

Die Sorge des Verteidigungsministeriums, das Meinungsklima werde sich gegen Auslandseinsätze wenden, sobald "die ersten Zinksärge" nach Deutschland zurückkehren, hat sich nicht bewahrheitet. Das wäre vermutlich anders, wenn die Zahl der Toten und Verwundeten so hoch wäre, dass die meisten Deutschen irgendjemand kennen, der betroffen ist. Bislang ist das jedoch nicht der Fall. Zwar spricht sich mittlerweile eine Mehrheit in Deutschland für den Abzug aus Afghanistan aus, aber so wichtig ist dieser Mehrheit das Thema dann auch wieder nicht, dass es - beispielsweise im Wahlkampf - eine größere Rolle spielen würde.

Bettina Gaus

Mit dem Desinteresse hat am meisten die geschrumpfte Friedensbewegung zu kämpfen. In den nächsten Wochen nutzen in Deutschland verschiedene Protestbewegungen von den AKW-Gegnern über die Überwachungskritiker bis zu den sozialen Initiativen die Vorwahlzeit, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Nur die Antikriegsbewegung fehlt.

In den letzten Jahren demonstrierten einige Tausend Menschen für den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan. In diesem Jahr fällt die Demonstration erstmals aus. Man befürchtete, dass zu wenige Leute mobilisierbar sind. Dabei ist die Bundeswehr seit einigen Wochen auch offiziell in schwere Kämpfe gegen Taliban in Nordafghanistan verwickelt, bei denen erstmals die 1979 eingeführten Schützenpanzer „Marder“ in einem Gefecht einsetzt worden sind. Bisher hat die Bundeswehr dagegen immer den Eindruck zu erwecken versucht, eher eine Art bewaffneter Arm von Entwicklungshilfeorganisationen zu sein. So ließ sie sich anfangs auch am liebsten beim Graben von Brunnen fotografieren. Die deutsche Politik betonte ihre Distanz zur Strategie zur USA und Großbritannien, die des Militarismus geziehen wurden.

Die Distanz war auch der Tatsache geschuldet, dass der Afghanistan-Einsatz in Deutschland von Anfang an nicht sehr populär war. Das hat sich bis heute nicht geändert. Im Juli war in Umfragen die Furcht vor Kriegen unter deutscher Beteiligung sogar gewachsen. Allerdings hat sich in den letzten Jahren auch gezeigt, dass die Distanz zum Krieg nicht mit aktivem Widerstand gleichzusetzen ist, wie Bettina Gaus richtig bemerkte. Obwohl in den letzen Jahren die Zahl der getöteten Bundeswehrsoldaten kontinuierlich zunahm, hat das öffentliche Interesse abgenommen. „Stell Dir vor, die Bundeswehr führt Krieg, und niemand interessiert es“, könnte man eine populäre Parole der Friedensbewegung aktualisieren.

Auch die Kritik von humanitären Organisationen wie die der Welthungerhilfe, die die zivil-militärische Zusammenarbeit für die zunehmenden Angriffe auf ihre Mitarbeiter verantwortlich macht, wurde wenig beachtet. Dabei ist die Kritik, die das Selbstbild der Bundeswehr als bewaffnete Entwicklungshelfer in Frage stellt, fundamental:

Nun ist die Illusion geplatzt. Die Bundeswehr kämpft in Afghanistan an unübersichtlichen Fronten. Die Aufbauprojekte der Bundeswehr sind vom Umfang her zu vernachlässigen, aber die Vermischung von Militär und Wiederaufbau hat erheblichen Schaden angerichtet.

Welthungerhilfe

Wenig Interesse an Menschen in Afghanistan

Bundesverteidigungsminister Jung weist bisher weiterhin alle Versuche zurück, die Bundeswehr möglichst schnell aus Afghanistan abzuziehen. Dabei verbittet er sich auch Einmischungen seines Parteifreundes Rühe. Dadurch wird die Debatte aber keineswegs beendet werden. Sie wird nach den Wahlen in Afghanistan und Deutschland sogar verstärkt fortgesetzt werden. Dabei wird es in Deutschland kaum um die Interessen der Menschen in Afghanistan gehen. Vielmehr stehen die deutschen Soldaten im Mittelpunkt.

Bei SPD, Grünen und Linkspartei wird auch mit bedacht werden, dass ein entscheidendes Hindernis für eine Zusammenarbeit der Parteien auf Bundesebene das Bundeswehr-Engagement in Afghanistan ist. Die schweren Vorwürfe, die die Eltern eines vor mehr als einem Monat von der Bundeswehr erschossenen afghanischen Jugendlichen erhoben haben, spielen in der deutschen Debatte kaum eine Rolle. Nach Angaben der Eltern sollen die Soldaten ohne Vorwarnung auf den 15-Jährigen gezielt haben.