Zweiter großer Schlag gegen deutsche Salafisten-Szene
Innenminister de Maizère verbietet "Die Wahre Religion" und löst den Verein auf. Großrazzia an 200 Orten. Vorwurf der Rekrutierung für den Dschihad
Die Twitterbotschaft gibt Zeugnis ab vom kategorischen Wahn, der die "Die Wahre Religion" (DWR) auszeichnet: Die "lieben Geschwister" werden dort darüber in Kenntnis gesetzt, dass der "Quran in Deutschland verboten wurde". Dazu gibt es den Arbeitsnachweis in eigener Sache: "Wir haben jedem Allahs Botschaft erbracht." Beendet wird die Grußbotschaft mit "Allah u Akbar".
Es ist eine Botschaft aus einer Parallelwelt, die in ihrer Einfältigkeit dazu beträgt, Muslime zu verunglimpfen. Das ist kein harmloser Gruß aus der DWR-Werkstatt des religiösen Größenwahns und der geistigen Vernebelung. Wer von Koran-Verboten redet, versucht sich an Aufwiegelung, noch dazu mit einer Falschaussage: Verboten wurde nämlich der salafistische Verein "Die Wahre Religion" und nicht der Koran. Vorgeworfen wird dem Vereins auch genau dies: Aufwiegelung zu Gewalttaten.
Koran-Verteilungsaktion "Lies!" für den Einstieg in den Dschihad verantwortlich
Nach Ermittlungen der Sicherheitsbehörden sollen der "DWR und die von ihr organisierte Koran-Verteilungsaktion 'Lies!' allein für den Einstieg von mindestens 140 Personen in den Dschihad in Syrien und dem Irak verantwortlich sein.
Das Vereinsverbot und die Großrazzia am heutigen Morgen in mehr als 200 Wohnungen, Büros, Lager und Moscheen ist der zweite spektakuläre Schlag gegen die deutsche Salafisten-Szene nach der Festnahme des Predigers Abu Walaa und vier weiteren mutmaßlichen Mitgliedern eines "überregionalen salafistisch-jihadistischen Netzwerks" (Generalbundesanwalt) vor einer Woche.
Die Bezeichnung "salafistisch-jihadistisch" legt den heiklen Punkt offen. Die Anklage muss nachweisen, dass es eine Verbindung gibt zwischen dem sich nach außen lammfromm gebenden Proselytentum der Salafisten-Prediger und Gewalttaten. Von Bedeutung ist auch der Nachweis einer politischen Stoßrichtung, die gegen die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik ausgerichtet ist.
De Maizière: "Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie"
Gelingt es der Staatsanwaltschaft dies schlüssig und belegbar nachzuweisen, würde das CDU-geführte Innenministerium Argumente für die Partei im Wahlkampf gegen die AfD liefern. "Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie", kommentierte de Maizière heute die Aktion gegen den Verein "Die wahre Region". Er habe sie aufgelöst und verboten: "Sie glorifiziert Mord und Terror."
Beim Prediger Abu Walaa hängt der Nachweis, wie man aus Medien-Berichten der letzten Woche wie auch aus der Pressemitteilung des Generalbundesanwalts erfahren konnte, maßgeblich an Aussagen einer Person.
Ein Rückkehrer aus dem IS-Gebiet in Syrien hatte Ahmad Abdelaziz A, aka Abu Walaa schwer belastet. Seine Aussagen untermauern die Anklage des Bundesanwalts, wonach der "Prediger ohne Gesicht", Abu Walaa, zusammen mit den anderen Beschuldigten ein Netzwerk gebildet habe, "das Personen an den IS nach Syrien vermittelt".
In Hinterzimmern wurden die Reise zum Dschihad vorbereitet, ideologische Schulung, Sprachunterricht und Organisation der Reise, Abu Walaa war Chef des Reisebüros. Laut Generalbundesanwaltschaft war es ihm vorbehalten, "Ausreisen zu billigen und zu organisieren, wobei er mit der konkreten Umsetzung die Beschuldigten Mahmoud O. und Ahmed F. Y. beauftragte".
Der Hauptbelastungszeuge bezeichnet Abu Walaa als "die Nummer eins des IS in Deutschland". Die Einschätzung wird von Sicherheitskreisen ("Er ist der Schlimmste") und von Milieukennern geteilt. Die Islamismus-Expertin Claudia Dantschke zog in einem Interview mit der Berliner Zeitung eine Verbindungslinie zwischen Abu Walaa und "Der wahren Religion":
Abu Walaa ist der einzige öffentlich auftretende Prediger, der sich nie vom Islamischen Staat distanziert hat, im Gegenteil. Er gehörte zu der Prediger-Gruppe „Die Wahre Religion“ und ist seit 2011 stärker nach außen in Erscheinung getreten. Er ist zudem die zentrale Figur in Hildesheim, das wiederum als Hotspot gilt. Abu Walaa hat viele Jugendliche so radikalisiert, dass sie zum IS ausgereist sind.
Claudia Dantschke, Islamismus-Expertin
Der Vorwurf des Innenministers und der Staatsanwaltschaft gegen den Salafisten-Verein "Die Wahre Religion" läuft genau darauf hinaus: die Indoktrinierung, Radikalisierung und Rekrutierung für den Dschihad. Laut einem Bericht des Spiegel, dem anscheinend die Verbotsverfügung vorliegt, werden dort "konkrete Verbindungen einflussreicher 'Lies!'-Aktivisten zu Dschihadisten angeführt:
So erwähnt das Bundesinnenministerium etwa Bilal Gümüs, der bis zu einem Zerwürfnis mit Abou Nagie im Frühjahr der regionale "Lies!"-Verantwortliche im Raum Frankfurt war. In dem Papier wird dem Deutschkurden vorgeworfen, maßgeblich an der Ausreise von mindestens fünf Personen beteiligt gewesen zu sein.
Spiegel Online
Die Tagesschau spricht von einem "drögen juristisches Vereinsverbot". Es werde mit dem Verwaltungsrecht würden Innenminister versuchen, den Salafisten Herr zu werden. Diese Darstellung lässt die Sorge aufkommen, dass die Nachweise der Verbindungen zwischen Indoktrination durch die DRW-Salafisten und Dschihad-Gewalt möglicherweise juristisch nicht so wasserdicht sind, wie sie sein sollten.
Schwierigkeiten der Justiz mit Abou Nagie
Prominente Beispiele für die Verquickung gebe es genug, so der Spiegel, er nennt dabei den Solinger IS-Selbstmordattentäter Robert B. sowie den Berliner Rapper Deso Dogg und den Solinger Konvertit Christan Emde, die Kontakte mit dem Verein hatten und beim IS landeten.
Erwähnt wird in Berichten aber auch der Vorwurf, der größere Kreise betrifft. So sollen Ausreisen nach Syrien in zeitlichen Zusammenhang mit den "Lies!-Aktionen" des Salafisten-Vereins stehen. Der Organisator dieser Koranverteilaktionen, der frühere Selbstklebefolien-Produzent Abou Nagie ist eine zentrale Figur des Vereins. Er wird als Hassprediger bezeichnet, der für die Demokratie nichts übrig hat, aber viel für den Bürgerkrieg in Syrien als "Teil eines globalen Glaubenskampfs".
Trotz der Radikalisierungsvorwürfe gegen und der jahrelangen Ermittlungen gegen ihn hat es die Justiz bislang nicht geschafft, den Mann an der Verbreitung des Wahns zu hindern. Momentan soll er sich angeblich in Malaysien aufhalten.
Schwer zu fassen
Auch ein anderer bekannter Salafist aus einer berüchtigten Radikalenrunde mit engen Verbindungen zur "Wahren Religion" und Abou Nagie, der Frankfurter Bilal Gümüs, ist laut seinen Facebook-Einträgen unterwegs auf Reise.
Die Szene ist schon weiter, kommentieren die Ruhrbarone den heutigen Schlag der Polizei gegen die Salafisten-Szene. Der sei ein "wichtiger Etappensieg", der Druck der Behörden dürfe nicht aufhören. Die Szene habe sich neu organisiert. Zu sehen sei dies etwa an den neuen internationalen Projekten.
Hingewiesen wird dabei auf die Aktion "We Love Muhammad", für das sich Pierre Vogel engagiert - "und wieder erhalten so Salafisten Kontakt zu jungen Menschen und können Anhänger wählen", so die Ruhrbarone.